Adieu, Duma! Bilanz eines umtriebigen Parlaments

Der eifrig betriebenen Gesetzgebung wegen haftet der Duma im Volksmund bis heute das Etikett eines „unkontrollierten Papierdruckers“ oder auch einer „Gesetzestextpresse“ an.

Der eifrig betriebenen Gesetzgebung wegen haftet der Duma im Volksmund bis heute das Etikett eines „unkontrollierten Papierdruckers“ oder auch einer „Gesetzestextpresse“ an.

Reuters
Am Freitag ging die sechste Legislaturperiode der russischen Staatsduma zu Ende. Zeit für eine Bilanz: Zwischen 2011 und 2016 haben die Abgeordneten mehr Gesetze beschlossen als in jeder Wahlperiode zuvor.

Am Freitag, 24. Juni, verabschiedete sich die Duma in die parlamentarische Sommerpause. Nicht alle Abgeordneten werden nach den Ferien zurückkehren: Im September stehen Neuwahlen an. Schätzungen zufolge werden 70 Prozent der Sitze im Unterhaus des russischen Parlaments neu besetzt. Kein Wunder also, dass es bei der Duma-Sitzung am vergangenen Freitag besonders heiß herging: Für einige Parlamentarier war es die letzte Chance, ihren Gesetzentwurf noch durch alle drei Lesungen durchzuboxen und siegreich in die Ferien zu starten.

Ausgerechnet eines der umstrittensten Gesetzespakete der gesamten Wahlperiode verabschiedete die Duma an ihrem letzten Arbeitstag: das Anti-Terror-Gesetz. Medien und soziale Netzwerke werteten es bereits als, wörtlich, „kannibalisch“. Es geht dabei um die Novellierung Dutzender Gesetze: Messenger-Dienste werden verpflichtet, Sicherheitsbehörden die Dekodierungsschlüssel für die Nachrichten ihrer Nutzer bereitzustellen, internationaler Terrorismus wird mit lebenslangen Haftstrafen geahndet, „unterlassene Meldung einer Straftat“ und „Anstiftung, Anwerbung oder anderweitige Heranziehung zur Organisation von Massenunruhen“ finden als Paragraphen Einzug in die Gesetzbücher.

Doch auch ohne diesen Schlussakkord bleibt die Duma der vergangenen fünf Jahre den Wählern in Erinnerung. Kein einziges Unterhaus zuvor hat so viele Gesetzesvorlagen eingebracht und die dringendsten von ihnen so schnell beschlossen.

Zum Wohle Russlands

Durch ein Übermaß an Volksnähe tat sich die Duma der letzten Legislaturperiode freilich nicht hervor. Am schlimmsten war es im ersten Sitzungsjahr 2011: 64 Prozent der Bevölkerung standen der damaligen Tätigkeit des Unterhauses ablehnend gegenüber. Seine Arbeit wurde von Massenprotesten gegen Wahlfälschungen begleitet. Und der eifrig betriebenen Gesetzgebung wegen haftet der Duma im Volksmund bis heute das Etikett eines „unkontrollierten Papierdruckers“ oder auch einer „Gesetzestextpresse“ an.

Den prägendsten Stempel drückte ihr jedoch in einer öffentlichen Ansprache der russische Präsident Wladimir Putin auf: „Die Konsolidierung zum Wohle Russlands“ sei das Alleinstellungsmerkmal der sechsten Duma, erklärte er.

Das umstrittene „Dima-Jakowlew-Gesetz“ zählt zu diesen Regelwerken „zum Wohle Russlands“. Seinen Namen verdankt es dem Andenken an einen in den USA adoptierten russischen Jungen. Sein amerikanischer Stiefvater sperrte ihn bei großer Hitze im Auto ein, der kleine Dima erlitt einen Hitzeschlag und starb. Mit dem Gesetz ist die Adoption russischer Kinder in den USA verboten worden. Kritiker sahen es aber vielmehr als eine Reaktion auf das von den USA beschlossene Magnitski-Gesetz. Mit einer ähnlichen Geschlossenheit arbeiteten die Abgeordneten auch die rechtlichen Grundlagen für die Eingliederung der Krim aus.

