Ukraine und EU: Eine kluge Wahl?

Bild: Konstantin Maler

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Nach der Unterzeichnung des wirtschaftlichen Teils des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union wäre die Ukraine lieber heute als morgen ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Gemeinschaft. Doch ist das der richtige Weg?

Der Präsident der Ukraine, Pjotr Poroschenko, unterzeichnete Ende Juni den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Um zu verstehen, welche Auswirkungen das für die Ukraine, die Europäische Union, Russland und die Vereinigten Staaten haben wird, hilft eine Betrachtung der Ziele und Erwartungen jeder einzelnen Seite.

Die USA sind ein Global Player, der Anspruch auf die führende Rolle in internationalen Projekten erhebt, unabhängig davon, ob sie global, regional oder transkontinental ausgerichtet sind. Die Europäische Union und Russland sind Player von internationaler Bedeutung, für die europäisch-afrikanische (für die Europäische Union) beziehungsweise eurasische (für Russland) Projekte von vorrangiger Bedeutung sind. Die Ukraine ist ein innereuropäischer regionaler Player, der seine internationale Bedeutung durch Projekte mit globalen oder transkontinentalen Playern aufwerten kann.

 

Die Ukraine hat Europa gewählt

Die geografische Lage der Ukraine zwischen der Europäischen Union und Russland beschränkt die Auswahl der internationalen europäischen Zusammenarbeit auf drei Optionen: ausschließlich mit der Europäischen Union, ausschließlich mit Russland oder sowohl mit der Europäischen Union als auch mit Russland. Die Geografie des Außenhandels zeigt, dass sich bei den Außenbeziehungen der Ukraine nahezu ein Gleichgewicht herausgebildet hat: Der Warenumsatz mit der Europäischen Union beträgt 25 bis 30 Milliarden Euro, mit Russland und den anderen Ländern der Zollunion, Belarus und Kasachstan, 37 bis 44 Milliarden Euro – wobei die Ukraine in die Länder der Zollunion Hochtechnologiegüter wie Maschinen, Motoren, Gerätetechnik, in die Länder der Europäischen Union dagegen Halbfabrikate wie Eisenerz, Erdölprodukte, Getreide und Rohstoffe exportiert.

Dabei sollte berücksichtigt werden, dass die Länder der Zollunion über ein höheres Wirtschaftswachstum als die Mitgliedstaaten der Europäischen

Union verfügen und die Nachfrage nach ukrainischen Produkten vor dem Hintergrund der Industrialisierung, die gegenwärtig in diesen Ländern erfolgt, zunehmen wird. Folgerichtig sollten die natürlichen Wirtschaftsinteressen der Ukraine also darin bestehen, gleichzeitig mit der Europäischen Union und der Zollunion zusammenzuarbeiten, wobei die Wirtschaftsaktivität sich allmählich in Richtung der Zollunion verschieben sollte. In diesem Falle könnte ein höheres Wirtschaftswachstum und ein besserer Beschäftigungsgrad der Bevölkerung ermöglicht und eine brauchbare Goldreserve aufgebaut werden.

Die politische Entscheidung, die die Ukraine mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union getroffen hat, weist jedoch auf eine diametral entgegengesetzte Ausrichtung ihres politischen Kurses hin. Mit der Unterzeichnung des Wirtschaftsabkommens mit der Europäischen Union entscheidet die Ukraine sich für die Zusammenarbeit mit der immer schwächer werdenden europäischen Wirtschaft und einer Stärkung des Rohstoffsektors ihrer eigenen Wirtschaft. Die Ukraine hat also faktisch eine Entscheidung gegen ihre nationalen Wirtschaftsinteressen getroffen.

 

USA und Europäische Union profitieren, Russland verliert

Das Abkommen der Ukraine mit der Europäischen Union gestattet es, die rechtlichen Einschränkungen und Verpflichtungen nicht nur zum Erreichen der Ziele der Europäischen Union, sondern auch der Vereinigten Staaten zu nutzen. Erstens wird sich der Export von Hochtechnologiegütern in die Länder der Zollunion deutlich verringern, vor allem von Produkten für die Rüstungsindustrie sowie den Raketen- und Raumfahrtkomplex Russlands, was in den nächsten Jahren unweigerlich zu einer Schwächung des Verteidigungspotenzials Russlands führen wird. Zweitens entsteht in der Ukraine ein neuer Absatzmarkt für US-amerikanische Rüstungsgüter.

Drittens wird dadurch ein Potenzial zur Destabilisierung der russischen Gaslieferungen nach Europa aufgebaut und die Bedingungen zur Aufnahme der Schiefergasförderung in der Ukraine durch US-amerikanische Unternehmen geschaffen. Und viertens wird dadurch das Wirtschaftswachstum der Europäischen Union als globalen Hauptkonkurrenten der US-Wirtschaft weiter gebremst, da die Europäische Union ihre Anstrengungen auf die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft konzentrieren muss. Zu einem vergleichbaren Erlahmen des Wirtschaftswachstums kam es in Deutschland während der Modernisierung der neuen Bundesländer.

Das Wirtschaftsabkommen öffnet die ukrainischen Märkte vollständig für die europäischen Waren, das Arbeitslohnniveau in Europa wird infolge billiger ukrainischer Arbeitskräfte weiter sinken, Europa verbessert seine Ressourcenlage und rückt näher an die Erdgas- und Erdölfördergebiete heran, die Eurozone wird ausgedehnt. Auf diese Weise bringt die Assoziation für die europäische Wirtschaft mehr Vorteile als Nachteile mit sich. Nachteile wird es auf dem Arbeitsmarkt für die europäischen Arbeitskräfte geben, die, ungeachtet der starken Position der Gewerkschaften und der Rolle der sozialdemokratischen Parteien, in Anbetracht des Wettbewerbsdrucks durch die billigen Arbeitskräfte aus der Ukraine wohl kaum wie bisher auf eine Erhöhung der Löhne drängen werden können. Wie wir sehen, überschneiden die Interessen der USA und der Europäischen Union sich in bestimmtem Maße.

Die ukrainische Gesellschaft glaubt an den Mythos einer blitzartigen Verbesserung des Lebensstandards im Falle eines Beitritts zur Europäischen Union. Daher werden jene politischen Köpfe unterstützt, die eine beschleunigte Integration der Ukraine in die Europäische Union

versprechen. Russland verliert die Lieferanten seiner wichtigen Hochtechnologiegüter und ist nicht in der Lage, diese durch einheimische Produkte zu ersetzen, was das Verteidigungspotenzial des Landes vermindert. Die Möglichkeit der zollfreien Einfuhr europäischer Waren über das Gebiet der Ukraine verbessert sich. All das führt zu ernsthaften negativen Auswirkungen für die Wirtschaftslage Russlands.

Am meisten profitieren von dem Abkommen der Ukraine mit der Europäischen Union die Vereinigten Staaten. Auch die Europäische Union gewinnt durch das Abkommen, wenn auch nicht in so starkem Maße. Bei der Ukraine dürften die Nachteile die Vorteile überwiegen, denn das Land verliert seinen gesamten Maschinenbau und die Absatzmärkte im Osten. Für Russland gibt es keine offensichtlichen Vorteile. Eben aus diesem Grund kämpft Russland gegen die Assoziation der Ukraine mit der Europäischen Union an. Aber das letzte Wort in diesem Zusammenhang ist noch nicht gesprochen.  

 

Alexej Skopin ist Professor und Direktor des Internationalen Instituts für Entwicklung der Territorien an der Higher School of Economics in Moskau.

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