Das Hexenhaus bleibt in Kunzewo

Für sein Engagement zeichnete die Wochenzeitung Moskowskije 
Nowosti Andrej Salnikow im Dezember 2012 mit dem Preis „Neue Intelligenz“ aus. Foto: RIA Novosti

Für sein Engagement zeichnete die Wochenzeitung Moskowskije 
Nowosti Andrej Salnikow im Dezember 2012 mit dem Preis „Neue Intelligenz“ aus. Foto: RIA Novosti

Der Holzschnitzer Andrej Salnikow wollte den Kindern seines Viertels etwas Gutes tun. Also tat er, was er ohnehin kann: einen Spielplatz bauen. Dann traten die Beamten auf den Plan.

Uliza Molodogwardejskaja, Haus 41. In Kunzewo am Westrand der russischen Hauptstadt kennen viele diese Adresse. In einem Innenhof zwischen fünfstöckigen Backsteingebäuden liegt der Spielplatz von Andrej Salnikow. Von den Kindern und ihren Eltern ist er seit Jahren stark frequentiert – weil er anders ist als die normalen Spielplätze mit ihren Rutschen und Schaukeln.

Doch dann kam eine neue Stadtteilverwaltung – und die wollte die „nicht genehmigten Bauten" entfernen lassen. Andrej suchte Unterstützung bei den Nachbarn, die sammelten Unterschriften für den Erhalt des Areals. Jetzt schleppt Salnikow, ein kräftiger Mann Anfang 50, rohe Bretter aus dem benachbarten Hof zum Spielplatz. „Die haben sie weggeworfen, für mich sind sie aber genau richtig. Ich will daraus eine Schneerutschbahn machen, so eine breite, wie ich sie in meiner Kindheit hatte. Ich bin in der Gegend von Murmansk geboren, da sind wir im Winter immer auf solchen Bahnen gerodelt."


Die Familie von Baba Jaga

 An ausnahmslos allen von Salnikow gezimmerten „Stationen" tummeln sich Kinder. Die Eltern machen Fotos von ihnen: „Mascha, stell dich an den Schiffsmast!" „Wanja, schau etwas ängstlicher, du bist doch in der Hütte der bösen Baba Jaga!" Letzteres Bauwerk ist besonders beliebt: Laut russischem Märchen lebt die Hexe Baba Jaga in einer Hütte, die von zwei Hühnerbeinen getragen wird. Auf die Beine hat Salnikow verzichtet. Der Statik zuliebe.

„Ich weiß, dass diese Dinge illegal sind", erklärt er. „Aber ich habe das gebaut, damit die Kinder – darunter meine eigenen – nicht im Viertel auf Abenteuersuche gehen müssen, sondern hier spielen können. Hier sind alle zusammen, die ganze Familie."


Lasst den Kindern ihre Ruhe

 Das fünf Meter lange hölzerne Schiff hat Salnikow zu Ehren seiner jüngsten Tochter „Zlata" getauft. „Auf dem Schiff spielen die Kinder Piraten oder den Untergang der 'Titanic'. Ich verscheuche die Eltern immer und sage: ‚Die Kinder sollen mal vor euch ihre Ruhe haben, gebt ihnen die Freiheit, das zu tun, was sie wollen, lasst ihnen ihre Fantasie, dann entwickeln sie sich richtig. Und ihr achtet nurdarauf, dass nichts passiert."

Mit dem Bau des Spielplatzes begann Salnikow vor sieben Jahren, als die Bezirksverwaltung im Innenhof eine Rutsche aus Metall aufstellte. Sie hatte kein Geländer, und die Eltern standen ständig mit hochgereckten Armen da, um die Kleinen aufzufangen, wenn sie einen falschen Schritt taten. Da zimmerte Salnikow ein Holzgeländer und ebnete alle Löcher. Danach nagelte er breite Bretter auf die Einfassung des Sandkastens, damit die Kinder „Kuchen" backen konnten.


Wie der Vater, so der Sohn

 „Ich arbeite nicht den ganzen Tag auf dem Spielplatz. Meist nur abends und am Wochenende. Ich bin Privatunternehmer und kann mir die Zeit selbst einteilen. Ich zimmere Möbel und allerlei Gebrauchsgegenstände aus Holz. Aber das Schiff und das Hexenhäuschen – das ist meine Geschenk an die Kinder."

Eigene Kinder hat Salnikow auch, sechs an der Zahl. Die Hälfte ist schon aus dem Haus, in dritter Ehe hat er nun noch einmal drei Nachzügler bekommen. Der neunjährige Dima werkelt gern zusammen mit ihm im Hof, hilft beim Brettertragen und berichtet seinen Spielkameraden stolz, wie er und Papa gemeinsam den Spielplatz bauen.

