Yukos-Urteil: Tschüss, Europarat?

Bild: Natalja Michajlenko

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Russland zu einer Zahlung von 1,87 Milliarden Euro an ehemalige Yukos-Aktionäre verpflichtet. Russland muss dem Gericht nun einen Plan über die Zahlungen vorlegen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Russland dazu verpflichtet, den ehemaligen Yukos-Aktionären eine Entschädigung in Höhe von 1,87 Milliarden Euro zu zahlen. Der Gerichtshof hatte diesen Fall bereits 2011 untersucht und war damals zu dem Schluss gekommen, dass die russische Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe, konkret gegen das Recht auf Eigentum. Die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung wurde auf einen späteren Zeitpunkt verlegt – nun ist dieser gekommen.

Die Kläger haben ursprünglich auf Schadenersatz in Höhe von 98 Milliarden Euro geklagt. Das Gericht hat schließlich nur etwa zwei Prozent davon bewilligt, dennoch kann man diese Summe als historisch ansehen. Während der 65 Jahre seit Gründung des Europarats hat der Europäische Gerichtshof nicht ein einziges Urteil gefällt, bei dem nur annährend eine solche Summe erreicht wurde.

Beispiellos ist dieser Fall auch aus anderer Sicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasst sich äußerst selten und nur sehr ungern mit Rechtsansprüchen, besonders vonseiten kommerzieller Organisationen. Ganz besonders, wenn es sich dabei um steuerliche oder finanzielle Verstöße handelt. Die Hauptaufgabe des Europäischen Gerichtshofes ist vielmehr die Untersuchung von persönlichen Rechtsverletzungen, vorrangig das Recht auf Leben, dem Verbot von Folter sowie ungerechtfertigter Verhaftungen. Und deshalb war die aktuelle Entscheidung im politischen Sinne sehr wichtig: Sie macht klar, dass es nicht nur um Geld geht – die Regierung der Russischen Föderation hat auch die Menschenrechte der Yukos-Aktionäre verletzt.

Dabei kann man schwerlich eine Verbindung zwischen der Entscheidung des Gerichtshofs und der Entscheidung des Den Haager Schiedsgerichtes übersehen. Zur Erinnerung: Das Schiedsgericht von Den Haag hat ehemaligen Yukos-Aktionären eine Entschädigung in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar (etwa 37,2 Milliarden Euro) zugesprochen. Es ist durchaus möglich, dass die Gerichte von Straßburg und Den Haag bei dieser Untersuchung zusammengearbeitet haben. Dennoch ist der Europäische Gerichtshof kein Schiedsgericht, er untersucht keine kommerziellen Tätigkeiten. Daher ist die Frage nach der Summe der Entschädigung folgerichtig in Den Haag geklärt worden. Gleichzeitig sollte man diesem Zufall keine allzu große Bedeutung beimessen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird auf jeden Fall akzeptiert, da das Gericht die Verstöße gegen die Konvention bereits vor drei Jahren festgestellt hat; offen blieb lediglich die Frage über die Höhe der Entschädigung.

Interessanter ist jedoch das, was noch kommen wird. Dem festgelegten Ablauf nach hat die russische Regierung nun drei Monate Zeit, Widerspruch gegen die Entscheidung des Gerichtshofs einzureichen. Wenn man bedenkt, dass Russland nicht mit der Entschädigungssumme einverstanden ist und insbesondere das Justizministerium die Entscheidung kritisiert hat, wird die russische Regierung natürlich versuchen, die Entschädigung anzufechten. Jedoch hat die Praxis gezeigt, dass der Gerichtshof solchen Beschwerden nur selten nachgibt. Die Chancen der russischen Seite sind also nicht allzu gut.

 

Mitgliedschaft im Europarat steht auf der Kippe

Nach Inkrafttreten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat Russland ein halbes Jahr Zeit, um gemeinsam mit dem Ministerkomitee des Europarates zu klären, auf welche Weise die Entschädigung gezahlt wird. Wenn der russische Widerspruch erfolglos bliebe, hätte die russische Regierung bis zum 1. Mai 2015 Zeit für die Gespräche. Wird die Entschädigung bis zur festgesetzten Frist nicht gezahlt, so bedeutet dies eine Nichterfüllung der Pflichten. In diesem Fall müsste die Mitgliedschaft Russlands im Europarat hinterfragt werden.

Natürlich würde ein Ausschluss Russlands aus dem Europarat oder allein schon Diskussionen darüber dem Image des Landes schaden. Deshalb ist

es durchaus wahrscheinlich, dass die russische Regierung aus eigenem Antrieb heraus die Frage in den Raum stellt, ob man den Europarat verlässt. Schon jetzt hört man vielerorts, dass ein Krieg gegen Russland im Gange sei und die Entscheidungen der Gerichte in Straßburg und Den Haag politisch motiviert seien. Die zielten darauf ab, die Wirtschaft des Landes zu untergraben und den Russen vor den Kopf zu stoßen. Wenn man die Antworten der letzten Meinungsumfragen betrachtet, dann kann sich die Regierung bei diesem Schritt der Unterstützung der Öffentlichkeit sicher sein. Nur wenige Russen würden sich über einen Austritt aus dem Europarat wirklich ärgern.

Des Weiteren ist erwähnenswert, dass das Verfassungsgericht der Russischen Föderation im Dezember 2013 Folgendes festgelegt hat: Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können dem Verfassungsgericht zur Untersuchung vorgelegt werden. Wenn das Verfassungsgericht feststellen würde, dass die Entscheidung des Gerichtshofs der russischen Verfassung widerspreche, erhielte die russische Regierung einen Vorwand, diese Entscheidung zu ignorieren.

Dadurch würde die Verantwortung für eine schon in Kraft getretene Entscheidung jedoch nicht verschwinden. Und sogar im Falle des Austritts

Russlands aus dem Europarat würde die russische Regierung dazu verpflichtet sein, die Entscheidungen des Europarates zu befolgen. Das betrifft sowohl die bereits getroffenen Entscheidungen als auch die, die aufgrund von Klagen durch Russen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entstanden sind. An dieses können sich die Russen jederzeit bei Verstößen wenden, die von der russischen Regierung vor dem Austritt aus dem Europarat begangen wurden oder noch begangen werden. Die Nichtzahlung der Entschädigungen könnte zur Beschlagnahme von staatlichem Eigentum der Russischen Föderation und Staatsunternehmen im Ausland führen.

Pawel Tschikow ist promovierter Rechtswissenschaftler und Mitglied des Präsidialrates für Menschenrechte.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei RBC Daily.

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