Gernot Erler: Sicherheit für Europa kann es nur mit Russland geben

Gernot Erler, Russland – Koordinator der Bundesregierung, und Alexej Puschkow, Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten in der Duma, diskutierten am 18. Februar in einer Videokonferenzschaltung zwischen Berlin und Moskau zum Thema „Deutsch-russische Beziehungen: Partnerschaft, Probleme, Perspektiven“.

 Russland – Beauftragter Gernot Erler. 

Foto:DPA

Dr. Gernot Erler, Ex-Staatsminister im Auswärtigen Amt (2005-2009), seit 1987 SPD Bundestagsabgeordneter und seit Oktober 2013 „Koordinator der Bundesregierung für die gesellschaftspolitische Zusammenarbeit mit Russland, den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Zentralasien" (kurz: Russland – Beauftragter) eröffnete den von der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti organisierten und von deutschen und russischen Journalisten verfolgten Dialog mit dem Hinweis auf seine neue Funktion.

„Grundlage meiner Arbeit ist der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Dieser Vertrag enthält ein sehr umfangreiches Kapitel über unsere Beziehungen. Russland ist unser wichtigster Nachbar, wir haben ein Interesse an einer stabilen und demokratischen Entwicklung und an einer umfassenden Zusammenarbeit im Rahmen der Modernisierungs-Partnerschaft. Damit meinen wir nicht allein die technologisch-wirtschaftliche Partnerschaft, sondern ebenfalls eine Diskussion über eine stabile ‚Moderne Partnerschaft'. Dazu gehören auch Themen wie eine starke Zivilgesellschaft, eine stabile Rechtssicherheit und eine funktionierende Verwaltung. Das ist ein Angebot, über das wir sprechen können. Und es steckt vor allem ein Kerngedanke dahinter: Sicherheit für Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Wir brauchen daher Verständigung auf allen Ebenen, angefangen bei Syrien und dem Iran bis hin zur Ukraine.

Alexej Puschkow antworte mit einer Gegenfrage: „Was hindert Russland daran, dieser stabile Partner zu sein? Und der Außenpolitiker aus Moskau gab darauf eine eigene Antwort: „Deutschland ist für Russland ein starker Handelspartner. Das gilt auch für die Beziehungen zur EU. Wir haben viel erreicht. Auch in Sachen ‚strategische Partnerschaft'. Deutschland ist unter all unseren Partner die Nummer eins. Das ist der natürliche Fortschritt, den wir in den letzten 20 Jahren erreicht haben. Aber jetzt sind neue Fragen entstanden, die zu lösen schwieriger sind als die alten. Jetzt müssen wir die Zukunft aufbauen. Das ist viel schwieriger als die Überwindung des Kalten Krieges."

Der Duma-Abgeordnete erläuterte dann die Themen, die heute von Wichtigkeit seien. Das sei vor allem die „Sicherheitsfrage", deren Kern sich so formulieren ließe: Orientieren sich die europäischen Staaten an der NATO-Sicherheitsdoktrin oder an einer anderen Sicherheitsdoktrin? Puschkow: „Europa besteht aus über 40 Staaten. Davon ist nicht einmal die Hälfte in der Nato. Kann es also sein, dass die Nato-Sicherheitsdoktrin entscheidend und bestimmend für alle Staaten ist? Nein. Russland ist kein Nato-Mitglied und will es auch nicht werden. Warum soll Russland dann der Nato-Sicherheitsdoktrin folgen? Oder auch die anderen Staaten. Die Nato ist eine zu enge Organisation. Mit Russland muss man daher eine neue Sicherheitspartnerschaft suchen, nicht gegen Russland. Aber auf welcher Grundlage? Darauf gibt es bisher keine Antwort."

Dann kam der russische Politiker auf eines der aktuellsten Probleme zwischen der EU, Deutschland und Russland zu sprechen. Nämlich: Welches Integrationsmodell soll vorherrschend sein in Europa?

Annäherung durch Abkommen oder Mitgliedschaft in der EU? Oder den Osten mit Russland im Rahmen der neu geschaffenen bzw. sich im Entstehen befindenden Freihandels – und Zollunion? Der Konflikt in der Ukraine habe sich daran entzündet, dass die Regierung das unterschriftsreife Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschrieb und sich stattdessen Russland zuwandte. Daraufhin sei der Bürgerkrieg, der bis heute andauere, ausgebrochen. Puschkow: „Warum, so frage ich, wollen die Europäer, dass sich alle Staaten der EU anschließen? Und wenn sie das nicht tun, wird gedroht. Warum dürfen die Staaten wie z.B. die Ukraine nicht selbst entscheiden, zu welchem Bündnis sie gehören wollen?„

Gernot Erler wiederholte in seiner Antwort noch einmal seine Positionen: „Genau deswegen brauchen wir dringend einen Dialog zwischen Russland, der EU und der Ukraine über die Zukunft der Region. Jetzt gibt es unabhängig voneinander zwei Integrationsstrategien. Einmal ist es die Position der EU, die der Ukraine ein Assoziierungsabkommen anbietet. Und dann ist da Russland mit dem Plan einer Zollunion und der späteren Eurasischen Union. Hier muss ein Ausgleich gefunden werden, quasi eine Ko-Existenz des russischen Angebots und des EU-Angebots. Nichts ist von keiner Seite allein zu lösen. Es muss heißen: „Sowohl als auch" und nicht „Entweder, oder." In diesem Punkt waren sich beide Politiker einig.

Einen Disput gab es hingegen um den Inhalt des Werte- Begriffes. Während Erler seinen russischen Gesprächspartner darauf hinwies, dass Russland die „Menschenrechtskonvention" unterzeichnet und damit auch

das Recht des einzelnen Menschen auf seine Lebensgestaltung einschließlich seiner sexuellen Neigungen anerkannt habe, widersprach der russische Duma- Abgeordnete scharf. „Davon steht nichts in der Konvention. Europa interpretiert das zu weit. Wir erlauben daher Werbung für Homosexualität nicht. Das zu wollen, ist eine Entscheidung der ultra-liberalen Welt, die Europa derzeit überrollt. Jeder Staat macht es anders. Warum üben Sie so einen Druck auf Russland aus? Und warum nur auf uns?", fragte er.

Zum Schluss kam das Thema noch einmal auf die Ukraine. Wie geht es weiter? Aus Moskau kam die Antwort: „Erst wählen, dann neue Regierung bilden und neuen Präsidenten einsetzen." Aus Berlin kam es genau anders herum: „Erst eine alle Gruppen vereinigende Regierung einsetzen, dann Wahlen zum Parlament und für einen neuen Präsidenten vorbereiten und durchführen."

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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