Andreas Anschlag und seine Ehefrau Heidrun wurden Ende 2011 wegen des Verdachts auf Spionagetätigkeit im Auftrag der Russischen Föderation festgenommen. Foto: ITAR-TASS
Andreas und Heidrun Anschlag, die im Juli 2013 wegen Spionage für die Russische Föderation zu sechseinhalb beziehungsweise fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurden, befinden sich noch immer in einer deutschen Justizvollzugsanstalt. „Sie sind noch in Deutschland“, sagt ihr Anwalt Horst-Dieter Petschke. Dabei hatte Petschke noch direkt nach der Urteilsverkündung der Zeitung „Kommersant“ gegenüber erklärt, dass seine Mandanten fest damit rechneten, gegen einen der deutschen Agenten ausgetauscht zu werden, die sich derzeit in russischer Haft befinden. Damit erklärte der Anwalt auch, warum seine Mandanten nicht in Berufung gingen. Die Informanten der Zeitung aus dem russischen Staatsapparat bestätigten ebenfalls, dass ein Austausch jederzeit möglich sei. Diesmal ließ Petschke die Wahrscheinlichkeit eines Austausches jedoch unkommentiert.
Der 54-jährige Andreas Anschlag und seine 48-jährige Ehefrau Heidrun, die beide über 20 Jahre mit österreichischen Pässen in Deutschland gelebt hatten, wurden Ende 2011 wegen des Verdachts auf Spionagetätigkeit im Auftrag der Russischen Föderation festgenommen. Nach Aussage der Ermittlungsbehörden arbeitete das Ehepaar zuerst für den sowjetischen und später auch für den russischen Geheimdienst. Über die Tätigkeiten der Eheleute erfuhr die deutsche Seite vom FBI, das 2010 mithilfe des Überläufers Alexandr Potejew ein ganzes Netz russischer Agenten aufdeckte. Bemerkenswert ist, dass es den Ermittlern letztlich nicht gelang, die echten Namen der Spione herauszufinden. Bekannt ist nur, dass sie unter den Decknamen „Pit“ und „Tina“ arbeiteten.
Das Ehepaar Anschlag zog mehrfach innerhalb Deutschlands um. Ihr
letzter Wohnort war Michelbach, ein Stadtteil der hessischen Universitätsstadt Marburg. Michelbach erlangte durch die Festnahme der russischen Agenten einige Berühmtheit in Deutschland. Der frühere Nachbar der Anschlags Stefan Mut erzählte gegenüber der Zeitung „Ъ“, dass die Affäre in dem Ort allerdings bereits in Vergessenheit gerate. „Ihr Haus wurde an andere Leute vermietet, die es renoviert und die Telefonnummer gewechselt haben. Es ist also nichts mehr da, was an die Anschlags erinnern würde“, sagte er. Findet man in dem Haus noch versteckte Spionagegerätschaften oder sogar Geld? Angeblich hatten die Spione rund 700 000 Euro gespart, die bislang nicht wieder aufgetaucht sind. Nachbar Mut macht wenig Hoffnung: „Wohl kaum. Der Geheimdienst hat dort alles auf den Kopf gestellt, sogar die Tapeten haben sie abgerissen.“
Nach Aussage des Nachbars habe man erst vor Kurzem Anna, die 23-jährige Tochter der Anschlags, in Michelbach gesehen. Sie ist in Deutschland geboren und hatte laut den Ermittlungsbehörden keine Ahnung von den Machenschaften ihrer Eltern. Anna, die in Marburg Medizin studiert, sei mit Freundinnen gekommen. „Aber ihre Eltern hat sie nicht erwähnt, es hat sie auch niemand nach ihnen gefragt“, erzählt Mut.
Seltsam finden es die Leute in Michelbach, dass die Anschlags ihre Tochter jedes Jahr zu „Oma und Opa“ nach Österreich geschickt haben. Es ist unklar, wer diese „Verwandten“ wohl waren. Der Nachbar sowie auch andere Michelbacher hätten geglaubt, dass die Anschlags schnell ausgetauscht und im russischen Fernsehen als Helden gefeiert werden würden, wie das auch mit den zehn in den USA tätigen russischen Agenten geschehen ist. Doch bisher ist es dazu nicht gekommen.
Experten werfen Berlin übertriebene Forderungen vor
Der bekannte deutsche Geheimdienstforscher Erich Schmidt-Eenboom sprach der Zeitung „Kommersant“ gegenüber davon, dass Berlin Moskau mehrfach einen Agentenaustausch vorgeschlagen habe, die deutschen Behörden jedoch „zu hoch gepokert“ hätten. Wie der Gesprächspartner der Zeitung gegenüber erklärte, hätten die Deutschen auf Drängen der USA von der russischen Seite die Freilassung des Ex-FSB-Obristen Waleri Michailow gefordert, der wegen Geheimnisverrats an die Amerikaner zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde. „Washington hat viel Druck auf Berlin ausgeübt, um diese Freilassung zu erreichen“, erklärte Schmidt-Eenboom. „Die Russen versuchen immer, ihre Leute heimzuholen. Aber in diesem Fall hielten sie dies jedoch anscheinend nicht für einen gleichwertigen Tausch.“
Dass das deutsche Gericht die russischen Agenten als „ernsthafte Gefahr für die nationalen Interessen und die nationale Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ einstufte, hält Erich Schmidt-Eenboom für übertrieben. „Sie haben lediglich bei der Weitergabe von Informationen durch den holländischen Diplomaten Raymond Puterai geholfen, wobei die Dokumente über die Tätigkeit der Nato und der EU höchstens als ‚vertraulich‘ eingestuft waren“, versichert der Experte. „Waleri Michailow hingegen hat der CIA Tausende von streng geheimen Dokumenten übergeben.“ Schmidt-Eenboom rechnet mit einer Wiederaufnahme der Gespräche über einen Austausch in den nächsten Monaten, nachdem sich die neue deutsche Regierung „eingearbeitet“ hat.
Der Chefredakteur des Portals „Agentura.ru“ Andrej Soldatow ist ebenfalls überzeugt, dass man die Anschlags in ihre Heimat zurückholen wird. „Es ist Konsens, dass der Auslandsgeheimdienst alles tun muss, um seine Leute herauszuholen“, erklärte er. Hierbei ist Soldatow im Gegensatz zum deutschen Experten der Ansicht, dass die Anschlags große Erfolge vorzuweisen haben, da sie „an Militärgeheimnisse herangekommen sind“. Ihre Verdienste für Russland sind nach Einschätzung des Experten sogar höher einzustufen als die einiger Mitglieder der zehn in den USA tätigen und im Jahre 2010 verhafteten russischen Agenten. Und so kommt dieser zu dem Schluss: „Die Geschichte um den verzögerten Austausch der Eheleute Anschlag ist genauso rätselhaft wie ungewöhnlich.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant
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