Deutsch-russische Beziehungen: Gabriel plädiert für Verständnis

Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel würdigte Daniil Granin als lebendes Symbol für ein Jahrhundert deutsch-russischer Geschichte.

Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel würdigte Daniil Granin als lebendes Symbol für ein Jahrhundert deutsch-russischer Geschichte.

Deutsch-Russisches Forum e.V., Fotograf: Sascha Radke
Einmal im Jahr zeichnet das Deutsch-Russische Forum eine Persönlichkeit, die sich um die deutsch-russischen Beziehungen verdient gemacht hat, mit dem Dr.-Friedrich-Joseph-Haass-Preis aus. Dieses Mal wurde Daniil Granin geehrt. Klare Worte gab es vom Festredner – dem deutschen Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Russland und der Europäischen Union forderte am Donnerstag in Berlin der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Wenn derartige Abkommen zwischen Europa und den nordamerikanischen Staaten vereinbart würden, sollte das im Verhältnis zu Russland nicht anders sein.

Gabriel sprach anlässlich der Verleihung des Dr.-Friedrich-Joseph-Haass-Preises, der in diesem Jahr dem russischen Schriftsteller Daniil Granin verliehen wurde. Dabei warb er entschieden für mehr gegenseitiges Verständnis in den deutsch-russischen Beziehungen. Beide Seiten müssten versuchen, die Positionen der jeweils anderen nicht von vornherein als haltlos abzutun. Unabhängig von der eigenen Überzeugung und den eigenen Interessen sei dringend mehr Verständnis für die Gegenseite erforderlich. Vor allem müsse man Analyse und Bewertung klarer trennen.

Der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, begrüßte die Teilnehmer der Festveranstaltung. Quelle: Deutsch-Russisches Forum e.V., Fotograf: Sascha RadkeDer Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, begrüßte die Teilnehmer der Festveranstaltung. Quelle: Deutsch-Russisches Forum e.V., Fotograf: Sascha Radke

Gabriel tadelt Russen und Deutsche für Häme und Spott

Der Vizekanzler sparte nicht mit Kritik an beiden Seiten. In Deutschland nicht anders als in Russland würden die eigenen Positionen in den Vordergrund gerückt. So nehme man den russischen Beitrag zur Eindämmung internationaler Konflikte – Beispiel Iran – hierzulande praktisch kaum wahr. Es sei auch „unsinnig“, wenn inzwischen „fast täglich“ vor den Gefahren der Energieabhängigkeit von Russland gewarnt werde. In den über vier Jahrzehnten russischer Energielieferungen nach Westeuropa, teils unter Bedingungen des Kalten Kriegs, habe der Nachbar im Osten stets uneingeschränkte Liefertreue gezeigt.

Mit Blick auf Moskau kritisierte Gabriel die Unterstützung rechter und rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa durch Russland, sei es finanziell oder auf dem Wege gemeinsamer Veranstaltungen. Dies sei wenig hilfreich bei der Vertrauensbildung zwischen Moskau und der europäischen Politik. Nicht hinzunehmen sei auch, wenn in den russischen Medien westeuropäische Probleme wie etwa die Flüchtlingskrise einseitig negativ und zugespitzt dargestellt würden. Gabriel wörtlich: „Moralisierender Hochmut auf der deutschen Seite ist genauso schlecht wie Häme auf der russischen.“

Er erinnerte an die 2015 verstorbenen Sozialdemokraten Egon Bahr und Helmut Schmidt, Väter der Entspannungspolitik und nachhaltige Verfechter des Dialogs auch über Gräben hinweg. Hundert Stunden verhandeln sei besser als eine Minute schießen, habe Schmidt gesagt und doch immer darauf bestanden, dass Dialog nicht bedeute, unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch zu kehren.

Der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland Wladimir M. Grinin forderte in seinem Grußwort Russen und Deutsche auf, wieder „Brücken des Vertrauens und der Zusammenarbeit“ zu bauen. Quelle: Deutsch-Russisches Forum e.V., Fotograf: Sascha Radke Der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland Wladimir M. Grinin forderte in seinem Grußwort Russen und Deutsche auf, wieder „Brücken des Vertrauens und der Zusammenarbeit“ zu bauen. Quelle: Deutsch-Russisches Forum e.V., Fotograf: Sascha Radke

Granin als Symbol-Preisträger

Zuvor hatte der russische Botschafter Wladimir Grinin sich heftig gegen den Vorwurf gewehrt, Russland betreibe mit hybriden Mitteln die Destabilisierung der EU oder träume gar von einem „Staatsstreich in Berlin“. In perfektem Deutsch beklagte der Botschafter den Zustand der deutsch-russischen Beziehungen. Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges habe er sich eine solche Entwicklung nicht vorstellen können.

Dass der 98-jährige Weltkriegsoffizier und Überlebende des Kessels von Leningrad Daniil Granin vom Deutsch-Russischen Forum zum Haass-Preisträger 2016 erkoren wurde, ist auch ein Aufruf zum Optimismus. Granin verkörpert mit seinem Leben die extremen Belastungen, denen das Verhältnis beider Länder in den vergangenen hundert Jahren ausgesetzt war. Als das bolschewistische Russland und das Deutsche Kaiserreich im März 1918 den Frieden von Brest-Litowsk unterzeichneten, war er drei Monate alt.

Heftig diskutiert wurde bei der Mitgliederversammlung des Forums, die dem Festakt vorausging. Im Mittelpunkt stand die emotionale Polarisierung der Russland-Diskussion in Deutschland. Die Kritik machte sich an zwei Punkten fest: die Geopolitik der USA mit den deutschen Transatlantikern als lokale Stützen und der a priori russlandkritische Ansatz in vielen sogenannten Leitmedien. Eine wesentliche Erkenntnis nach über zwei Jahren Krise in Europa formulierte Matthias Platzeck, Präsident des Deutsch-Russischen Forums: Wir begriffen allmählich, so der Ex-Ministerpräsident, dass doch nicht alle Menschen auf der Welt so sein, denken und leben wollten wie wir.

Deutsche und Russen: Ein komplementäres Verhältnis

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