Hans-Henning Schröder: „Eine werteorientierte Außenpolitik ist Quatsch“

Dem Osteuropa-Experten war 2011 trotz eines gültigen Visums die Einreise in Moskau verweigert worden. Deutschen Diplomaten wurde von russischer Seite bedeutet, Schröder stelle ein «Sicherheitsrisiko» dar.

Dem Osteuropa-Experten war 2011 trotz eines gültigen Visums die Einreise in Moskau verweigert worden. Deutschen Diplomaten wurde von russischer Seite bedeutet, Schröder stelle ein «Sicherheitsrisiko» dar.

DPA/Vostock-Photo
Der renommierte Russlandexperte und Herausgeber der „Russland-Analysen“ Hans-Henning Schröder ging der Frage nach, wie groß der Unterschied zwischen russischen und europäischen Werten ist. Das Ergebnis? Gar nicht so überraschend.

Was verbindet Westeuropa und Russland? Sind die Russen gar Europäer? Seit Jahrhunderten werden zu diesem Thema unzählige Diskussionen geführt. Aktuell hat es wieder an Brisanz gewonnen: Sowohl von westlicher als auch von russischer Seite wird stets aufs Neue betont, wie unterschiedlich die Werte seien.

Die Europäische Union definiere sich zwar als „Wertegemeinschaft“, sei aber tatsächlich eine Interessengemeinschaft, betonte Hans-Henning Schröder in einem Vortrag, den er im Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub in Düsseldorf hielt. Die Werte, auf die sie sich gründet, sind Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Minderheiten. So steht es in den Lissaboner Verträgen von 2007.

Auf der anderen Seite formulierte der russische Präsident in seiner Botschaft an die Föderale Versammlung im Jahr 2013 ein eigenes Konzept russischer Werte. Russland wende sich gegen die Zerstörung konservativer Werte, hieß es darin. Die russische Position solle die moralische Grundlage der Zivilisation schützen mit Werten der traditionellen Familienordnung, Religion, Humanismus. Diese zwei verschiedenen Definitionen würden nun politisch gegeneinander in Stellung gebracht, meint Schröder.

Schröder, der die Forschungsgruppe Russland der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin leitete, findet die Fragestellung über die Wertedifferenz allerdings schwierig. Als Slawist bezieht er sich auf die große russische Literatur und fragt, wo dort „fremde Werte“ zu finden seien? „Das alles ist auch Teil des europäischen Wertekanons“, stellte er fest. Werte, das sei zudem ein sehr schwammiger Begriff. Denn menschliche Biografien und Erfahrungen spielten dabei eine große Rolle. So habe etwa nach verschiedenen Umfragen des Lewada-Meinungsforschungsinstituts das westliche politische und ökonomische System die Russen nie wirklich überzeugen können – 70 Prozent der Russen finden, es passe nicht zu ihrem Land. Grund: Die persönlichen Erfahrungen mit der freien Marktwirtschaft in den 1990er-Jahren waren zu negativ.

Werte entwickelten sich aus der Geschichte eines Landes, betonte Schröder und verwies auf das „World Values Survey“-Projekt, das Wertevorstellungen in 100 Ländern vergleicht. Russland und Deutschland sind sich demnach näher, als man vermuten würde. Es gebe keinen Riss zwischen Ost und West, meint Schröder. Denn sowohl in Deutschland als auch in Russland verbinde man etwa Demokratie in hohem Maße damit, dass sie Unterdrückung verhindern soll, was mit den Erfahrungen der Länder mit Totalitarismus zu erklären sei.

Ähnliche Wertevorstellungen zeigen sich auch beim Thema Religion. Nur 13 Prozent der Russen definieren Religion als „wichtig“, in Deutschland sind es elf Prozent. In den USA spielt die Religion für 47 Prozent eine bedeutende Rolle. Dennoch gilt Russland als besonders religiös. „Die Orthodoxie spielt eine große Rolle in der russischen Gesellschaft, aber das hat wenig mit Religiosität zu tun“, erklärte Schröder. Die Kirche sei identitätsstiftend für die Nation. Sie werde auch zur Legitimation der Politik genutzt.

Russland habe offensichtlich ein großes Bedürfnis, eine eigene Identität zu finden, und distanziere sich daher vom Westen, resümierte Schröder. Wenn man aber einzelne Werte und Einstellungen abfrage, könne man feststellen, dass es „keine große Wertedifferenz“ gebe. Eine werteorientierte Außenpolitik sei daher unsinnig. Kurzum: „Quatsch“, wie Schröder sagte.

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