Michail Uljanow: „Abrüstung geht nicht von heute auf morgen“

Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertag: Russland sieht  keine Gefahr eines Atomkrieges. Foto: AP

Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertag: Russland sieht keine Gefahr eines Atomkrieges. Foto: AP

Noch bis zum 22. Mai 2015 findet in New York die neunte Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen statt. Michail Uljanow, Leiter der russischen Delegation, berichtet im Interview mit dem „Kommersant“, wo er Hindernisse für den vollständigen Abbau von Atomwaffen sieht.

„Kommersant": 160 Staaten, die den Atomwaffensperrvertag (NPT) unterzeichnet haben, riefen dazu auf, Nuklearwaffen vollständig aufzugeben, wegen der humanitären Folgen eines Einsatzes. Die fünf Nuklearstaaten waren dagegen. Ist das das Aus für den Atomwaffensperrvertrag?

Michail Uljanow: Wenn sich eine solche Anzahl von Staaten, sprich, die Mehrheit der Vertragsstaaten, zu einer Initiative zu den humanitären Folgen des Einsatzes von Nuklearwaffen zusammenfindet, kann man das nicht unbeachtet lassen. Trotzdem sind wir nicht einverstanden mit dieser Initiative.

Zuerst einmal lenkt es den Fokus von realen Problemen der nuklearen Entwaffnung ab. Warum wurde dieses Thema nicht schon 2005 oder Ende des letzten Jahrhunderts angesprochen? In der Welt ist seitdem nichts Außerordentliches passiert, dass man dieses Thema jetzt diskutieren müsste. Es wirkt, als wäre es künstlich auf die Tagesordnung gesetzt worden, um einen Atomwaffenverbot anzustreben. Außerdem bringt diese Initiative überhöhte Erwartungen im Bereich der nuklearen Abrüstung mit sich, und das kann wirklich an den Grundlagen des Nichtverbreitungsvertrags rütteln.

Michail Uljanow ist Direktor des Departements zu Fragen der Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle des Außenministeriums der Russischen Föderation und leitet die russische Delegation in New York

Michail Uljanow ist Direktor des Departements zu Fragen der Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle des Außenministeriums der Russischen Föderation und leitet die russische Delegation in New York. Foto: Pressebild

Viele Staaten behaupten, der NPT habe einen diskriminierenden Charakter.

Ja, sie sagen: Die Länder mit Nuklearwaffen haben es gut. Während die anderen eine Verpflichtung eingegangen sind, keine Nuklearwaffen zu produzieren, haben es die existierenden Nuklearstaaten nicht eilig mit der Abrüstung und lassen sich Zeit mit Reaktionen auf die Wünsche der internationalen Gemeinschaft im Hinblick auf eine nuklearwaffenfreie Welt.

Hört sich wie eine gesunde Logik an...

Darin ist tatsächlich ein Körnchen Wahrheit enthalten. Aber solche Einschätzungen widersprechen der Wirklichkeit: Sowohl die US-Amerikaner, als auch wir haben in den letzten 25 Jahren die Menge der aufgestellten Nuklearwaffen um fast 85 Prozent verringert. Wenn man von 2005 an rechnet, so hat sich die Anzahl der einsatzbereiten Sprengköpfe auf ein Drittel verringert. Klingt das etwa nach langsam? Aber so oft man das auch wiederholt, es will niemand hören.

Aber hat sich der Prozess der nuklearen Abrüstung nicht in der letzten Zeit verlangsamt?

Wenn man über nukleare Abrüstung spricht, ist die Situation tatsächlich nicht leicht. In weniger als drei Jahren, zum 5. Februar 2018, sollen wir mit

den USA die Vorgaben des letzten Start-Vertrags erfüllen. Es stellt sich die Frage, was danach kommen soll. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Zu ungewiss ist die Situation im Bereich der strategischen Stabilität. Es geht auch, und das haben wir mehrmals wiederholt, um das US-amerikanische Raketenabwehrsystem und um die wahrscheinliche Stationierung von Waffen im Weltraum, und über ein Ungleichgewicht bei den regulären Streitkräften.

