Russland gibt „South Stream“ nicht auf

Bild: Alexej Jorsch

Bild: Alexej Jorsch

Auf Druck der Europäischen Union und den USA verkündeten Bulgarien und Serbien im Juni die Einstellung der Arbeiten am „South Stream“-Projekt. Doch das heißt nicht, dass das Projekt komplett aufgegeben wurde. Russland sucht deshalb nach Unterstützern in der EU.

Im Juni 2014 verkündeten Bulgarien und Serbien die Einstellung der Arbeiten am „South Stream"-Projekt. Diese Aussagen bedeuten allerdings nicht, dass das Projekt komplett aufgegeben worden ist. Brüssel und Washington üben in dieser Hinsicht vor allem auf Bulgarien als schwächstem und wirtschaftlich abhängigsten Projektteilnehmer enormen Druck aus – nicht ohne Wirkung. Dabei sind die Beanstandungen der Europäischen Kommission ziemlich nebulös und stellen keine einheitliche Position der Mitgliedstaaten dar. Dieses Vorgehen ermöglicht Brüssel im weiteren Verlauf jedoch, seine Haltung ganz in Abhängigkeit von den aktuellen Umständen zu konkretisieren. Momentan wird in der EU über die Übereinstimmung des Erdgaspipeline-Projekts mit den Anforderungen des dritten Energiepakets gestritten.

Nicht zu zweifeln ist am Zusammenhang der Ereignisse um das „South-Stream"-Projekt mit der Krise in der Ukraine im Konkreten und der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen im Allgemeinen. Aber es existiert da auch noch die – aus meiner Sicht – nicht ganz so wesentliche Frage des Konzeptes der europäischen Energieversorgung. Auch wenn die Bedingungen des dritten Energiepakets vorschreiben, dass Förderung und Transport des Erdgases nicht in der Hand eines einzigen Unternehmens liegen dürfen, so gab es bisher noch keinen Präzedenzfall einer erzwungenen Entflechtung. Die Gunst der Stunde wird nun genutzt, um Russlands Bereitschaft zur Annahme der Bedingungen der EU zu testen. Wenn Russland auf die Bedingungen der EU eingehen sollte, wird Brüssel versuchen, Korrekturen in das Format des Energie-Dialogs einzubringen.

Die künstlich verzögerte Realisierung des Projekts ist jedoch nicht einfach nur eine Erpressung Moskaus mit dem Ziel, Vergünstigungen für Kiew herauszuschlagen. Natürlich liegt das Schicksal der ukrainischen Wirtschaft den Europäern am Herzen, jedoch nicht so sehr wie das eigene. Vielmehr sollte dieses Vorgehen nicht als Sanktion des Westens gegenüber Russland angesehen werden. Für Europa stellt die Verzögerung des Projekts nicht so sehr einen Versuch dar, Russland abzustrafen, als es zu zwingen, nach den Spielregeln der Europäischen Union zu spielen. Für die USA allerdings, die sich in dieser Beziehung sehr stark engagieren und einen immensen Druck auf Bulgarien und Serbien ausüben, sind diese Vorgänge vor allem Teil eines politischen Kampfes.

Um einen Standpunkt im Dialog mit der Europäischen Union ausarbeiten zu können, müssen mehrere Faktoren in Betracht gezogen werden: Zum einen gab es zu keiner Frage bis zum heutigen Tag eine einheitliche europäische Position. Zum anderen existiert in der EU seit Langem schon die Absicht, die russischen Unternehmen aus Europa herauszudrängen oder ihnen zumindest den Marktzugang zu versperren. So war es beispielsweise im Fall des missglückten Übernahmeversuchs von Surgutneftegas durch das ungarische Erdölunternehmen MOL. In naher Zukunft wird auch Gazprom Probleme in den baltischen Staaten haben.

