Russland bleibt neutral im aktuellen Palästina-Konflikt

Bild: Tatjana Perelygina

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Als Betrachter von außen bewahrt Russland seine Neutralität im aktuellen Palästina-Konflikt. Dennoch hat sich die Außenpolitik in Nahen Osten gewandelt. Die Bande mit der israelischen Regierung werden immer fester, die alte sowjetische Verbundenheit zu palästinensischen Organisationen verblasst.

Bei einigen Analytikern wirft Russlands Passivität im Nahen Osten gewisse Fragen auf, vor allem vor dem Hintergrund, dass nach den Ereignissen in Syrien viele Regime der Region eine politische Rückkehr Moskaus erwarten. „In Syrien haben wir der arabischen Welt demonstriert, dass wir bereit sind, unsere Partner zu verteidigen", sagt der russische Arabist und Dozent an der Moskauer Hochschule für Wirtschaft, Leonid Isajew. „Gleichzeitig haben wir allen gezeigt, dass wir dazu in der Lage sind, eine sich anbahnende US-amerikanische Invasion aufzuhalten. Diese Strategie hat sich als sehr erfolgreich herausgestellt – vor allem, was den russischen Einfluss auf Ägypten, Jemen, den Irak und den Libanon betrifft. Die Begeisterung für das Vorgehen Russlands hat in einigen arabischen Staaten nahezu euphorische Ausmaße angenommen."

 

Russland mischt sich nicht in innere Angelegenheiten ein

Zum Ersten steht Russland voll und ganz hinter dem neuen ägyptischen Präsidenten General Abd al-Fattah as-Sisi. Zum Zweiten hat sich Moskau, im Unterschied zum Westen, nicht aktiv gegen den Sturz des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch Abd al-Fattah as-Sisi ausgesprochen. Und zum Dritten gehörte Russland zu den wenigen Staaten, die das ausgesprochene Todesurteil für fast eintausend Islamisten nicht kritisiert haben. „Ich bin davon überzeugt, dass das ägyptische Volk, das sich über mehrere Jahrtausende herausgebildet hat, über genügend Weisheit und ein reiches historisches Erbe verfügt, um ohne Hilfe von außen eine entsprechende Entscheidung über die Rolle und Stellung der einen oder anderen Organisation in der Gesellschaft zu treffen, unter anderem auch zur Rolle der Muslimbruderschaft", sagte der Außenminister der Russischen Föderation, Sergej Lawrow.

Das Wohlwollen Russlands hat mehrere Gründe: Erstens ist es Moskau gelungen, mit dem neuen ägyptischen Regime in eine neue Phase der Wirtschaftszusammenarbeit einzutreten. Bereits im Februar haben die beiden Seiten einen Vertrag zur Lieferung von Waffen und Militärtechnik mit einem Gesamtvolumen von 2,2 Milliarden Euro unterzeichnet. „Wir haben auf diesem Gebiet gemeinsame Interessen", sagt Leonid Isajew. „Primär möchte Ägypten seine militärtechnische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten verringern. Außerdem hat as-Sisi ein persönliches Interesse an einer Zusammenarbeit mit Russland. Er ist ein Quereinsteiger in der Politik und versucht, sich die Unterstützung Moskaus für seine Politik zu sichern, die sich von der seiner Kollegen im ägyptischen Generalstab unterscheidet. Diese hängen sehr stark von Washington ab. Seinerseits sieht Russland in dem General einen Partner, auf den man sich verlassen kann und von dem man Unterstützung in den arabischen Angelegenheiten erwartet – unter anderem in der Syrien-Frage."

Zweitens imponiert Moskau der säkulare Charakter des ägyptischen Regimes, dessen Bereitschaft, die radikalen Islamisten zu bekämpfen, sowie die Ankündigung as-Sisis, eine Art modernisierten Nasserismus entwickeln zu wollen. „Diese Ideologie scheint für Russland klar und verständlich. Außerdem erwacht beim Erwähnen des Namens Gamal Abdel Nassers bei den russischen Eliten eine gewisse Nostalgie. Die ältere Generation der Nahost-Experten erinnert sich noch daran, dass unter der Führung Nassers unsere Beziehungen zu Ägypten auf ihrem Höhepunkt waren. Und diese Stimmung ist auch im Kreml zu spüren", glaubt Professor Alexej Malaschenko, Mitglied des wissenschaftlichen Rates des Moskauer Carnegie-Zentrums.

 

Schweigen zum Palästina-Konflikt

Eine relativ neutrale Position nimmt Russland auch bezüglich der Situation im Gaza-Streifen ein. Die Beteiligung Russlands an diesem Konflikt

beschränkt sich gegenwärtig auf die Vorbereitung der Evakuierung russischer Staatsbürger. Die palästinensischen Führer haben sich bereits mehrmals an Russland gewandt und darum gebeten, wenigstens eine Erklärung auf Ebene des UN-Sicherheitsrats abzugeben, doch Moskau hat jedes Mal ablehnend reagiert. „Die Palästinenser glauben immer noch, dass sich Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion verstärkt an den Interessen Palästinas orientieren müsse", sagt Professor Malaschenko. „Moskau hat allerdings seinen Standpunkt längst revidiert: Putin persönlich hat ein sehr gutes Verhältnis zu Israel, außerdem ist Israels Bedeutung für Russland wesentlich größer als die von Palästina. Palästina ist ein sehr komplexes Gebilde – dort gibt es mitnichten nur die Hamas und säkulare Nationalisten. Israel wird dort auch in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen", glaubt Malaschenko.

Außerdem sei nicht auszuschließen, dass das Schweigen Moskaus die Folge einer Absprache zwischen Wladimir Putins und Mahmud Abbas ist, der sich unlängst zu einem Besuch in Russland aufgehalten hat. „Denn die Bombardierung des Gaza-Streifens nutzt nicht so sehr Israel als vielmehr

der Fatah. Eine Partei, die stärker an den aktuellen Kampfhandlungen interessiert ist, lässt sich nur schwer finden", führt Leonid Isajew aus. „Ja, die Fatah und die Hamas haben eine Regierung der nationalen Einheit geschaffen, aber diesen Schritt sind sie nur deshalb gegangen, um die Möglichkeit zu haben, politische Punkte in der arabischen Welt zu sammeln. Offen kann Mahmud Abbas gegen die Hamas nicht auftreten – dann würde ihn nicht einmal das palästinensische Volk verstehen. Die Befreiung vom politischen Gegner mithilfe der Israelis ist für ihn jedoch eine interessante Variante, um das Problem Hamas loszuwerden."

Moskau hat sowieso ein recht angespanntes Verhältnis zur Hamas, besonders, seitdem sich die Hamas-Führung auf die Seite der syrischen Rebellen und gegen Bashar Assad gestellt hat. Eben deshalb ist die Fatah die einzige palästinensische Gruppierung, mit dem der Kreml Verhandlungen zu führen bereit ist.

 

Geworg Mirsajan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für die USA und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

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