Der Beschluss dieser Gesetze – insgesamt waren es 120 – gelte in der Duma als das „herausragende Ereignis“ der gesamten Legislaturperiode, wofür man den Parlamentariern dieser Zeit dankbar sein werde, sagte Michail Jemeljanow, Vize-Fraktionsvorsitzender der Partei Gerechtes Russland und seit 1995 Duma-Abgeordneter, im Gespräch mit RBTH.

Volksvertretendes Schreckgespenst

In den fünf Jahren hat die Duma zweimal die Verfassung geändert, dreimal die Strafe für Versammlungsvergehen verschärft, das LGBT-Gesetz erlassen, eine Strafe für die Verletzung religiöser Gefühle eingeführt und eine ganze Reihe an Gesetzespaketen zur Internetregulierung und Bestrafung von Extremismus beschlossen. Im juristischen Fachjargon sind Begriffe wie „unerwünschte Organisation“ und „Auslandsagent“ aufgetaucht – beide bezeichnen Nichtregierungs- und Non-Profit-Organisationen, die zwar in Russland tätig sind, jedoch aus dem Ausland finanziert werden. Auch vor den Staatsdienern machte die sechste Duma in ihren Verbotsbestrebungen nicht Halt und untersagte russischen Beamten den Besitz ausländischer Konten und Aktiva.

„In dieser Legislaturperiode sind die gesetzlichen Grundlagen strenger geworden. Das ist wahr“, räumt Michail Remisow, Präsident des unabhängigen Instituts für nationale Strategie, ein. Doch ein Großteil der umstrittenen und als repressiv bezeichneten Gesetze habe sich für die Gesellschaft in der Praxis gar nicht als schicksalstragend erwiesen. „Das betrifft auch das Versammlungsgesetz, das künstlich aufgeblasene Dima-Jakowlew-Gesetz wie auch das in den Medien noch stärker aufgeblasene Gesetz über die Verletzung religiöser Gefühle“, meint Remisow. Schließlich spiele die Medienpräsenz der Abgeordneten keine untergeordnete Rolle, fügt er hinzu. Bei der Jagd danach entstehe eben das, „was durch die Schlagzeilen einschüchtert, oftmals jedoch nicht mal auf dem Papier existiert“, erklärte der Experte.

Größter Vorwurf: Scheinparlament

Zwar sehen die Abgeordneten in den Medien aus, als würden sie über Schicksalsfragen des Volkes entscheiden. In der Realität spricht aber nur wenig dafür: Mangel an entscheidenden Beschlüssen ist der größte gegen die Parlamentarier erhobene Vorwurf. „Gesetzentwürfe, Strategie und Taktik – darüber wird jenseits der Duma bestimmt und als Fertiglösung an das Parlament weitergereicht“, sagt der oppositionelle Abgeordnete Gennadi Gudkow.

Die Regierungspartei Einiges Russland hat mit 238 Sitzen die Mehrheit, die restlichen 212 teilen sich drei Fraktionen. Es gibt also eine parlamentarische Opposition, die im Prinzip als Gegengewicht funktionieren muss. Tut sie aber nicht. Infolgedessen werden die im Parlament vertretenen Parteien als eine Filiale von Einiges Russland aufgefasst. Die Lobbyisten sind zu den wirklichen Schaltstellen der Macht abgewandert. „Sie haben ein größeres Interesse daran, mit der Regierung zu sprechen, in der Hoffnung, dass das Kabinett entscheidet und die Duma es annimmt“, erklärt Michail Jemeljanow von der Oppositionspartei Gerechtes Russland.

Es gehe auch nicht so sehr darum, dass die Duma den Großteil ihres Einflusses auf die Verteilung der Haushaltsgelder eingebüßt habe. „Viele in den Machtkreisen beschweren sich darüber. Bei allem hat das Finanzministerium das letzte Wort“, sagt Remisow. Vielmehr gehe es darum, dass die Duma nicht mal die ihr im Rahmen der heutigen Verfassung zustehenden Möglichkeiten nutzt – bei der Kontrolle der Regierungsorgane oder bei parlamentarischen Untersuchungen zum Beispiel.

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