Zankapfel Bergkarabach: Putin vermittelt im Südkaukasus

Moskau will einen neuen Krieg im Südkaukasus verhindern. Foto: Olessja Kurpjajewa/Rossijskaja Gaseta

Moskau will einen neuen Krieg im Südkaukasus verhindern. Foto: Olessja Kurpjajewa/Rossijskaja Gaseta

Vor dem Hintergrund des Konfliktes in der Ukraine bleibt das Aufflammen der Gewalt im Südkaukasus, die sich fast schon zu einem neuen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan ausgeweitet hat, nahezu unbemerkt. Um eine Eskalation des Konfliktes vorzubeugen, hat Präsident Putin die Präsidenten beider Länder in seine Sommerresidenz eingeladen.

Im Ergebnis des am 10. August durchgeführten Treffens bekräftigten die Staatsoberhäupter der beiden verfeindeten Staaten Armenien und Aserbaidschan – Ilcham Alijew und Serge Sargsjan – ihren Willen zu einer friedlichen Lösung des Konflikts um die nicht anerkannte Republik Bergkarabach. Noch unmittelbar vor dem Krisengipfel war jedoch unklar, ob dieser überhaupt stattfinden werde. Baku und Jerewan hatten in der letzten Zeit immer wieder bekräftigt, ein Treffen auf höchster Ebene habe nur Sinn, wenn es Themen gäbe, bei denen sie zu einer Übereinkunft gelangen könnten.

Der armenisch-aserbaidschanische Dialog befindet sich seit Langem in einer Sackgasse. Der entscheidende und unüberwindbare Streitpunkt zwischen beiden Seiten besteht im Status der Republik Bergkarabach. Aserbaidschan betrachtet Karabach als einen Teil seines Staatsgebiets, Armenien erachtet den Anspruch der Republik Bergkarabach auf Unabhängigkeit dagegen als gerechtfertigt und legitim. Dieser grundlegende Widerspruch zwischen beiden Konfliktparteien hat bisher alle Versuche der Minsker Gruppe der OSZE, eine pragmatische und konstruktive Schlichtung des Konflikts herbeizuführen, zunichte gemacht.

 

Es bedarf nur noch eines Funkens

Inzwischen haben die Auseinandersetzungen ein solches Ausmaß angenommen, dass die Experten den Karabach-Konflikt nicht mehr als "eingefroren" sondern als "in die heiße Phase übergegangen" klassifizieren. Die Provokationen an der Grenze tragen einen systematischen Charakter, ebenso wie die Aktionen der Sabotagegruppen. Das Feuer aus automatischen Waffen ist mittlerweile in einen gegenseitigen Artilleriebeschuss übergegangen. Die Zahl der Todesopfer hat bereits zwei Dutzend erreicht. Aserbaidschan hat kurzfristig schwere Militärtechnik in die Konfliktzone verlagert. Im Luftraum patrouillieren Kampfflugzeuge beider Länder. Für einen Krieg bedarf es nur noch eines kleinen Funkens. Deshalb lud der russische Präsident Wladimir Putin seine aserbaidschanischen und armenischen Kollegen nach Sotschi ein.

Ilcham Alijew drohte unmittelbar vor dem Treffen jedoch damit, Armenien dem Erdboden gleichzumachen, da das Land „seine faschistische Politik fortsetzt“. Armenien war über diese Äußerung empört. Unter Berücksichtigung der Umstände wurden die Gespräche in zwei Runden durchgeführt. Zuerst traf sich Wladimir Putin getrennt mit Alijew und mit Sargsjan. Erst am nächsten Tag fand ein Treffen aller drei Staatsoberhäupter an einem Tisch statt. Nach Meldungen von Nachrichtenagenturen warfen Alijew und Sargsjan sich gegenseitig die Nichteinhaltung bestehender Vereinbarungen vor, waren sich jedoch darin einig, dass der Konflikt nicht durch einen Krieg zu lösen sei.

