Brexit-Referendum: Chance und Risiko für Russland

Welche Folgen hätte ein EU-Ausstieg Großbritanniens für Russland?

Welche Folgen hätte ein EU-Ausstieg Großbritanniens für Russland?

Reuters
Während die Briten über einen möglichen Ausstieg aus der Europäischen Union entscheiden, wägen russische Experten ab, ob Russland mit einem Brexit gewinnen oder verlieren würde.

Die Wahllokale sind geöffnet, nun entscheiden die Briten: Werden sie in der Europäischen Union bleiben oder nicht? Es ist das wohl wichtigste Referendum einer Generation und ein Schicksalstag für ganz Europa. Denn die Stimme Großbritanniens hat das Potenzial, die EU nachhaltig zu verändern.

Das hat auch Auswirkungen auf Länder jenseits der EU-Grenzen. So erwartet Russland den Ausgang der Wahl ebenfalls mit Spannung. Gleichwohl Moskau das Referendum als eine innere Angelegenheit Großbritanniens abtut, kann es doch nicht sein Interesse an der Zukunft der Europäischen Union verbergen. Experten erklären, was mit dem britischen EU-Referendum für Russland auf dem Spiel steht.

Maxim Sutschkow, Mitglied im Russischen Rat für internationale Angelegenheiten, Kolumnist für das US-Magazin „Al-Monitor“

„Ein Wort, das den Brexit am besten beschreibt, ist ‚Unsicherheit‘. Wenn Großbritannien in der EU verbleibt, wird es sicher ein anderes Europa geben. Wenn es die EU verlässt, stellt sich die grundlegende Frage, ob die Idee von einem vereinigten Europa überhaupt noch eine Zukunft hat. In jedem Fall sieht es so aus, als ob diese Entscheidung einen Meilenstein markieren wird, der die Zukunft der internationalen Politik für die nächsten Jahrzehnte bestimmen wird.

Für Russland würde der Brexit zu wohl bekannten finanziellen Verlusten führen, was im Anbetracht des momentanen Zustands der nationalen Wirtschaft aber nicht besonders kritisch sein dürfte. Es gibt jedoch wichtige Stimmen, die prognostizieren, dass Russland auf lange Sicht von einer intensiveren bilateralen Zusammenarbeit mit einzelnen europäischen Staaten anstelle mit den Gemeinschaftsinstitutionen profitieren würde.“

James Nixey, Chef des Russland- und Eurasien-Programms beim britischen Thinktank Chatham Haus

„Ein Brexit würde aller Wahrscheinlichkeit nach die ohnehin bereits in der EU existierenden destruktiven Kräfte stärken, die Einheit aushöhlen und so Russland eine lautere Stimme, das heißt mehr Ellbogenfreiheit, verleihen und seine Argumente für Rüstungsverträge, für eine Sicherheitsarchitektur und den ehemaligen sowjetischen Raum befördern. Destabilisierung ist eine russische Taktik, die wir in der Ukraine beobachten konnten, aber diese Destabilisierung ist eine europäische, eine hausgemachte. Russland steckt zwar nicht dahinter, aber es wird versuchen, seinen Nutzen daraus zu ziehen, im Rahmen dessen, was es als nationale Interessen wahrnimmt.“

Boris Stremlin, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Studien zu Zentralasien (CASC)

„Der Brexit kann Russlands Wirtschaft belasten: Ein möglicher Ausstieg Großbritanniens macht die Märkte schon jetzt nervös und nervöse Märkte bedeuten niedrigere Erdölpreise. Auf der anderen Seite kann Russland geopolitisch einige Punkte gewinnen: Der Brexit würde für die Europäische Union in ihrer derzeitigen Form wahrscheinlich den Todesstoß bedeuten – das würde die Zusammenarbeit mit jenen Ländern verbessern, die der Russland-Politik der EU skeptisch gegenüber eingestellt sind. Auch wird es Russlands Gewicht in Europa einfach schon deshalb vergrößern, weil die abnehmende Bedeutung der EU den großen Nachbarn, der einst vom EU-Projekt ausgeschlossen wurde, unvermeidlich stärken wird.“

Elena Ananijewa, Leiterin des Zentrums für Studien zum Vereinigten Königreich am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften

„Einerseits würde ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU zu einer gewissen Milderung der EU-Position bezüglich Russlands führen, weil vor allem Großbritannien, zusammen mit Polen, Schweden und dem Baltikum, eine unnachgiebige russlandfeindliche Position in der Europäischen Union vertreten hat. Andererseits kann der Brexit einen negativen Einfluss auf den Euro, auf den Wert russischer Staatsanleihen und auf den Aktienkurs russischer Unternehmen haben. Deshalb ist es für Russland nicht sinnvoll, eine bestimmte Position zu diesem Referendum zu beziehen. Die russische Regierung verhält sich vollkommen richtig, indem sie sich zu dem Referendum nicht äußert.“

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