Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny bleibt auf freiem Fuß. Foto: EPA
An vergangenem Mittwoch wurde die Bewährungsfrist für den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawlany um drei Monate verlängert. Wegen Unterschlagung war Nawalny 2013 zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Das Gericht widersprach gleichzeitig einem Antrag des Föderalen Vollzugsdienstes, die Bewährungsstrafe aufzuheben und in eine Haftstrafe umzuwandeln.
Der Föderale Vollzugsdienst forderte die Änderung der Strafe, weil sie eine Aktion Nawalnys in der Moskauer U-Bahn im Februar 2015 als Verstoß gegen die Bewährungsauflagen wertete. Damals wurde der Oppositionspolitiker verhaftet und 15 Tage festgehalten, weil er in der U-Bahn Flugblätter verteilt hatte, auf denen zur Teilnahme an der Protestaktion "Frühling", einer für den 1. März geplanten Demonstration, aufgerufen wurde. Zum Zeitpunkt der Flugblatt-Aktion gab es für die Demonstration jedoch noch keine Genehmigung. Nawalny wurde daher einer Ordnungswidrigkeit, nämlich dem „Aufruf zu einer unerlaubten Aktion", beschuldigt. Die Demonstration wurde später abgesagt. Laut Gesetz wäre die Voraussetzung für einen Bewährungsverstoß damit gegeben, allerdings hätte es sich um eine Wiederholungstat handeln müssen. Dafür muss ein Delikt mindestens zwei Mal begangen wurde. Das sah das Gericht bei Nawalny jedoch nicht als gegeben an.
Nach dem Ende des Verfahrens bezeichnete Nawalny die „unendlichen Prozesse" gegen ihn als eine Bewährungsprobe für die Gesellschaft. Er vermute, dass er damit unter Druck gesetzt werden solle, ebenso wie seine Fortschrittspartei, der erst Ende April die Genehmigung entzogen wurde, und seine Stiftung gegen Korruption. Er gehe davon aus, dass es immer wieder neue Versuche geben werde, ihn hinter Gitter zu bringen: „Ich hege keine Illusionen. Bald werden sie sich wieder etwas Neues ausdenken: Die Straße bei roter Ampel überqueren, sich falsch anmelden oder komisch gucken", schrieb Nawalny später im Internet.
Am Donnerstag fand dann auch gleich der nächste Prozess gegen Nawalny statt. Diesmal ging es um die Meldepflicht des Oppositionspolitikers, die Bestandteil seiner Bewährungsauflagen ist. Nawalny muss sich nun melden, wann immer der Vollzugsdienst es ihm vorschreibt und nicht, wann er will. Im Dezember 2014 wurde Nawalny zudem wegen angeblicher Unterschlagungen beim Kosmetikkonzern Yves Roche zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt, sein Bruder Oleg Nawalny muss dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.
„Die jüngsten Verfahren haben keinen politischen Hintergrund", meint Alexander Poschalow, Leiter der Forschungsabteilung beim kremlnahen Institut für soziowirtschaftliche und politische Forschungen. Sie seien reine Routine. Der Vollzugsdienst habe keine andere Wahl, als das Gericht auf etwaige Verstöße gegen Bewährungsauflagen aufmerksam zu machen. Ansonsten könne man den Vollzugsdienst der Pflichtverletzung beschuldigen. „Das Gericht hat ebenfalls lediglich seine Arbeit gemacht und dabei festgestellt, dass es zwar Verstöße gegeben hat, sich diese jedoch nicht auf die Strafe auswirken, weil es sich nicht um Wiederholungstaten gehandelt hat", erklärt er weiter. Jewgenij Mintschenko, Leiter des unabhängigen Internationalen Instituts für politische Expertise, glaubt, dass Nawalny es auf eine Gefängnisstrafe anlege. „Die Regierung will das jedoch
nicht, damit aus Nawalny kein russischer Nelson Mandela wird", sagt er. Poschalow vermutet, dass es Nawalny als führendem Oppositionellen unangenehm sei, selbst weiter auf freiem Fuß zu sein, während einfache Oppositionelle ins Gefängnis müssten, wie zum Beispiel die Teilenehmer an den Protestaktionen auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau im Jahr 2012. Einige von ihnen wurden auch unter Hausarrest gestellt. Manche haben das Land aus Angst vor Repressalien verlassen. Nawalnys Behauptungen, dass so Druck auf ihn ausgeübt werden solle, wertet Poschalow als Versuch, die seltsame Situation zu erklären.
Michail Korostikow, Analyst des unabhängigen Forschungszentrums Krischtanowskajas Labor, meint hingegen, im Fall Nawalny gehe es ausschließlich um politische Zweckmäßigkeit und nicht um irgendwelche Rechtsfragen. Vor dem Hintergrund der Sanktionen, Repressionen und internationalen Konfrontation wäre eine Zuspitzung der Lage durch eine Gefängnisstrafe für den bekanntesten russischen Oppositionsführer einfach zu viel, meint der Experte. „Der Staat würde davon kaum profitieren, diese Maßnahme kann die Popularität des Präsidenten nicht beeinflussen. Die Nachteile würden aber sehr spürbar sein", glaubt er.
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