„Vor einiger Zeit kamen zwei junge Frauen von einer Bürgerorganisation mit dem Vorschlag, ich sollte ihre Initiative anführen. Natürlich habe ich mir erst mal angehört, was sie zu sagen hatten. Und dann", sagt Andrej lachend, „habe ich losgelegt, von mir zu erzählen." Von seinen Sex-Heldentaten in jungen Jahren, von dem Denkzettel, den er betrunkenen Jugendlichen, die auf den Spielplatz pinkeln, verpasst. „Die Damen hörten sich das alles an, schlackerten mit den Ohren – und weg waren sie", sagt Andrej schmunzelnd.


Die Behörden und das Volk

Er will kein Anführer sein, von Politik und Demonstrationen hält er wenig: „Ich finde es einfacher, wenn du tust, was du kannst. Man muss die Dinge einfach nur anpacken, statt mit Transparenten herumzustehen." Allerdings ist ihm durch den Bau des Spielplatzes auch eines klar geworden: der Zusammenhang zwischen Behörde und Volk. „Die Behörden engagieren sich, wie ich sehe, nicht für die Interessen des Volkes, sondern ausschließlich für ihre eigenen."

Salnikow erzählt ironisch, welche Überwindung es ihn gekostet habe, sich über die Regeln eben jener Behörden hinwegzusetzen. Noch genau erinnert er sich an das Gefühl, als er zum ersten Mal einen Bordstein aus dem Boden riss, weil er hinter dem Haus eine Parkfläche für die Autos anlegen wollte. „Da war mir richtig mulmig zumute", sagt er. Er ließ sein Auto mit offenen Türen in der Nähe abgestellt, um jederzeit die Brechstange hineinwerfen und abhauen zu können, sollte die Miliz auftauchen.

„Und was meinen Sie, welche Angst ich hatte, als ich dieses Schiff hier baute", erzählt er. Ungefähr fünf Monate zimmerte er daran, und erst mit der Zeit wurde es etwas ruhiger: „Ich konnte sehen, dass vielen gefällt, was ich mache, dass sie mich unterstützen, die Erwachsenen wie die Kinder."


Kein Gang durch die Instanzen

Wäre er zuerst zu den Behörden gegangen, er hätte nie eine Genehmigung bekommen. Davon ist er überzeugt. Weshalb? „Weil es einfacher ist, eine ‚amtlich zugelassene' Spielplatzausstattung hinzustellen und dafür noch jemandem Geld zuzuschanzen", schimpft er.

„Leben – das ist ein Kampf um das Leben", steht am Mast des Schiffes „Zlata". Der Spruch stammt von Salnikows Großvater. Der hat ihn von der Front mitgebracht. Für Salnikow sind die Worte auch heute noch aktuell. „Es läuft ja darauf hinaus, dass ich den Staatsdienern Konkurrenz mache", sagt er. Als er das Geländer für die Rutschbahn gezimmert und Bretter auf die Sandkastenränder genagelt hatte, kam eine Abordnung aus der Stadtverwaltung und befand: „Das muss alles wieder weg." Aber die Eltern aus den Häusern fauchten die Beamten so an, dass diese nie wiederkamen. „Die neue Verwaltung nun will wieder alles abreißen", erzählt Salnikow.

Derzeit ist er auf der Suche nach kreativen Leuten, die Lust haben, mit ihm zusammen das hässliche Transformatorenhäuschen anzumalen. Das ist zwar ebenfalls nicht offiziell erlaubt, sieht dafür aber schön aus. Und die Farben sollen die Enthusiasten am besten gleich selber mitbringen.

 

Epilog

Inzwischen steht am Spielplatz ein Schild: „Der Bezirk Kunzewo informiert, dass die Objekte an der Straße Molodogwardejskaja 41 Kunstwerke sind und den 
Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen. Die Nutzung dieser Objekte als Spielzeug kann Ihrer Gesundheit schaden".

Und was sagen die Behörden selbst dazu? „Niemand wollte und will diesen wundervollen Spielplatz abreißen." So ließ es ein Sprecher des Westlichen Verwaltungsbezirks verlauten, nachdem der Bezirk Kunzewo nicht bereit war, sich dazu zu äußern. „Alles begann damit, dass sich zwei alte Frauen beim Ordnungsamt beschwerten, auf dem Spielplatz sei es zu laut. Aber wir haben hier 262 Unterschriften von Anwohnern, die für dessen Erhalt sind. Die Meinung der Bewohner ist uns sehr wichtig. Und wir schätzen es, dass in unserem Bezirk Menschen wohnen, die bereit sind, selber Spielgeräte für ihre Kinder zu bauen."

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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