Russlands Haushalt: Sparsamkeit statt Wachstum

Iorsch
Russlands Haushalt ist zum Streitobjekt Nummer eins in der Regierung von Dmitrij Medwedjew geworden. Sparen oder Investieren, lautet die wichtigste Frage. Denn das Defizit im Haushalt bleibt, ohne dass das Wachstum anspringt.

In Russland soll demnächst der Staatshaushalt für die nächsten drei Jahre verabschiedet werden. In Zeiten der Krise haben die verschiedenen Ministerien jedoch eine unterschiedliche Sichtweise auf die Zukunft der Wirtschaft.

Die Debatten über den Staatshaushalt für die nächsten drei Jahre sind in die „heiße Phase“ übergegangen: Die neue Staatsduma wurde gewählt, die Regierungspartei Einiges Russland, die vom Ministerpräsidenten angeführt wird, erzielte die Mehrzahl der Sitze – was braucht es mehr, um den Staatshaushalt schnell und schmerzarm zu verabschieden? Die Debatten werden jedoch fortgesetzt, zumal innerhalb der Regierung selbst. Es geht dabei um das Wachstumstempo, den geplanten Kurs und vor allem um die „Haushaltsregeln“, das Verfahren, mit dessen Hilfe die Einnahmen und Ausgaben in Abhängigkeit von 
den Preisänderungen für die wichtigsten russischen Exportwaren – Erdöl und Erdgas – ausbalanciert werden sollen.

Die Positionen der Seiten lassen sich anhand der Herangehensweisen der beiden Schlüsselministerien – des Finanz- und des Wirtschaftsministeriums – hervorragend illustrieren. Die erste Behörde
tritt für eine rigide Ausgleichspolitik, eine Senkung des Defizits und die Aufstockung der Reserven ein, die zweite möchte das Niveau der Ausgaben beibehalten und möglichst sogar anheben, um das Wachstum zu stimulieren. Das Finanzministerium, ausgehend von den Erfahrungen des laufenden Jahres, schlägt vor, in Zukunft für den laufenden Staatshaushalt bei den Einnahmen aus dem Rohstoffexport von einem Basis-Erdölpreis von 40 US-Dollar pro Barrel auszugehen und alle Mehreinnahmen in den Sicherungsfonds abzuführen. Das Wirtschaftsministerium seinerseits will die Einnahmen des Staatshaushalts steigern und prognostiziert dabei einen schwächeren Rubel. Der ewige Streit darüber, was zuerst zu erfolgen hat, Stabilisierung 
oder Wirtschaftswachstum, wird nun auf dem Boden des Staatshaushalts ausgetragen und erinnert stark an den Streit, der zurzeit in Europa darüber geführt wird, ob die ultraweiche Geldpolitik fiskalisch stimuliert werden sollte oder nicht.

In Russland ist die Situation jedoch eine vollkommen andere – unsere Geldpolitik ist äußerst streng und auf eine Begrenzung der Inflation gerichtet. Der Leitzins wird auf einem Niveau von zehn Prozent gehalten, was dazu führt, dass jene Regionen, die keine ausreichende Unterstützung aus Moskau erhalten, auf dem freien Kapitalmarkt Geld zu 15 Prozent ausleihen müssen. Unter solchen Bedingungen kann kaum die Rede von einer Rückkehr zu einem nennenswerten Wirtschaftswachstum sein. Wenn man einmal das Problem des Wirtschaftswachstums außer acht lässt, so machen die restlichen makroökonomischen Parameter einen durchaus stabilen Eindruck. Wichtigstes Depot für die Öleinnahmen, der Sicherungsfonds, wird voraussichtlich 2016/2017 ausgeschöpft sein, aber wenn der Erdölpreis das ersehnte Niveau von 60 US-Dollar pro Barrel erreichen sollte, könnte der Fonds wieder aufgestockt werden. Der Regierung dürfte es aufgrund der Sanktionen und der angespannten politischen Lage schwer fallen, im Ausland Anleihen aufzunehmen, aber der Binnenmarkt erfreut sich zunehmender Nachfrage seitenseinheimischer und ausländischer Investoren. Und lediglich das „knausrige“ Finanzministerium, das nicht gewillt ist, zu hohe Zinsen auf seine Schulden zu zahlen, stemmt sich gegen eine Aufstockung des Staatshaushalts durch den Markt der Inlandsstaatsverschuldung. Die Inflation sinkt mit rasantem Tempo und könnte bereits im nächsten Jahr die ersehnte Grenze von vier Prozent erreichen, die die Zentralbank anvisiert.

Fasst man die von der Zentralbank und der Regierung zum Staatshaushalt und der Geld- und Kreditpolitik für die kommenden Jah-re vorgestellten Pläne zusammen, kann man zu dem Schluss kommen, dass das Hauptziel in der Stabilisierung einiger Kennziffern, zum Beispiel Reserven und Ausgaben, bei gleichzeitiger Verbesserung anderer Werte, wie Inflation und Haushaltsdefizit, besteht. Das Wichtigste dabei sind ein ausgeglichener Staatshaushalt und Stabilität in der Geldsphäre, wenn auch unter den Bedingungen eines sehr geringen Wachstumstempos. Wenn die äußeren Bedingungen sich dank steigender Erdölpreise und einer politischen Entspannung bessern sollten, wird auf der Agenda wieder die Frage auftauchen: Wohin mit den Mehreinnahmen? Man kann sie auf die Seite legen, sie für soziale Zwecke ausgeben oder aber in die „Perestroika der Wirtschaft“ stecken. Eine Antwort auf diese Frage gibt es noch nicht. Diese müsste der Wirtschaftsrat des Präsidenten geben, der den Plan für die neue Wirtschaftspolitik des Landes für die kommenden Jahre ausarbeiten soll. Das Ergebnis wird jedoch erst im nächsten Jahr vorliegen, und bis dahin werden die Debatten zum Staatshaushalt wohl an Schärfe noch zunehmen.

Der Autor ist Leiter des Lehrstuhls für Fondsmärkte und Finanzinstrumente an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst in Moskau.

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