Priester Thomas Diez: Sein Weg zum russisch-orthodoxen Glauben war lang und steinig. Foto: Nuriya Fatykhova
Die Moskauer Kirche des Allgnadenreichen Erlösers, in der Foma Diez sein Priesteramt versieht, gehörte vor der Revolution zu einem Kloster. Im Hauptgebäude, wo seinerzeit die Gottesdienste stattfanden, steht heute ein Wachmann am Eingang. Er lässt nur Besucher passieren, die in die Anwaltskanzlei möchten, die sich hier seit einigen Jahren eingemietet hat. „Wenn Sie beten wollen, dann gehen Sie in den roten Ziegelbau um die Ecke“, erklärt er. „Dort wohnt auch Foma Diez, falls Sie den suchen.“
Batjuschka Fomá (die russische Entsprechung von Vater Thomas) ist der einzige deutsche russisch-orthodoxe Geistliche in Russland. Seine Familie wohnt im Erdgeschoss eines schönen Backsteinhauses, das dem Kloster einst als Wirtschaftsgebäude diente. Vom Korridor gehen drei Türen ab. Eine führt in das Zimmer des Kirchenvorstehers, die zweite in die Wohnung von Vater Foma und die dritte in die Kirche.
„Zu Sowjetzeiten war das eine Turnhalle“, erzählt der deutsche Priester auf Russisch. Er spricht schnell, mit leichtem Akzent. „Es gäbe hier noch viel zu sanieren, aber bis jetzt hat das Geld nur für das Ausbessern der Fassaden gereicht.“
Auf dem alten Holzfußboden der Kirche sind noch die Markierungslinien eines Basketballfeldes zu sehen. In den Ecken liegen Säcke mit Baumaterial. Doch weder Vater Foma noch die Mitglieder seiner Gemeinde stört das im Geringsten.
Eine deutsch-polnische Familie
Vater Foma räumt freimütig ein, dass er sich mit einer großen Portion Zweifel im Bauch auf den Weg nach Russland machte: „Anfänglich habe ich gedacht, ich würde hier entführt, ausgeraubt oder
betrogen.“ Aber das Interesse an der russischen Orthodoxie und
der Wunsch, Priester zu werden und gleichzeitig eine Familie zu gründen, waren größer als alle Skepsis.
Und Foma Diez fand sein Glück. Im gemischten Chor der Geist
lichen Akademie traf er seine zukünftige Frau, eine ebenfalls
orthodox gläubige Polin. Anfangs schenkte Joanna dem Deutschen keine Beachtung.
„Einmal ist eine Bekannte aus meiner Studiengruppe gekommen und hat gesagt: ‚Weißt du eigentlich, dass sich jemand für dich interessiert?‘“, erzählt Matuschka Joanna, wie sie seit der Eheschließung genannt wird. Aber Joanna dachte anfangs nicht im Geringsten an Heirat, zeitweise wollte sie sogar in ein Kloster eintreten. Und doch wurde sie neugierig: „Wer interessiert sich für mich?“ Als sie hörte: „Foma!“, fragte sie erstaunt zurück: „Wer ist denn das?“ Bald schon suchte Foma selbst ihre Nähe und fragte ganz unverblümt: „Hältst du es für möglich, dass wir uns besser kennenlernen und vielleicht heiraten?“
Foma und Joanna, die in Russland eine Ausbildung zur Kirchenchordirigentin absolvierte, haben vier Kinder. Nika, Maria, Vera und Anna sprechen gleich mehrere Sprachen: mit der Mutter Polnisch, mit dem Vater Deutsch und mit ihren Freunden im Kindergarten oder in der Schule Russisch.
Vater Foma mit seinen Kindern. Foto: Nuriya Fatykhova
Die kleine Kirchenwohnung ist für die große Familie nur eine Unterkunft auf Zeit. Bereits vor mehreren Jahren hatte der deutsche Geistliche bei einer Baugesellschaft investiert, die dann aber bankrott ging. Mit Hilfe des Gouverneurs des Moskauer Gebiets erhielt die Familie schließlich doch ihr Domizil. Und die Gemeindemitglieder unterstützen Foma und Joanna nach Kräften. Die einen gehen mit den Kindern spazieren, andere stehen den Eltern in Alltagsfragen mit Rat und Tat zur Seite oder bringen Kleidung für die Kleinen vorbei.