 

Altlasten der Sowjetunion

Putin konstatierte, dass der Konflikt noch eine Altlast der Sowjetunion sei, der ohne jegliche Hektik, mit der „den beiden Völkern eigenen Weisheit“ und ausschließlich mit friedlichen Mitteln gelöst werden müsse. Der Direktor des Moskauer Internationalen Instituts Neuester Staaten, Alexej Martynow, ist der Überzeugung, dass ein neuer, sich zwischen

Aserbaidschan und Armenien anbahnender Krieg nur durch aktive Vermittlungsbemühungen Russlands verhindert wurde. „Vergangene Woche kam es zur bisher größten und gefährlichsten Provokation zwischen den aserbaidschanischen und armenischen Streitkräften in Bergkarabach. Eine Eskalation des Konflikts konnte durch rechtzeitiges Eingreifen des Präsidenten der Russischen Föderation verhindert werden", erklärte Martynow gegenüber RBTH. Der Experte nimmt an, dass Baku, der Unterstützung des Westens gewiss, den Karabach-Konflikt gewaltsam zu lösen versucht. Dies passiert in einer Zeit, in der Russland, das traditionell Jerewan unterstützt, durch den Bürgerkrieg in der Ukraine abgelenkt ist. Diese Rechnung sei jedoch nicht aufgegangen. „Zum einen haben die aserbaidschanischen Truppen eine unerwartet starke Gegenwehr der Verteidigungskräfte Bergkarabachs und armenischer Streitkräfte zu spüren bekommen. Zum anderen hat sich gezeigt, dass Wladimir Putin persönlich den Konflikt im Südkaukasus sehr aufmerksam verfolgt“, erläuterte Alexej Martynow.

 

Ökonomische Anreize sollen Frieden fördern

Der Politologe Sergej Markow, Mitglied der Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation, erklärte zum Ergebnis der Gespräche in Sotschi, dass die Tatsache, dass die Staatsoberhäupter Aserbaidschans und Armeniens sich an einen Tisch gesetzt haben, an sich bereits von der Rückkehr des Konflikts zu einer diplomatischen Lösung zeuge. „Ich gehe davon aus, dass das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen ein baldiger

Abbau des militärischen Drohpotentials in der Region Bergkarabach sein wird“. Dabei sollte keinesfalls vergessen werden, dass die Verhandlungen auch eine sehr starke ökonomische Komponente enthielten. Putin schlug Alijew und Sargsjan vor, mit den Produkten ihrer Länder jene Nische zu füllen, die sich durch die russische Sanktionspolitik ergeben hat. Sowohl für Aserbaidschan, als auch für Armenien ist dies eine Gelegenheit, die sie sich nicht entgehen lassen sollten“, meint der Experte.

Sergej Markow fügte hinzu, dass einer der Hauptgründe für die Verschärfung des Konflikts zwischen Aserbaidschan und Armenien in der deutlichen Zunahme der militärischen und ökonomischen Stärke Aserbaidschans zu finden sei. „Die gegenwärtige Grenzziehung in Bergkarabach spiegelt das Kräfteverhältnis wider, welches vor zwanzig Jahren existiert hat. Damals waren beide Länder arm und ihre Wirtschaft am Boden. Die Situation hat sich inzwischen jedoch grundlegend verändert. Sowohl das Militär-, als auch das Wirtschaftspotenzial Aserbaidschans sind in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. Und die Führung des Landes ist bestrebt, ihre Geopolitik in der Region diesem neuen Kräfteverhältnis anzupassen“.

Das Besondere des Bergkarabach-Konfliktes besteht in der Nichtanerkennung des umstrittenen Gebiets. Die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach, in der sich die Republik Bergkarabach befindet, stellt de jure einen Teil Aserbaidschans dar. Berücksichtigt man dabei die Bedeutung, die diese Region für Armenien besitzt, wird jeder Angriff Bakus auf das Territorium Bergkarabachs wie ein Angriff auf Armenien selbst gewertet.

Von 1991 bis 1994 kam es zwischen der im Ergebnis eines Volksentscheids gebildeten und anerkannten Republik Bergkarabach und Aserbaidschan zu einem militärischen Konflikt, im Laufe dessen Aserbaidschan die Armenier aus dem ehemaligen Rajon Schaumjan der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik und einem Teil Bergkarabachs vertrieben und die von Armenien unterstützte Republik Bergkarabach die Kontrolle über mehrere an Bergkarabach grenzende Provinzen Aserbaidschans, aus denen sie ihrerseits die Aserbaidschaner vertrieben hatten, übernahm. Dies wurde 1993 vom UN-Sicherheitsrat als Okkupation aserbaidschanischen Hoheitsgebietes durch armenische Kräfte bezeichnet.

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