Steppe, Datscha und Mammut: Russische Spuren in der deutschen Sprache

Eine Welle von Russizismen kam auf die deutsche Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg zu, als in der späteren DDR eine Reihe von „Sowjetismen“ auftauchte. Foto: Getty Images / Fotobank

Eine Welle von Russizismen kam auf die deutsche Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg zu, als in der späteren DDR eine Reihe von „Sowjetismen“ auftauchte. Foto: Getty Images / Fotobank

Die deutsche Sprache hat viele Wörter aus Nachbarländern oder von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs übernommen. Auch aus Russland stammen viele Begriffe, die heute allgegenwärtig verwendet werden. Auf den Spuren der deutsch-russischen Völkerverständigung.

Die Übernahme von Wörtern aus einem Sprachschatz in einen anderen setzt das Vorhandensein kultureller Kontakte zwischen den betreffenden Völkern voraus. Je älter und intensiver diese Kontakte sind, desto zahlreicher die jeweiligen sprachlichen Einflüsse. 

Schon aufgrund der großen räumlichen Entfernung war die Reisetätigkeit von Russland nach Deutschland und umgekehrt jahrhundertelang nicht besonders intensiv. Selbst die Tatsache, dass bereits im elften Jahrhundert Eupraxia, eine Schwester des Kiewer Großfürsten Wladimir Monomach, unter dem Namen Adelheid als Gemahlin Heinrichs IV. deutsche Kaiserin war, hatte auf diese Situation praktisch keinen Einfluss. Vielleicht lag es am Heimweh der Kaiserin, dass die Ehe nach sechs Jahren wieder geschieden wurde. 

Eine gewisse Belebung des deutsch-russischen Austauschs trat erst im 14. und 15. Jahrhundert ein, in der Blütezeit der Hanse, als die deutschen Hansestädte eine feste Niederlassung in der russischen Stadt Nowgorod unterhielten. Da der Handel im Vordergrund blieb, war wenig Raum für kulturellen oder sprachlichen Austausch. Die mittelniederdeutsche Sprache, Handelssprache der Hanse, hatte in der Wirtschaftssprache Einfluss auf die Bürger Nowgorods und Russlands. Doch erst seit Peter dem Großen (1672-1725) und in der Folgezeit durch deutsche Gemahlinnen und Zarinnen wurden die Bedingungen geschaffen, die eine gegenseitige sprachliche Beeinflussung ermöglichten.

Die Übernahme von Fremd- oder auch Lehnwörtern wird vor allem dann möglich beziehungsweise notwendig, wenn Begriffe auftreten, für die es in der aufnehmenden Sprache keine Bezeichnung gibt.

Von der Hanse bis Katharina der Großen

Am Beginn dieser Entwicklung dürfte das Wort stehen, das im Deutschen die Menschen aus Russland, aus der „Rus“, bezeichnete: in der adaptierten Form „Reussen“ ist es bereits im 13. Jahrhundert im weit verbreiteten niederdeutschen Epos „Ortnit“ belegt. Auch das Wort „Zar“ dürfte nahezu zeitgleich mit der Inanspruchnahme dieses Titels durch die Moskauer Großfürsten übernommen worden sein und stammte ebenso wie „Kreml“, „Rubel“ und „Kopeke“ wohl noch aus der Zeit der Hanse, nachdem sie im 14. Jahrhundert im Moskauer Großfürstentum als neue Währungseinheit die Grivna abgelöst hatten. Besonders der Rubel ist im Deutschen sehr heimisch geworden, er liegt sogar einer deutschen Redensart zugrunde: „der Rubel muss rollen“, was so viel bedeutet wie „das Geld muss unter die Leute“. 

