Terror in Tschetschenien: Schwere Zeiten für Menschenrechte

Die Arbeit von Menschenrechtlern war in Tschetschenien immer erschwert, zeitweise sogar gefährlich. Im Jahr 2009 wurde in Grosny Natalja Estemirowa, eine Mitarbeiterin der Organisation Memorial, ermordet. Foto: Reuters

Die Arbeit von Menschenrechtlern war in Tschetschenien immer erschwert, zeitweise sogar gefährlich. Im Jahr 2009 wurde in Grosny Natalja Estemirowa, eine Mitarbeiterin der Organisation Memorial, ermordet. Foto: Reuters

Tschetschenien kämpft immer noch mit den Folgen des Terroranschlags in Grosny am 4. Dezember dieses Jahres. Präsident Ramsan Kadyrow und Menschenrechtsorganisationen sind sich uneinig über die Frage, ob Verwandte der Rebellen in Sippenhaft zu nehmen sind. Infolge des Konflikts steigt der Druck auf aktive Menschenrechtler in Tschetschenien.

„Wenn sich ein Terrorist in Tschetschenien des Totschlags schuldig macht, wird seine Familie unverzüglich ohne Rückkehrrecht außer Landes gewiesen, sein Haus wird samt Fundament abgerissen“, erklärte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow am Tag nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Rebellen am 4. Dezember in Grosny, die aufseiten der Ordnungshüter 14 Menschenleben forderte.

Die Worte Kadyrows fallen in der nordkaukasischen Teilrepublik in der Regel mit der offiziellen Regierungsposition zusammen. Sie wurden daher ernst genommen. Der Menschenrechtler Igor Kaljapin, Vorsitzender des Anti-Folter-Komitees, geht in ganz Russland gegen Fälle polizeilicher Willkür vor, unter anderem auch in Tschetschenien. Er verfasste ein Schreiben an die Ermittlungsbehörde und die Staatsanwaltschaft Russlands, in dem er darauf hinwies, dass Kadyrows Erklärung gegen die Verfassung und das russische Strafgesetzbuch verstoße. Er bat um eine Prüfung der Frage, ob Kadyrows

Worte nicht die Einleitung eines Strafverfahrens rechtfertigen. Die Behörden jedoch wiesen die Anfrage ab.

Die Reaktion des tschetschenischen Staatsoberhauptes ließ nicht lange auf sich warten. Indirekt beschuldigte er Kaljapin der Unterstützung der Terroristen und betonte, alle Maßnahmen der tschetschenischen Behörden richteten sich auf den Schutz anständiger Bürger. Derlei Anschuldigungen mussten sich Menschenrechtler auch bei einer Demonstration gegen Terrorismus und seine Unterstützer anhören, die eine Woche nach dem Anschlag in Grosny stattfand. Man warf ihnen vor, statt für die Opfer von Terroranschlägen Partei für die Familienangehörigen der Täter zu ergreifen, sich also nachsichtig bei Terroranschlägen zu zeigen. An dem gleichen Abend stand das Büro des Anti-Folter-Komitees in Grosny in Flammen. Die Ursachen des Brandes sind noch ungeklärt.

 

Brennende Häuser als Druckmittel

Igor Kaljapin selbst erklärte in einem Interview mit dem Portal „Medusa“, das Anti-Folter-Komitee werde seine Arbeit ungeachtet der erschwerten Bedingungen in Tschetschenien fortsetzen. Auch wenn das neue Büro seiner Organisation vielleicht in einem anderen Subjekt der Russischen Föderation eröffnet werde. Der Menschenrechtler ist überzeugt, dass die Repressionen gegen Verwandte der Rebellen nur noch mehr Rachegelüste in den Menschen wecken werden.

Zugleich werden seit dem Terroranschlag in Grosny in Tschetschenien immer wieder Häuser von Familien der Rebellen in Brand gesetzt. Die Menschenrechtsorganisation Memorial meldete bislang sieben Fälle solcher Brandstiftung. Alle sind nach Aussage der Organisation von bewaffneten maskierten Menschen verübt worden. Die Familien, deren Häuser niedergebrannt sind, verschwinden gewöhnlich spurlos.

