Neujahr in Russland: Hauptsache es knallt!

Russen feiern gerne laut und farbenfroh, insbesondere zu Neujahr. Foto:  Getty Images / Fotobank

Russen feiern gerne laut und farbenfroh, insbesondere zu Neujahr. Foto: Getty Images / Fotobank

Feuerwerke sind sehr beliebt in Russland. Leider ist der Wodka ebenso beliebt, was kombiniert zu einer Katastrophe führen kann.

Jedes Neujahr ziehen die Rauchschwaden detonierter Sprengkörper durch ganz Russland, der Himmel glüht mancherorts. Es sind die Russen selbst, die diese Brandsätze legen. In jedem Hof zünden Bewohner von ihrem sauer verdienten Geld funkelnde Feuerwerke, bengalische Lichter und bunte Leuchtsätze.

So beschließt man das alte Jahr und begrüßt das neue. Das Szenario ruft unweigerlich Bilder vom Krieg ins Gedächtnis. Es knallt an allen Ecken, die

Nach Angaben des Zentrums für medizinische Notfallhilfe erlitten am Neujahrsfest 2012 in Moskau 24 Personen Verletzungen, vier von ihnen waren Kinder.

Im Jahr davor trugen 17 Personen Verletzungen und Verbrennungen davon. 2010 lag diese Kennzahl bei 19, 2009 bei 35 und im Rekordjahr 2008 bei 65 Personen.

Straßen stehen in Flammen. Menschen erleiden Verletzungen und Verbrennungen, löschen Balkone, auf die ein Knallkörper gelandet ist und schaffen es nur mit Mühe und Not, ihre von dem Krach in Panik geratenen Haustiere zu beruhigen.

Sicher ist schon eines: Im nächsten Jahr wiederholt sich alles wie immer. Der Spaß des einen ist so verlockend, dass die bekannten Risiken des anderen gerne in Kauf genommen werden.

Fünfzehn Minuten nach dem Glockengeläut treffen in der Neujahrsnacht die ersten Verletzten in den Krankenhäusern ein: mit Verbrennungen, offenen Wunden und gelegentlich auch verstümmelten Händen. Die Unfälle haben eine gemeinsame Ursache — Pyrotechnik, und ihr unsachgemäßer Umgang damit. Das beliebteste Festvergnügen ist es nach wie vor, eine Leuchtfackel, ein bengalisches Feuer oder ein Feuerwerk zu entzünden. Je gewaltiger, desto größer das kurzweilige Vergnügen.


Raketen und Wodka vertragen sich nicht

 An der Kasse eines größeren Fachgeschäfts für Feuerwerke in der Stadt Schelesnodoroschnyj nahe Moskau sitzt Olja, eine besonnene junge Frau. „Feuerwerke sind ungefährlich, wenn sie nicht in die Hände von Betrunkenen geraten", sagt Olja. „Für mich gehören Feuerwerke zum Leben – ganzjährig und fast bei allen Festen. Am Tag des Heiligen Valentin und am Geburtstag meiner Tochter. Neujahr ohne Feuerwerk: Unvorstellbar! Aber auch bei uns passiert manchmal etwas. Einmal stellten wir eine Salutbatterie auf. Die Zündschnur war seitlich angebracht, in der Dunkelheit sahen wir das nicht. Die Salutbatterie schoss nicht in die Höhe, sondern in alle Richtungen. Unsere Freunde, die das Feuerwerk aufgebaut hatten, liefen vor Schreck weg. Wir waren zu neunt. Wir blieben stehen. Wir hatten keine Angst. Wir lachten einfach darüber, was da vor unseren Augen geschah."

Im sibirischen Kemerowo entzündete eine Frau einen Sprengkörper. Er explodierte noch in ihrer Hand. Die „Füllung" schoss direkt in ihren Bauch. Zwei Tage später erlag die Frau ihren Verletzungen. Solche Nachrichten machen jedes Jahr Schlagzeilen. „Ich verstehe dennoch nicht, wie man sich

Der tägliche Erlös eines kleinen Geschäfts für Feuerwerkskörper beträgt 10 000 – 20 000 Rubel, also 225 bis 450 Euro.

fürchten kann, wenn es knallt", sagt Olja. „Für mich sind Feuerwerke nicht bedrohlich. Ich habe da überhaupt keine Bedenken. Ich empfinde immer Freude und Vergnügen. Die Leute, die in mein Geschäft kommen, sind alle gut gelaunt! Sie sind glücklich und zufrieden."

Fast jedes Jahr gelangen Meldungen an die Öffentlichkeit, dass die Behörden einer bestimmten Region das eigenständige Entzünden von Feuerwerken gesetzlich verbieten wollen. Daraufhin wird diese Frage hitzig diskutiert, schließlich aber bleibt alles beim Alten. Ein solches Verbot wäre zu unpopulär. Nach ungefähren Schätzungen zündet jeder dritte Russe zum Neuen Jahr Böller oder Raketen. Feuerwerke werden das ganze Jahr über in Fachgeschäften und auf Märkten verkauft.

Das Geschäft, in dem Olja arbeiten, heißt „Mysterium des Feuers". Man ahnt etwas Magisches. „Auf der Verpackung dieses Feuerwerks ist ein blauer Drache abgebildet. Er ist ein Symbol. Der Legende nach brachte er den Menschen Glück. Sie wissen doch, Wunder geschehen denen, die an sie glauben! Ich bin keine Chemikerin. Ich könnte nicht erklären, wie das alles funktioniert, wie die verschiedenfarbigen Lichter oder ein Funkenstrahl

entstehen und warum in einem bestimmten Moment die Lichter sich in verschiedene Richtungen verteilen. Für mich ist das ein kleines Wunder."

Die eisige stille Straße entlang gehen verliebte Paare, Babuschki mit Hunden, Eltern mit ihren Kindern. Auf einmal erschallt aus einem weit entfernten Hof ein kräftiges und rhythmisches Krachen, als explodierten Bomben nacheinander, wie im Krieg. Der Schall wird laut von den Häuserwänden zurückgeworfen, dann verstummt er. Die Hunde an ihren Leinen wirken vollkommen unbeteiligt. Über den Dächern schießt ein bunter Funkenstrahl in den Himmel. Irgendjemand hatte sich ein Feuerwerk für das Neujahrsfest gekauft und konnte nicht abwarten, es zu zünden. Wer auf der Straße zu tun hat, hält augenblicklich inne. Es ist totenstill – alle stehen und schauen nach oben.

Ein fünfzehnjähriger Junge in einer grauen Jacke verfolgt das Schauspiel mit kaum verhohlenem Stolz: „Wow, geil!"

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