Abrüstung: Verlangen die USA zu viel von Russland?

John Kerry: Russland verstößt gegen den INF-Vertrag. Foto: Reuters

John Kerry: Russland verstößt gegen den INF-Vertrag. Foto: Reuters

Zur Eröffnung der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag warfen die USA Russland Vertragsbruch vor. Konkrete Beweise gebe es dafür aber nicht, sagen russische Politiker und Experten. Sie vermuten antirussische Propaganda hinter den Vorwürfen.

In New York begann am 27. April die vierwöchige und alle fünf Jahre stattfindende Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. In seiner Rede zur Eröffnung mahnte US-Staatssekretär John Kerry „offene Verstöße" gegen den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) durch Russland an und rief dazu auf, die Arsenale weiter zu reduzieren. Zudem warf Kerry der Russischen Föderation vor, mit der Eingliederung der Halbinsel Krim gegen das Budapester Memorandum von 1994 verstoßen zu haben, das der Ukraine die Achtung ihrer Souveränität und Grenzen garantieren sollte, wenn sie im Gegenzug auf die Stationierung von Nuklearwaffen verzichtet.

 

Keine Beweise

Beweise für ein angeblich russisches Fehlverhalten blieb Kerry jedoch schuldig. Michail Uljanow, Direktor des Departements zu Fragen der Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle beim russischen Außenministerium, der ebenfalls auf der Konferenz sprach, nannte Kerrys Vorwürfe dann auch „unmotivierte Anschuldigungen", bei denen die USA „sich weigere, diese mit konkreten Beweisen zu hinterlegen, oder es wahrscheinlich auch nicht könne". Weiter sagte Uljanow, es sei „die Politik der USA", die „das größte Hindernis auf dem Weg zu weiteren Senkungen der Nuklearpotentiale" darstelle. Uljanow betonte dabei den einseitigen Aufbau des globalen Raketenabwehrsystems, das Konzept eines direkten globalen Schlages und die Blockadehaltung der USA bei Verhandlungen zum Verbot einer Stationierung von Waffen im Weltall.

Dmitrij Jestafjew, Professor der Higher School of Economics und Experte in Fragen der nuklearen Nichtverbreitung, sagte, es gebe bislang keine Beweise für den Bruch des INF-Vertrags durch Russland. „Das sind nur Gerüchte, die auf einer Auslegung bestimmter wissenschaftlicher Forschungsarbeiten beruhen, die in der Russischen Föderation verfasst worden sind", meint er.

Pjotr Topytschkanow arbeitet am Programm „Probleme der Nichtverbreitung" am Moskauer Karnegie-Zentrum mit. Er erklärt, dass der INF-Vertrag Konsultationen vorschreibe, wenn es Unstimmigkeiten gebe. Daran hätten sich die USA jedoch nicht gehalten. Er glaubt, dass Washington die Probleme gar nicht auf bilateralem Wege lösen, sondern das Thema aktiv in den Medien und auf multilateralen Plattform für sich nutze wolle.

 

Nicht mehr Abrüstung als vorgeschrieben

In seiner Rede erwähnte Kerry auch den vor einigen Jahren abgeschlossenen Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen (Start-3). Er sagte, dass der Vertrag von beiden Seiten erfüllt werde, unterstrich aber, dass Washington Moskau auch weiterhin auffordere, das nukleare Arsenal noch mehr zu reduzieren, und zwar um weitere 30 Prozent. Dazu sei Russland laut Jestafjew aber noch nicht bereit. Eine solche Verringerung unter die Obergrenzen des Vertrags würde bedeuten, dass die USA einen „vorprogrammierten Vorteil" bei den Transportmitteln für klassische Waffen

erhielten, so etwa bei Marschflugkörpern. Topytschkanow betonte, der Vertrag werde zurzeit von beiden Parteien zu „100 Prozent" erfüllt. Kerrys Forderungen kämen zu früh, der Vertrag gelte noch bis 2020. Zudem gebe es für Russland keinen Grund, unter das Start-3-Limit zu gehen, erklärte Topytschkanow.

Zu Kerrys Vorwürfen, Russland habe gegen das Budapester Memorandum verstoßen, sagte Pjotr Topytschkanow, dass „das, was in der Ukraine geschehen ist (Eingliederung der Krim in die Russische Föderation, Anm. d. Red.) ein Signal für jene Länder gewesen sein könnte, die die Möglichkeit des Erwerbs von Nuklearwaffen in Erwägung ziehen." Sie hätten gesehen, dass der Verzicht auf Nuklearwaffen dazu geführt habe, dass die Ukraine einen Teil ihres Staatsgebietes verlor. Moskau sei jedoch damals von einem neutralen Status der Ukraine ausgegangen, sagt Jestafjew. Zuletzt habe die Ukraine aber den Beitritt zur Nato angestrebt. Damit habe sie selbst gegen das Memorandum verstoßen, meint er.

Im Jahr 2014 berichtete die US-Presse, Russland habe eine Mittelstreckenrakete der Klasse Boden-Boden getestet. Dies wäre ein Verstoß gegen die Bestimmungen des im Jahr 1987 unterzeichneten INF-Vertrags.

Der Vertrag verbietet die Herstellung sowie Tests und Aufstellung von bodengestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mit einer Reichweite zwischen 500 und 5 500 km.

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