Michail Chodorkowski: Putin ruiniert Russland

Michail Chodorkowski sprach am 23. September in Berlin über Russlands Zukunft. Foto: DPA/Vostock Photo

Michail Chodorkowski sprach am 23. September in Berlin über Russlands Zukunft. Foto: DPA/Vostock Photo

Michail Chodorkowski war auf Einladung des „Deutsch-Russischen Forums" in Berlin. Seine Bewegung „Offenes Russland" wolle eine starke Zivilgesellschaft, Gerechtigkeit, Gewaltenteilungund ein unabhängiges Rechtssystem, sagte er.

Leise war seine Sprache, aber eindringlich. Er sieht das Ende Russlands gekommen, ahnt aber auch eine bessere Zukunft. Seine Botschaft hatte Michail Chodorkowski in den letzten Tagen schon in fast allen europäischen Zeitungen verkündet: Er will seine Bewegung „Offenes Russland" neu beleben und in Russland aktiv werden lassen. Bei den Präsidentenwahlen 2016 in Russland wird er nicht antreten. Auch aus rechtlichen Gründen (er ist in Russland vorbestraft) geht das nicht.

 

"Ich bitte nicht um westliche Hilfe"

Interessant war in Berlin vor allem die fast einstündige Fragerunde. Wie er sich denn fühle, „seinen Landesverrat an Russland fortzusetzen?", wurde er gefragt. Verblüffung im Saal. Aber so leise er seinen Vortrag hielt und gleichsam auch emotionslos, so antwortete er auch auf diese Frage: „Ich setze Russland nicht mit dem Regime Putin gleich. Russland liebe ich, aber nicht das Regime, das mein Land in die falsche Richtung und in den Ruin führt. Ich bitte aber nicht um westliche Hilfe."

Die nächste Frage war ebenso sensibel. „Warum sind die Russen so unkritisch gegenüber Präsident Wladimir Putin? Warum folgen sie ihm nahezu kritiklos? Warum stimmen die Russen so wenig für die europäischen Werte wie Demokratie, Gleichberechtigung und Gewaltenteilung?" Die Antwort war pragmatisch: Für Putin sei das Standbein seiner Politik allein

die Wirtschaft. Etwa 70 Prozent der Staatseinnahmen kämen aus den Rohstoffen, die Russland verkauft. Die Preise seien aber in den letzten Jahren stark gefallen. Und so müsse sich Putin die entfallenen Einnahmen woanders holen. Das aber sei die Staatsmacht nicht gewöhnt. Und so hole sie sich das Geld von den Bürgern. Zum Beispiel sei die Rentenkasse bereits geplündert worden. Der Druck auf die kleinen Unternehmen nehme zu, ein Großteil der Intellektuellen und jungen Unternehmer verließe Russland. „Generell gehe ich davon au, dass die Staatsreserven noch ein Jahr reichen werden. Korruption greift um sich", erklärte der Redner.

„Was ist mit der politischen Justiz?", fragte eine Russin aus dem Saal. Der Ex-Milliardär sagt: „Nur ein Prozent aller Urteile ist politisch motiviert. Sonst funktioniert das Rechtssystemganz gut, aber dieses eine Prozent ist eben politisch motiviert, und das geht nicht."

„Ja, warum treten Sie denn nicht mit ihrer Bewegung ‚Offenes Russland' an, um das auch zu ändern, war die nächste Frage. Warum werden sie keine Partei?" Chodorkowski: „Es hat keinen Sinn, weil alle Parteien und Delegierten in der Duma von Putin bestimmt und gesteuert sind. Was wir brauchen, ist eine Durchdringung der Gesellschaft mit der Idee derZivilgesellschaft und den Ideen der Demokratie. Deswegen sind wir eine gesellschaftliche Bewegung, die Gehör in Russland sucht. Die russische Staatsmacht reagiert auf jede Bewegung, die aus der Gesellschaft kommt. Das ist der gangbare Weg, um Einfluss zu nehmen und das Regime zu verändern. Die Bürger müssen organisiert auftreten, da können und wollen wir helfen. Radikale Veränderungen kann es nur geben durch einen Machtwechsel. Wann das sein wird, das wissen wir alle nicht."

 

„Putin denkt nicht strategisch"

Und wie denkt er über Wladimir Putin? „Putin denkt nicht strategisch", sagt der einstige Sträfling und Multi-Unternehmer. Seine Attacke wird schärfer: „Und er hat das Tier des „Nationalen Chauvinismus" erweckt und damit ein Feindbild geschaffen, von dem wir dachten, dass es vorbei sei. Die National-Chauvinisten lechzen nach Blut. Und schwächen damit die Wirtschaft Russlands."

Blieb noch die Frage der Sanktionen? Die Antwort war eine Gegenfrage: „Helfen Sie der Ukraine, die jader Anlass für die Sanktionen war und ist. Oder wollen sie das russische Volk, den Staat oder Putin treffen? Damit Einfluss auf Russland zu nehmen, funktioniert nicht. Helfen Sie lieber der Ukraine, ihr Land aufzubauen. Die meisten Russen möchten zwar gern die europäischen Werte haben, aber sie wissen gar nicht, was das ist. Das ist ein wichtiger Aspekt. Und mit den Sanktionen fühlen sich die Menschen

getroffen und deswegen denken sie, dass der Westen ihnen Böses tut. Es hat daher keinen Sinn, zu versuchen, Putin zu ändern. Sondern wir müssen das ganze System in Russland ändern. Dazu dient meine Bewegung „Offenes Russland".

Damit war dann der Schlussgong eingeleitet. Der da hieß: „Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, Gerechtigkeit, Gewaltenteilung und ein unabhängiges Rechtssystem. Das macht Demokratie aus. Das Putin- System hat das alles nicht. Daher brauchen wir nicht neue Parteien, sondern Bürger, die sich auf der Grundlage europäischer Werte engagieren und konstituieren." Dann,wenn das System in Russland auf europäischen Werten gebaut würde, dann würde er schon daran denken wollen, vielleicht doch als Präsident zu kandidieren. Aber nur dann. „Wann das sein wird – keiner weiß es."

Freundlicher Applaus und ein Dank des Forum – Vorsitzenden Matthias Platzeck für Vortrag und Diskussion „ohne Klischees und Drumherum Worte."

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