Eröffnungsfeier in Sotschi: Wer darf singen?

 "Buranowskije Babuschki"  singen Liedtexte dem Udmurtischen, einer finno-ugurischen Sprache, die in Russland nur 350 000 Menschen sprechen. Foto: ITAR-TASS

"Buranowskije Babuschki" singen Liedtexte dem Udmurtischen, einer finno-ugurischen Sprache, die in Russland nur 350 000 Menschen sprechen. Foto: ITAR-TASS

Welche Sänger könnten Russland bei der Eröffnungsfeier in Sotschi am besten vertreten? Unser Kommentator präsentiert seine Version der „perfekten“ olympischen Künstlerliste.

Februar 2013. Ich unterhalte mich in der Empfangshalle des Marins Park Hotel mit einem der Mitorganisatoren des Olympia-Kulturprogramms. „Ich darf niemandem erzählen, was uns genau erwartet", erklärt dieser Mann. „Aber ich kann eines versprechen: alles wird dem Anlass angemessen sein." „Das heißt ohne Popsa?" Für einen Russen ist Popsa ein abwertender Ausdruck für Popmusik, ähnlich der deutschen Fahrstuhlmusik. Popsa und Würde sind zwei unvereinbare Dinge.

Popsa hören alle, und das überall, in Autos, Restaurants, Supermärkten. Niemand würde freiwillig zugeben, Popsa zu mögen. Es ist wie mit der Pornografie: sie liegt bei mir zuhause in der Schublade, meinem Nachbarn aber würde ich sie nicht zeigen. Popsa ist wie Öl – man hat genug davon. Wir lieben sie heimlich, diese Musik ist unser süßes Geheimnis. Aber sie der Welt zeigen – um keinen Preis! Lieber würde man nackt über den Roten Platz laufen.

Ich amüsierte mich über meine Kollegen, die mit der Programmplanung für Olympia beschäftigt waren. Wer nach wem auftreten würde und so weiter. Da aber erreichte uns die Nachricht, dass bei der Eröffnung t.A.T.u. auf der Bühne stehen wird, die einzige Popband aus Russland, die es weltweit, von den USA bis Japan, zu nennenswertem Erfolg gebracht hat. Dass sie auf der Liste steht, kann niemanden überraschen. t.A.T.u ist berühmt. Und viele lieben das Duo sogar! Hinzu kommt, dass die beiden Sängerinnen Lena Katina und Julia Wolkowa mit dem Image eines Lesbenpaars punkteten. Ihre Präsenz in Sotschi ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die Russland als homophobes Land brandmarken.

Um beim Thema Homophilie zu bleiben, ließe sich auch Alla Pugatschowa ins Gespräch bringen. Pugatschowa hat es zu zwei echten Durchbrüchen vor westlichem Publikum gebracht. Der erste waren eine Tournee und ein Album in Schweden. Dorthin hatte sie der mittlerweile verstorbene Fernsehjournalist Jakob Dalin eingeladen. Dalin lebte offen schwul, Alla Pugatschowa gilt als russische Homosexuellen-Ikone. In Schweden spielte Pugatschowa vor einem begeisterten Publikum und nahm das wirklich gute englischsprachige Album „Alla Pugacheva in Stockholm" auf. Weiter aber setzte die Sängerin ihre internationale Karriere nicht fort. Als Björn Ulvaeus und Benny Andersson von ABBA Pugatschowa für ihr Musical „Chess" gewinnen wollten, lehnte sie kategorisch ab. „So toll wie alle meinen ist es in Westeuropa nicht", sagte sie in einem Fernsehinterview. Ihren zweiten internationalen Auftritt hatte die sowjetische Estrada-Diva beim Eurovision Song Contest 1997, dort aber erlebte sie ein großes Debakel.

 

 

Wer die Wahl hat, hat die Qual!

Beim Eurovision Song Contest fährt Russland seit Jahren immer mehr Erfolge ein und belegte sogar einmal den ersten Platz. Hier sind unbedingt der Popsänger Dima Bilan und die Gruppe Buranowskije Babuschki zu erwähnen. Die Babuschki sind nun wirklich Stimmen, für die man sich nicht schämen muss. Trägerinnen einer folkloristischen Tradition aus der Provinz, Omas, Angehörige einer nationalen Minderheit. Sie singen Liedtexte in einer finno-ugurischen Sprache, dem Udmurtischen, das in Russland ganze 350 000 Menschen sprechen. Sie sind die vollkommene politische Korrektheit.

Russische Erfolge im Internet verbinden sich vor allem mit dem Namen Eduard Anatoljewitsch Chil. Der beliebte sowjetische Sänger, der kurz vor seinem Tod eine zweite Welle der Popularität als Mr. Trollolo erlebte, verbreitete 2010 im Internet eine vokalisierte Version des älteren Titels „Ich bin sehr froh, denn ich komme endlich zurück nach Hause" aus dem Jahr 1976. Die Youtube-Aufnahme wurde zu einem Erfolg. Chil ließe sich auf einem Plasmabildschirm darstellen.

Neuere Internethelden sind der Chor des Innenministeriums – genauer gesagt: der russischen Polizei. Die singenden Polizisten wurden mit einer Coverversion von Daft Punks „Get Lucky" berühmt. Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten sollten sie mit „Sweat" von Snoop Dogg auftreten. Um das Sportliche geht es schließlich erst danach!

In Russland funktioniert nichts ohne Segen von höchster Stelle. Die Lieblinge des Hofes sind die Lieblinge des Volkes. Bekanntlich ist Wladimir Putin ein Fan der Band Ljube, die sich mit einem quasimilitärischen und sowjet-nostalgischen Rock/Pop einen Namen gemacht hat, und des Sängers Grigori Leps, eines Baritons mit einer Heiserkeit à la Rod Stewart. Leps im Programm wäre ein Hieb gegen die USA. Dem Sänger wurde die Einreise in die USA verboten, weil man ihm Verbindungen zur russischen Mafia unterstellt.

Die UdSSR und Russland waren immer stolz auf ihre Spitzenklasse in der klassischen Musik. Richter, Baschmet, Rostropowitsch, Gergijew – nicht zu vergessen die wichtigste Opernstimme des heutigen Russlands: Anna Netrebko, eine der großen stimmlichen Sensationen der Welt. Diese Petersburger Schönheit nicht einzuladen, wäre geradezu abwegig!

Nicht schlecht käme sicher auch das eine oder andere englischsprachige Lied an. Kaum zu glauben, aber einige gegenwärtig bekannte russische Gruppen singen ausschließlich in englischer Sprache – etwa die Synthie-Pop-Band Tesla Boy und die Indie-Rocker Pompeya.

Eine beeindruckend schrille Künstlercrew zur Eröffnung der Spiele zusammenzustellen ist also durchaus machbar. Ein mögliches Szenario haben wir hier entworfen. Wir hoffen inständig, dass es sich nicht bewahrheitet.

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