 

Russland muss Befürwortern den Rücken stärken

Vor diesem Hintergrund haben sich die Regierungen Österreichs und Serbiens bereits für eine Fortsetzung der Bauarbeiten an der „South-Stream"-Pipeline ausgesprochen. Einer Mitteilung des Pressesprechers des österreichischen Kanzlers zufolge wird Wien sich bei der Europäischen Kommission für eine Fortsetzung des Projektes einsetzen. Der Text der gemeinsamen Erklärung wird gegenwärtig vorbereitet. Deren Initiator ist aller Wahrscheinlichkeit nach der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi. Ihm werden sich Bulgarien, Serbien, Ungarn, Slowenien, Kroatien und Österreich anschließen – Länder, durch deren Hoheitsgebiet die Pipeline verlaufen soll.

Wegen der Verzögerung bei der Umsetzung des Projekts wird auch die Möglichkeit des Baus einer Erdgaspipeline durch die Türkei in Betracht gezogen, obwohl das Land kein Mitglied der Europäischen Union ist. Ankara ist in dieser Situation der große Gewinner. Abgesehen vom

russischen Vorhaben geht jedes andere Projekt einer Gasdurchleitung nach Süd- und Osteuropa von einer obligatorischen Beteiligung der Türkei aus. Als bei dem Projekt „South Stream" erste Probleme auftraten, fuhr der Präsident Turkmenistans, Gurbanguly Berdimuhamedow, deshalb auch gleich zu einem Staatsbesuch nach Ankara.

Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass die Entscheidung der bulgarischen Regierung zur Einstellung der Arbeiten an dem „South-Stream"-Projekt in einem nicht geringen Maße mit dem Auseinanderbrechen der Regierungskoalition und der Forderung des Chefs der pro-türkischen Bewegung für Recht und Freiheit, Ljutvi Mestan, nach vorgezogenen Parlamentswahlen zusammenhängt.

Ungeachtet dessen, dass die Arbeiten an der Realisierung des „südkaukasischen Energiekorridors" in vollem Gange sind, kann dieses Projekt dennoch kein vollwertiger Ersatz für „South Stream" werden, da es zum einen nicht all jene Länder einschließt, durch deren Territorium die russische Erdgaspipeline verlaufen soll. Zum anderen verfügt es lediglich über eine knapp halb so große Kapazität (30 gegenüber 63 Milliarden Kubikmeter pro Jahr). Das Gasvorkommen ist zudem nicht sonderlich hoch – die Lagerstätte in Aserbaidschan vermag nicht mehr als zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu liefern. Immer noch ist auch die Teilnahme Turkmenistans an diesem Projekt ungeklärt, da der Status des Kaspischen Meeres nicht geklärt ist und die Risiken durch die Situation im Iran schwer abzuschätzen sind. Die Lösung könnte ungeachtet der Komplikationen die Integration der Lagerstätte im Nordirak sein – diese sollte ursprünglich sowieso ein Teil des „Nabucco"-Projekts werden.

Die Aufgabenstellung Russlands in dieser Etappe besteht darin, den Befürwortern des „South-Stream"-Projekts in der Europäischen Union den Rücken zu stärken und die Interessenten an dem Vorhaben zu

unterstützen – freilich ohne dabei seine eigenen Interessen zu vernachlässigen. Zudem muss ein gemeinsamer Nenner mit der Türkei gefunden und eine Polarisierung des Status des Kaspischen Meeres vermieden werden. Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass in Bulgarien höchstwahrscheinlich vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden werden, bei denen die konservative Partei von Bojko Borissow gute Chancen auf einen Sieg haben dürfte. Denkt man an das eingestellte Projekt des Kernkraftwerks Belene und die nicht gebaute Pipeline von Burgas nach Alexandroupoli zurück, sollte man nicht an dem kolossalen Risiko des „South-Stream"-Projekts zweifeln.

 

Der Autor ist promovierter Historiker und Dozent am Lehrstuhl für neue und jüngste Geschichte an der Wirtschaftshochschule Perm.

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