Es wird heute vermutlich niemand sagen können, ob ein neues Abkommen im Bereich der strategischen Angriffswaffen abgeschlossen werden kann. Zumindest steht diese Frage für uns nicht auf der Tagesordnung.

Bleibt denn die Möglichkeit für einen Dialog mit den USA zur Frage der Raketenabwehr?

Ich habe keine Informationen über die Bereitschaft Washingtons, dieses Thema zu diskutieren. Der Dialog zu Fragen der strategischen Stabilität über die Präsidentenkommission wurde, wie bekannt, abgebrochen. Die USA haben erklärt, dass das Raketenabwehrsystem mit oder ohne Russlands Zustimmung aufgebaut werde. Sie haben auch klar vermittelt, dass sie unseren Wünschen nach juristischen Garantien, dass das System nicht gegen Russland gerichtet werden wird, nicht nachkommen werden. Aber auch der Gesamtzustand unserer bilateralen Beziehungen ist nicht förderlich für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch.

Sind Sie der Meinung, dass das Risiko eines nuklearen Konflikts gestiegen ist?

Nein, finde ich nicht. Es ist nichts in der Welt passiert, was die Anwendung von Nuklearwaffen provozieren könnte. Sowohl die US-Amerikaner, als auch die anderen Länder sind sich ihrer hohen Verantwortung sehr wohl bewusst.

Aus Punkt 14 des Start-Vertrags folgt, dass der Aufbau eines Raketenabwehrsystems Grund für einen Rücktritt vom Vertrag sein kann. Warum ist Russland noch nicht vom Vertrag zurückgetreten?

Ich möchte daran erinnern, dass Dmitri Medwedjew im November 2011, damals war er Präsident Russlands, sagte, wir könnten unsere Einstellung

zum Vertrag überdenken, sollte das Raketenabwehrsystem unsere Sicherheitsinteressen tangieren. Soweit ich es verstehe, sind diese Umstände nicht eigetreten. Das US-amerikanische Raketenabwehrsystem ist jetzt im Zustand der ursprünglichen Bereitschaft.

Zeugt denn die Äußerung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Film "Krim. Weg in die Heimat", Russland habe zu Beginn der Ukraine-Krise erwogen, nukleare Waffen in Stellung zu bringen, nicht davon, dass die Existenz von Nuklearwaffen heute mehr Bedeutung hat, als früher?

Der Präsident sagte, dass diese Option erwogen wurde, aber aus seinen Worten folgt nicht, dass die nuklearen Streitkräfte tatsächlich in erhöhte Kampfbereitschaft versetzt wurden.

Ein weiteres heißes Thema der Konferenz war, dass Russland beschuldigt wurde, gegen den INF-Vertrag verstoßen zu haben.

Solche Fragen sollten auf diplomatischem Wege gelöst werden. Wir halten die Polemik zu diesem Thema auf der Überprüfungskonferenz für nicht angebracht, aber da unsere US-amerikanischen Partner das Thema angesprochen haben, werden wir natürlich unsere Position erläutern.

Seit dem Beginn der Unterzeichnung des INF-Vertrags sind die Militärtechnologien weit vorangeschritten. Die russische Seite beschuldigt die USA des Verstoßes gegen den INF-Vertrag, insbesondere wegen der Angriffsdrohnen.

Die US-amerikanischen Drohnen fallen vollständig unter die Definition von Mittel- und Langstreckenraketen, unabhängig von den Funktionen, die sie ausgeführt haben. Vor der Produktion solcher Angriffsdrohnen hätten die US-amerikanischen Kollegen zu uns kommen, und Änderungen am Vertrag vorschlagen können. Aber sie haben es nicht getan und haben stattdessen gegen die Vertragsbedingungen verstoßen.

Das heißt, Sie sehen die Änderung des Vertrags als möglich an?

Der Vertrag selbst weist diese Option aus. Jede der Parteien kann eine beliebige Änderung einbringen, sie kann aber nur bei Übereinstimmung der anderen Partei übernommen werden. In jedem konkreten Fall müssen solche Fragen einzeln geklärt werden. Wir haben aber nicht vor, Änderungen einzubringen.

Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei Kommersant.

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