Ab der Regierungszeit des russischen Zaren Ivans IV., des Schrecklichen, (1547-1584) kamen mehr und mehr Deutsche nach Russland, darunter nicht nur Söldner und Abenteurer, sondern auch Diplomaten, die mit interessanten Erfahrungen in die deutschen Lande zurückkehrten und äußerst interessante Reiseberichte verfassten, wodurch bisher Unbekanntes direkt mit ihren russischen Namen ins Deutsche eingingen. Diese Tendenz wurde in der Zeit Peters des Großen fortgesetzt und noch verstärkt. An Russizismen jener Epoche kann man hier etwa „Knute“, „Kosak“, „Steppe“, Troika“ „Pope“, „Kummet“ oder „Mammut“ anführen. Auch „Petschaft“ geht sicher auf „pečat“ zurück, allerdings ist wahrscheinlicher, dass dieses Wort über Slowenien nach Österreich kam. In diese Gruppe gehört wohl auch der „Nerz“ in der Bedeutung „Pelz aus dem Fell dieses Tieres“, während „Troika“, Sarafan“, „Samowar“ und „Machorka“ im deutschen Sprachgebrauch erst für das Ende des 19. beziehungsweise das 20. Jahrhundert bezeugt sind. Die jüngsten Neuzugänge in der deutschen aus der russischen Sprache sind die Termini „Sputnik“, „Kosmonaut“, „Perestroika“ und „Glasnost“.

DDR: Hort russischer Begriffe bis heute

Eine letzte Welle von Russizismen kam auf die deutsche Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg zu, als in der späteren DDR eine Reihe von „Sowjetismen“ auftauchte. Im Gefolge der sowjetischen Militärverwaltung kam eine größere Anzahl deutsche Politiker und Funktionäre aus der Emigration nach Deutschland zurück, die dem Neuaufbau weitgehend das ihnen vertraute sowjetische System zugrunde legten und eine Reihe von russischen Begriffen ins Deutsche einführten. Dieser Trend wurde natürlich auch durch den engen Austausch von Russen und Deutschen unterstützt, sodass wir hier neben offiziellen Bezeichnungen wie „Politbüro“, „Arbeiter- und Bauernfakultät“, „Kandidat der Wissenschaften“, „Attestation“ „Pionierhaus“, „Apparatschik“, „Brigadier“, „Subbotnik“, „Tschekist“, „Tankist“ auch neue Wörter aus der Umgangssprache antreffen, wie zum Beispiel „Datscha“, „Talon“ oder „Putjowka“. Eine weitere Quelle für die Übernahme einzelner Lexeme bildeten die zahlreichen, staatlich geförderten Übersetzungen sowjetischer Schriftsteller, ein gutes Beispiel dafür ist das Wort „Timurhelfer“ („timurovec“).

Dass diese Entlehnungen, denen in der Bundesrepublik eine weitaus größere Anzahl von Amerikanismen entgegenstand, auf das Gebiet der DDR beschränkt blieben und nach der Wiedervereinigung bald in Vergessenheit gerieten – vielleicht mit Ausnahme der Datscha –, ist angesichts der veränderten Alltagsrealität durchaus verständlich.

Die Anzahl der Russizismen im Deutschen ist heute relativ gering, was vor allem dadurch bedingt ist, dass auch die Anzahl der in Deutschland lebenden Russen und damit ihr Einfluss auf die deutsche Sprache während der ganzen Zeit sehr beschränkt war. Ganz anders aber stellt sich die Situation umgekehrt dar: In Russland lebten seit Peter dem Großen und vor allem seit Katharina II. sehr viele Deutsche, die dorthin ausgewandert waren und nicht nur ihre Kultur, sondern ihre ganze Lebensweise samt den typischen Alltagsgegenständen mitgebracht hatten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es im Russischen erheblich mehr Wörter mit deutschem Ursprung gibt als umgekehrt.

Prof. Dr. phil. Alfons Höcherl ist Slawist, Akademischer Direktor i. R., zuletzt Leiter des Sprachenzentrums an der Universität Passau. Seit 2009 lehrt er regelmäßig als DAAD-Dozent an der RGGU Moskau.

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