Der weite Umweg zum russisch-orthodoxen Glauben
„Als Kind habe ich die Kirche nicht gemocht“, gibt der Geistliche zu. Was für ein hässlicher Betonkasten, dachte der zehnjährige Thomas, wenn er mit seinem Vater die evangelische Kirche in Ottobrunn, einem Vorort von München, besuchte.
Die Krise, die Thomas Diez als Heranwachsender durchlebte, ließ ihn den Weg zum Glauben finden. Allerdings nicht zum protestantischen, sondern zunächst zum katholischen. Weder der Vater noch die Mutter verstanden ihn, als er sein Architekturstudium unterbrach und nach Westberlin ging, um sich dort in der Mission der Katholischen Kirche zu engagieren. Das war im Jahr 1988, als die Tausendjahrfeier der Christianisierung Russlands begangen wurde.
„Unter dem Eindruck dieses Ereignisses habe ich dann Bücher und Artikel über den russisch-orthodoxen Glauben gelesen“, erinnert sich Vater Foma. „Als ich erfahren habe, wie es der Russisch-Orthodoxen Kirche unter dem Kommunismus erging, dass es Verfolgungen und Martyrien gab, hat mich alles interessiert, was im Zusammenhang mit Russland stand.“
In Berlin kaufte sich der junge Mann die ersten Audiokassetten, um Russisch zu lernen. Fortan widmete der katholische Architekturstudent seine gesamte Freizeit der Geschichte und Kultur Russlands und der Russisch- Orthodoxen Kirche. Manch einer fragte beim Anblick der Bücher in den Regalen seiner Studentenwohnung: „Willst du nun Architekt werden oder russischer Geistlicher?“
Als Thomas Diez beschließt, vom Katholizismus zur Russisch- Orthodoxen Kirche überzutreten, hat er bereits ein Studium der Philosophie und Theologie an der Päpstlichen Hochschule Gregoriana in Rom hinter sich. Aber der römisch-katholische Glaube und die Begeisterung für die russische Orthodoxie ließen sich für den jungen Mann nicht länger vereinbaren. Die meisten seiner Bekannten, die aus der katholischen Bewegung des Neokatechumenats stammten, brachen den Kontakt zu ihm ab.
Mit 40 auf die Schulbank
Als 36-Jähriger wurde Thomas Diez in der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche getauft. Gleich danach begann er im Kirchenchor zu singen, was eine intensive Beschäftigung mit dem Kirchenslawisch erforderte.
Drei Jahre später fuhr er dann nach Russland, um sich am Priesterseminar der Moskauer Geistlichen Akademie ausbilden zu lassen. Dabei galt es, Bibelkunde, Kirchengeschichte, Philosophie oder Lithurgik zu bewältigen. In den kirchlichen Bildungsstätten Russlands werden die Kenntnisse der angehenden Geistlichen wie in Schulen nach einem fünfstufigen Notensystem bewertet, wonach man Testate und Prüfungen absolviert.
„Manche Vorlesungen habe ich nur mit Mühe verstanden“, erinnert sich Foma. Zudem war er mit 40 Jahren der Älteste, viele der anderen Seminaristen hätten seine Söhne sein können. Vor der Abreise hatte er von einem Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche in München zu hören bekommen: „Ich wette, dass Sie in spätestens zehn Monaten wieder hier sind.“ Doch Thomas Diez hielt durch, schloss die Ausbildung ab, fand seine Frau, gründete eine Familie und trat in den Dienst der Russisch-Orthodoxen Kirche.
Unser Gespräch wird unterbrochen von einer jungen Frau, die zur Tür des Refektoriums hereinschaut. „Vater Foma, können Sie meiner Mutter die Krankensalbung spenden? Sie liegt im Krankenhaus.“ – „Schreiben Sie mir die Adresse und Ihre Telefonnummer auf. Ich fahre hin.“ Für diese Antwort erntet der Geistliche ein dankbares Lächeln.
Die Mitglieder der Kirchengemeinde lieben Vater Foma. Und es macht ihnen nichts aus, dass er beim Gottesdienst mit leichtem Akzent spricht, aus Deutschland stammt und obendrein einmal Katholik war. Für sie ist er ihr geistlicher Hirte. „Nur beichten kommen die Gläubigen nicht gern zu mir“, schränkt Vater Foma etwas bekümmert ein. „Sie denken sicher, dass ich mit meiner deutschen Mentalität ihre russischen Probleme nicht wirklich verstehen kann.“
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