Russland und China: Zwischen Konkurrenz und Zusammenarbeit

Bild: Alexej Jorsch

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Russland und China weiten ihre Beziehungen aus. Erstmals geht es dabei um konkrete Projekte auf wirtschaftlicher und politischer Ebene. Doch China wird bei aller Annäherung darauf achten, die USA nicht zu verprellen, glaubt Fjodor Lukjanow.

Russland und China sind im Prozess, ihre Beziehungen zu vertiefen. Das zeigen die beim jüngsten Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Russland unterzeichneten Vereinbarungen. Erstmals geht die Zusammenarbeit nun über bloße Ankündigungen hinaus. Die Zusammenarbeit zwischen China und Russland nimmt seit Beginn der 2000er-Jahre stetig zu, jedoch überwogen bis dato Absichtserklärungen, denen kaum Taten folgten. Nun zeichnet sich eine Wende ab. Anfang Mai wurden zwei Memoranden veröffentlicht. Eines widmet sich konkreten Projekten der Zusammenarbeit, unter anderem im Bereich der Raumfahrt. Das zweite befasst sich mit allgemeinen Angelegenheiten.

Ideologische Gemeinsamkeiten findet man vor allem in den Traditionen in Bezug auf Multipolarität und Demokratie im internationalen Gefüge, aber auch in einem gemeinsamen Zugang zur Geschichte – Revisionen sind unzulässig – und der Bereitschaft, „gegen Handlungen vorzugehen, die darauf abzielen, politische Machtstrukturen im Land zu untergraben".

Die neuen gemeinsamen Projekte Russlands und Chinas umfassen sämtliche Bereiche – von der Landwirtschaft bis hin zur Raumfahrt und dem Internet. Doch noch wichtiger sind Vorhaben im Hinblick auf internationale Krisen und die Kooperation beider Länder. In diesem Zusammenhang kommt der „Schaffung von Systemen zum Austausch und zur Zusammenarbeit zwischen der Administration des Präsidenten der Russischen Föderation und dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas sowie der Zentralen Kommission für Disziplin und Überprüfung der Kommunistischen Partei Chinas/Ministerium für Disziplinaraufsicht" besondere Bedeutung zu. Diese bürokratische Formulierung sieht eine echte „strategische Partnerschaft" vor, deren Kern in der Abstimmung von Plänen besteht. Eine solche Partnerschaft besteht bereits beispielsweise im Sinne der transatlantischen Beziehungen, die trotz vieler Divergenzen sehr beständig ist.

 

Impuls aus dem Osten

Eine weitere Vereinbarung bezieht sich auf den Zusammenschluss des Wirtschaftsgürtels entlang der Seidenstraße mit der Eurasischen Wirtschaftsunion. Diese sollen sich nicht einfach nur parallel zueinander entwickeln, sondern miteinander verwachsen. Ein wichtiger Impuls in diesem Zusammenhang ging von Peking aus, als dieses sein Interesse daran bekundete, mit der Eurasischen Wirtschaftsunion als Einheit in einen Dialog zu treten. Zum Vergleich: Früher bevorzugte Peking stets bilaterale Gespräche mit jedem der Beteiligten.

Wenn man nun den Inhalt der Memoranden zusammenfasst, so erkennt man, dass zu einem neuerlichen Aufschluss Eurasiens ausgeholt wird. Dabei soll sich der Entwicklungsimpuls und Initiative jedoch nicht wie gewohnt von Westen nach Osten ausbreiten, sondern umgekehrt. Der starke Aufschwung Asiens, der sich bis dato auf den See- und Küstenraum des Pazifiks konzentrierte, hat nämlich bereits den gesamten Kontinent erreicht. Alle Staaten des Kontinents sind an großen Infrastrukturprojekten interessiert, um sozio-ökonomische Impulse zu geben.

