Hiroshima und Nagasaki: Moskau fordert Tribunal

Zum 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki wurden in Moskau Forderungen nach einem internationalen Tribunal laut. Aus der Staatsduma hieß es, das Vorgehen der USA im August 1945 müsse endlich „juristisch einheitlich bewertet“ werden.

Im Vorfeld des 70. Jahrestages der Atombombenabwürfe über die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki wird in Moskau ein internationales Tribunal gefordert. So erklärte der Vorsitzende der Staatsduma Sergej Naryschkin in einem Gastvortrag am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen: „Die Atombombenabwürfe auf die Städte Japans – die einzigen in der Menschheitsgeschichte – waren nie Gegenstand einer Untersuchung durch ein internationales Militärtribunal. Noch nicht. Wir aber wissen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren.“

In der russischen Geschichte weise die Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki eine besondere Dimension auf, weil diese Angriffe nicht nur dazu gedient hätten, Japan zu einer Kapitulation zu bewegen. Ihr Ziel sei es auch gewesen, „unser Land, den damaligen Verbündeten der USA, in die Knie zu zwingen“, behauptete der Politiker. Eines stünde fest: Dass die US-Amerikaner 1945 nach diesem Mittel gegriffen hätten, habe sich weder aus humanitären Überlegungen noch aus militärischer Notwendigkeit heraus ergeben.

 

„Es gab eine echte Chance, den Krieg zu stoppen“

Den Ruf nach einem internationalen Tribunal unterstützt auch der stellvertretende Duma-Vorsitzende Andrej Isaew. Dafür gibt es, seiner Ansicht nach, allen Grund. Nach wie vor legten die USA die Atombombenabwürfe als eine erzwungene Maßnahme aus. Daher solle das Tribunal der Tatsache des nuklearen Kampfeinsatzes Rechnung tragen und eine einheitliche juristische Bewertung vornehmen. „Im Grunde stellt die Regierung eines der einflussreichsten Länder Verbrechen gegen die Menschlichkeit als eine Tugend dar. Das ist ein sehr gefährlicher Präzedenzfall und gibt Verantwortlichen für die Zukunft freie Hand für derartige Verbrechen“, erklärte Isaew.

Das Tribunal müsse die Frage stellen, ob die USA sich ihres verbrecherischen Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung bewusst gewesen seien, meint der stellvertretende Vorsitzende. Für ihn waren die Atombombenabwürfe nichts weiter als „eine klare Machtdemonstration der Sowjetunion gegenüber“, wie auch die Bombardierung Dresdens eine Machtdemonstration gewesen sei.

In der Tat „gab es eine reale Chance, den Krieg zu stoppen, wie Unterlagen belegen“, sagte Alexander Ilyschew-Wwedenskij, Leiter der japanischen Abteilung im asiatischen Departement des russischen Außenministeriums. Japan sei kurz davor gewesen, die Bedingungen der Potsdamer Erklärung zu akzeptieren und zu kapitulieren: Dies meldete der japanische Botschafter in der UdSSR Ende Juli 1945. Doch der Vorschlag des Botschafters wurde „von der höchsten Führung des militaristischen Japans“ zunächst nicht angenommen.

Mutter und Kind sitzen inmitten von Schutt und abgebrannten Bäumen in Hiroshima. Am 6. August, ungefähr vier Monate zuvor, ließen die USA eine Atombombe auf die Stadt fallen. Foto: Getty Images

Die Sowjetunion habe ihre diplomatischen Bemühungen dennoch fortgesetzt. Und schon am 6. August – dem Tag des ersten Bombenabwurfs – habe der japanische Außenminister Togo die Bereitschaft Japans verkündet, zu Bedingungen, wie die Sowjetunion sie vorgeschlagen habe, zu kapitulieren. Dass die Amerikaner davon wussten, weil sie Meldungen des japanischen Außenministeriums abfingen, schließt Ilyschew-Wwedenskij dabei nicht aus. „Das könnte der auslösende Funke bei der Entscheidung für den Atombombenabwurf auf Hiroshima gewesen sein.“

Diese Angriffe der US-Amerikaner hätten zum einen der Potsdamer Erklärung widersprochen. Darin sei die Absicht der Alliierten festgehalten worden, keine zivilen Opfer zuzulassen, meint das russische Außenministerium heute. Zum anderen sei das Bombardement mit den Alliierten nicht abgesprochen gewesen: „Das war eine Aktion im Alleingang.“ „Das Wichtigste aber ist, dass diese Aktion für das Kriegsende nicht entscheidend war. Entscheidend war bekanntermaßen der Eintritt der UdSSR in den Krieg“, betonte Ilyschew-Wwedenskij.

 

Opfer eines politischen Zynismus

„Ja, das japanische Militär verübte damals zahlreiche grausame Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung Chinas, Koreas und anderer asiatischer Staaten. Und darauf gab die zivilisierte Menschheit mit den Kriegsverbrecherprozessen von Tokio und Chabarowsk auch eine zivilisierte Antwort. Doch die Menschen von Hiroshima und Nagasaki hatten mit diesen Verbrechen rein gar nichts zu tun“, unterstrich der Duma-Vorsitzende Naryschkin.

Die heutige US-Regierung wolle zwar nicht die Tragödie von Hiroshima und Nagasaki vertuschen, sagte Naryschkin weiter, umso mehr aber die Heuchelei und den Zynismus damaliger Machthaber. Das werfe einen Schatten auf die gegenwärtige amerikanische Politik. Schließlich „tritt sie in die Fußstapfen der gleichen Ideologie von der eigenen Exklusivität“, resümierte der Politiker.

Die Russische Historische Gesellschaft wird am heutigen Donnerstag, dem 70. Jahrestag der Bombardierung, auf ihrer Internetseite ein einzigartiges Archivdokument des Außenministeriums veröffentlichen: einen Bericht der Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft in Japan. „Dies ist das erste Dokument, das der Menschheit die Schrecken des (nuklearen) Bombardements veranschaulicht“, sagte er.

Eine Bombe für den Weltfrieden

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