Die Abbildung des Gamäldes „Verteidigung von Sewastopol“ (1942) vom russischen Künstler Alexander Deineka . Foto: RIA Novosti
1. Skythen und Pfeile
Es gibt viele Varianten von der Geschichte über den „Zusammenhalt der Pfeile". Glaubt man Plutarch, einem griechischen Schriftsteller und Philosophen, der von 45 bis 125 vor Christus lebte, dann erzählte erstmals Skilirus, ein König des Skythenvolkes auf der Krim, die Geschichte.
Seit dem siebten Jahrhundert vor Christus hatten sich die Griechen auf der Krim angesiedelt. Ihre Stadtstaaten, Chersones und Kerkinitis, waren viele Jahrhunderte reich und unabhängig. Hinter den Bergen aber, im Inneren der Halbinsel, herrschten die Skythen. Beinahe hätten sie die Halbinsel im zweiten Jahrhundert vor Christus erobert, als an die Stelle der Reitervölker die hellenisierte Monarchie der Tauroscythen trat. Der Herrscher der Skythen, Skilurus, hatte Kerkinitis eingenommen und verstand sich sehr gut auf die Kunst des Herrschens.
Auf seinem Sterbebett bat der König seine Söhne, ein Bündel von 50 Pfeilen zu zerbrechen. Als jeder seiner 80 Söhne ablehnte, zog er selber einen Pfeil nach dem anderen heraus und brach diese entzwei. So lehrte er sie, dass sie alleine schwach wären, aber stark, wenn sie zusammenhielten.
Die Brüder gehorchten dem Vater, aber das Reich der Tauroscythen wurde letztendlich doch vom Bosporianischen Reich geschluckt, das schnell unter die Herrschaft des Römischen Reichs fallen sollte. Die Römer wiederum wurden von den Goten und Hunnen verdrängt, denen die Byzantiner folgten. Die aber mussten fast vollständig dem Chasarischen Khaganat weichen. Letzteres war dem Fürstentum Tmutarakan erlegen, das alle Kumanen von dort vertrieb, die, bis die Mongolen kamen, ihre Stellung behaupteten. Die blutigen Kämpfe um die Macht währten auf der Krim über Jahrtausende.
2. Export der Pest
Im Jahr 1346 reiste eine Ratte mit einem Schiff nach Kaffa, heute Feodossija, einer Hafenstadt auf der Krim – sie sollte halb Europa zugrunde richten. Der schwarze Tod kam von der Krim und verbreitete sich in den Ländern der Alten Welt.
Die Pandemie entstand jedoch nicht auf der Krim. Die Ursprünge der Beulenpest des 14. Jahrhunderts vermutet man in den Oasen der Wüste Gobi. Sie entvölkerte zunächst Indien und China. Die Karawanen trugen sie jedoch weiter in Richtung Westen über die große Seidenstraße, die damals an die genuesischen Handelsniederlassungen im Schwarzmeerraum vorbeiführte. Vielleicht hätte hier die Beulenpest schon geendet und sich nicht weiter ausgebreitet, Kontinentaleuropa nie erreicht, wenn man sie nicht als Waffe eingesetzt hätte. Sie wurde aber als eine Form der ältesten Biowaffe genutzt: Die Mongolen, die die Hafenstadt Kaffa belagerten, katapultierten Pestleichen in die Stadt.
Das weitere Schicksal hing an einer Ratte, die über genuesische Schiffe in die Mittelmeerhäfen kam – die Pandemie war nun nicht mehr zu stoppen. Die frühe Lektion über die Kosten der Globalisierung kostete 20 bis 25 Millionen Europäern das Leben – einem Drittel der damaligen Bevölkerung.
3. Potjomkinsche Mythen
Das Begehren nach der Krim hat in der russischen Geschichte eine lange Tradition. Im 18. Jahrhundert verfolgten Katharina II. und ihr treuer Gefolgsmann Fürst Potjomkin dieses Projekt. Sie schlossen die nördlich vom Schwarzen Meer gelegenen Steppen an das Russische Reich an und bändigten die Tartaren, die lange im Süden Russlands für Unfrieden sorgten. Zu den annektierten Gebieten zählte auch das Krimkhanat. Fürst Potjomkin erhielt unbeschränkte Handlungsfreiheiten zur Entwicklung der neuen Gebiete.
1787 unternahm die Zarin eine Reise, um sich selbst ein Bild zu machen, wie ihr Fürst seinen Aufgaben gerecht wird. Die Reise von Katharina auf die Krim und zurück war ein beispielloses Aufgebot. Die Zarin wurde inkognito begleitet von dem österreichischen Erzherzog Joseph II. und einer ganzen Schar ausländischer Gesandter. Diese waren eingeladen worden, um sich einen persönlichen Eindruck davon zu verschaffen, wie Russland die neuen Gebiete regiert. In einer Schmähschrift hieß es ein Vierteljahrhundert später, Potjomkin hätte Attrappen wohlhabender Dörfer gebaut, um die ausländischen Gäste und die Zarin zu blenden. Tatsächlich aber war Potjomkin auf keinerlei Potjomkinsche Dörfer angewiesen – unter seiner Regentschaft hatte sich die Krim vom Ende der Welt in ein blühendes Land entwickelt. Der Fürst war ein frühes Opfer einer Schmutzkampagne geworden.