Die Verfechter solcher unerbittlicher Maßnahmen, etwa der Dumaabgeordnete tschetschenischer Abstammung Chosch Magomed Wachajew, verweisen auf die Erfahrung Israels, wo dieses Jahr die Praxis des Häuserabrisses von Terroristen wieder aufgenommen wurde. Eine solche Methode der Terrorbekämpfung hält auch Jewgeni Satanowski, Präsident des Instituts des Nahen Ostens und Israel-Experte, für effektiv.

„Statistiken zeigen, dass die Zahl der Terroranschläge in den Jahren, als Israel diese strengen Maßnahmen anwendete, zurückging, dass sie umgekehrt immer dann, wenn man auf sie verzichtete, stiegen“, sagte er gegenüber RBTH. „Das hängt damit zusammen, dass im Nahen Osten, ebenso wie im Kaukasus, der Mensch immer im Familienverbund lebt. Und wenn die Familie weiß, dass sie die Folgen der Aktion eines Verwandten zu spüren bekommt, kann das Druck auf diesen erzeugen und ihn von der Tat abhalten“, so Satanowski.

 

Verfechter von Menschenrechten leben gefährlich

Die Arbeit von Menschenrechtlern war in Tschetschenien immer erschwert, zeitweise sogar gefährlich. Im Jahr 2009 wurde in Grosny Natalja Estemirowa, eine Mitarbeiterin der Organisation Memorial, ermordet. Sie hatte die Willkür des Sicherheits- und Polizeiapparats in Tschetschenien kritisiert. Die Ermordung Estemirowas ist bis heute nicht aufgeklärt. Dieses Jahr wurden auf die Menschenrechtlerin Sarema Sadulajewa von der Nichtregierungsorganisation Spasjom pokolenije (zu Deutsch: „Retten wir eine Generation“) und ihr Mann ein tödliches Attentat verübt.

Ramsan Kadyrow beteuerte, er sei erschüttert von diesen Attentaten und werde alles dafür tun, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Seitdem hat es in Tschetschenien keine Angriffe mehr auf Menschenrechtler und deren Vermögen gegeben – bis zu dieser Woche. Der Vorsitzende von Memorial Alexander Tscherkassow äußerte sich in einem Gespräch mit RBTH angesichts dieses Umstandes besorgt: „Die Lage in Tschetschenien hat sich eindeutig verschlechtert“.

„Antiterroroperationen im Nordkaukasus gibt es bereits seit 15 Jahren“, erzählte Tscherkassow. Aber nicht überall sei die Politik so drakonisch wie in Tschetschenien. „Nehmen wir das benachbarte Inguschetien, das vor sechs Jahren, als Junus-bek Jewkurow (im Jahr 2008, Anm. d. Red.) die Regierung übernahm, eine der konfliktträchtigsten Regionen Russlands war. Jewkurow ist es gelungen, innerhalb von sechs

Jahren die Situation im Land zu stabilisieren, allerdings mit ‚sanften‘ Mitteln. So entzog er dem Untergrund durch eine Legalisierung salafistischer Gemeinden und eine soziale Integration geläuterter Rebellen, die keine schwerwiegenden Verbrechen begangen hatten, den Boden“, führte Tscherkassow aus.

Ramsan Kadyrow dagegen fahre im Unterschied zu seinem inguschetischen Amtskollegen den Kurs einer „Null-Toleranz-Politik“. Diese sei, so glaubt Tscherkassow, „wirksam und doch ineffektiv“: „Wenn Polizeikräfte die Häuser von Verwandten jener abreißen, die ‚untergetaucht‘ sind, auch wenn sie gar keine ernstzunehmenden Straftaten begangen haben, dann stärken sie nur die Basis der Regimegegner.“

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