Das Interesse der kontinentalen Länder, vor allem Russland und Kasachstan, an ihrer eigenen Entwicklung zu arbeiten, überschneidet sich mit den Bemühungen Chinas, einen Korridor zum Westen zu öffnen – zum europäischen Markt und darüber hinaus. In dieser Konstellation wird auch die als unausweichlich wahrgenommene Konkurrenzhaltung zwischen Moskau und Peking in Zentralasien zumindest abgeschwächt. Denn die Region wird hierbei nicht zum Zweck, sondern zum Mittel, um konkrete

Aufgaben zu lösen, die für alle Beteiligten gleichermaßen aktuell sind.

Bevor Russland und China ihre gemeinsamen Bestrebungen erreichen, müssen die beiden Länder jedoch noch viele Hindernisse überwinden. Eines ist der Zustand der Eurasischen Wirtschaftsunion, die einen Integrationsanstoß braucht, um den Ambitionen beider Seiten gerecht zu werden. Denn die internen Probleme häufen sich schneller an, als sie gelöst werden können. Eine Erweiterung der Wirtschaftsunion, zu den Kandidaten zählt mittlerweile auch die Kirgisische Republik, sollte dabei nicht als Hauptkriterium des Erfolgs gesehen werden. Zunächst benötigt die Eurasische Wirtschaftsunion sowohl eine institutionelle als auch eine rechtliche Basis, um für externe Partner, wie beispielsweise China, als verlässlicher Partner mit festgelegten Spielregeln im eurasischen Raum zu gelten. Ständige Machtkämpfe unter den Mitgliedern werden dem Ansehen der Organisation langfristig schaden.

 

Globales Gleichgewicht

Die dynamische Entwicklung des eurasischen Raumes wird von den USA nicht gerade mit Enthusiasmus begrüßt. Denn auch wenn wir in einer globalen Epoche leben, hat niemand die Grundpfeiler der Geopolitik verändert. Diese besagen, dass die USA die Schaffung einer eurasischen Staatenunion, die die US-amerikanischen Positionen herausfordern könnte, verhindern muss. Und da sowohl Russland als auch China auf verschiedene Weise an Europa, unabdingbares Mitglied der transatlantischen Gemeinschaft, interessiert sind, wird man die Initiative Russlands und Chinas in Washington sehr genau beobachten.

Dennoch müssen die Befürworter der Annäherung zwischen Russland und China die Absichten Pekings nüchtern beurteilen. Schließlich hat China in absehbarer Zeit nicht vor, eine militärische beziehungsweise politische Allianz mit Russland zu gründen.

Darüber hinaus wird sich Chinas Präsident Xi Jinping während einem für September dieses Jahres geplanten Staatsbesuch in den USA wohl darum bemühen, die für beide Seiten überaus wichtigen bilateralen Beziehungen zu stärken und weiterzuentwickeln. So sieht die Realität in einer globalisierten

Welt nun einmal aus: Reine Konfrontationen sind untypisch, denn alle großen Länder versuchen, ein Gleichgewicht zwischen Rivalität und Zusammenarbeit mit vergleichbaren Ländern herzustellen.

 

Die Beziehungen zwischen Russland und China sind also im Begriff, in eine neue Phase überzugehen. Auf dieser Etappe der Entwicklung wird viel Erfahrung benötigt: eine nüchterne Sichtweise, Verständnis für den jeweiligen Partner, Phantasie und die Fähigkeit, Lösungsansätze zu finden, die für beide Seiten gewinnbringend sind. Gerade darauf zielt auch das Anfang des Jahres ins Leben gerufene internationale Diskussionsforum Waldai ab. Eine weitere wichtige Plattform wird auch die Konferenz „Russia and China: A New Partnership in a Changing World" (zu Deutsch „Russland und China: Eine neue Partnerschaft in einer sich wandelnden Welt") sein, die vom Russischen Rat für Internationale Angelegenheiten Ende Mai in Moskau veranstaltet wird. Darüber hinaus wird die Idee von einem neuen Eurasien auch auf dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum diskutiert werden. Man kann also sagen, dass der Wandel bereits begonnen hat.

Der Politologe Fjodor Lukjanow ist Vorsitzender des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Rossijskaja Gaseta

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