4. Attacke der Leichten Brigade
Am 25. Oktober 1854 führte James Brudenell, siebter Earl of Cardigan, 600 ausgewählte britische Kavalleristen im Sturmangriff in eine russische Geschützbatterie bei Balaklawa. Er verlor in dieser glanzvollen und selbstmörderischen Attacke fast die Hälfte seiner sogenannten Leichten Brigade, die zu einem häufigen Motiv in der Kunst wurde, besungen unter anderem von Alfred Tennyson und Iron Maiden. Der französische Marschall Pierre Bosquet drückte sich so aus: „Das ist brillant, aber kein Krieg. Das ist Irrsinn."
Das Zerschlagen der Leichten Brigade war der wirkungsvollste Sieg der russischen Truppen im Krimkrieg von 1854 bis 1856 – das wichtigste Ereignis, dem die Krim ihren Eingang in die Weltgeschichte verdankt. Die russische Armee konnte trotz ihrer Beharrlichkeit nicht den Krieg gegen ganz Europa gewinnen, ihre veralteten Waffen und die Korruption unter den Truppenführern taten ihr Übriges. Ohne Balaklawa und die Verteidigung Sewastopols hätte alles noch viel schlimmer aussehen können. Der Krimkrieg hat die Weltkultur außerdem um die nach dem Ort des Geschehens benannte Sturmhaube „Balaklawa" und die „Cardigan", eine von Graf Cardigan erfundene Strickjacke, bereichert – die Engländer hatten vor Sewastopol erbärmlich gefroren.
5. Die „Insel Krim"
In dem Roman des bekannten Schriftstellers Wassili Aksjonow „Die Insel Krim" figuriert die Halbinsel als russisches Taiwan und Hongkong – als Exil für die Verlierer des Bürgerkriegs, als Insel eines erfolgreichen Kapitalismus im Schatten des sozialistischen Imperiums, als eine Alternative zum russischen Modell vor dem Einzug sowjetischer Truppen.
Beinahe wäre das möglich gewesen. Die Krim war die letzte Bastion weißer Truppen im Bürgerkrieg, ein letzter Teil des alten, vorsowjetischen Russland. Die Truppen von Pjotr Nikolajewitsch Wrangel bekämpften monatelang die Rote Armee. Im November 1920 jedoch drangen rote Truppeneinheiten über das Eis auf die Krim vor und rannten ihre Verteidiger nieder. Wrangel schaffte es, 150 000 seiner Mitstreiter nach Konstantinopel zu evakuieren. 20 000 bis 120 000 Personen, die sich gegen eine Ausreise entschieden hatten, wurden im Zuge des „roten Terrors" hingerichtet.
6. Nazi-Bündnis und Vertreibung
1941 lebten auf der Krim etwa 200 000 Tataren, im Juli 1944 gab es fast keinen einzigen mehr. Bis 1989 lebte ein Großteil von ihnen in Usbekistan – zwischen 15 und 50 Prozent der krimtatarischen Bevölkerung jedoch hatten den Weg nicht überlebt oder versuchten, sich in den trockenen Steppen einzurichten. Dorthin hatte das sowjetische Innenministerium (NKWD) sie auf Beschluss der sowjetischen Führung deportiert.
Die Deportation war eine Strafe für ihren Verrat. Über das Ausmaß und den Charakter der Zusammenarbeit der Tataren mit den deutschen Faschisten wird bis heute erbittert diskutiert. Außer Frage steht, dass viele von ihnen die Deutschen unterstützt hatten. Sie arbeiteten als ortskundige Führer im Kampf gegen die Partisanen, stellten sich den Polizeieinheiten der Nationalsozialisten zur Verfügung und traten der SS-Gruppe „Krim" bei. Die Tataren hatten ihre Gründe, die sowjetische Macht zu hassen – durch sie hatten sie ihre Viehherden, Weinberge und Tabakplantagen verloren, ein großer Teil der nationalen Intelligenz war in den 1930er-Jahren Repressionen ausgesetzt gewesen. Dem Islam schließlich begegneten die Bolschewiki wie auch den anderen Religionen ohne Sympathie. Ob die alten Verletzungen allerdings einen neuen Krieg lohnten, sei dahingestellt. Die Krimtataren zahlten jedenfalls einen hohen Preis für die Entscheidung ihrer Landsleute, sich im Krieg auf die Seite der Nazis zu stellen.
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