Was steckt hinter Russlands humanitärer Operation in Syrien?

Zivilisten sollen Aleppo über humanitäre Korridore verlassen.

Zivilisten sollen Aleppo über humanitäre Korridore verlassen.

Sergei Bobylev/TASS
Zusammen mit syrischen Regierungstruppen hat Russland in der belagerten Stadt Aleppo humanitäre Korridore eingerichtet, damit Zivilisten und Rebellen die Stadt verlassen können. Experten glauben jedoch, dass Assad mit dem Hilfseinsatz einen Sturm auf die Stadt vorbereitet.

Als der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu eine große humanitäre Operation für Aleppo ankündigte, war die Stadt bereits von syrischen Regierungstruppen belagert. Sie machten in der vergangenen Woche humanitäre Korridore frei, durch die Bewohner die Stadt verlassen können – und nicht nur Zivilisten, sondern auch Rebellen. Der syrische Präsident Baschar al-Assad garantierte allen Aufständischen Amnestie, falls sie ihre Waffen niederlegen.

Der Hilfseinsatz dauert nun bereits über eine Woche an. In dieser Zeit hat Russland mehr als 18 Tonnen Lebensmittel und Medikamente nach Aleppo geliefert. Die Bewohner erhalten die Hilfen an Ausgabestellen in der Stadt oder durch Hubschrauberlieferungen. Ein russischer Hubschrauber, der Hilfsgüter nach Aleppo brachte, wurde auf seinem Rückweg am vergangenen Montag von Rebellen abgeschossen.

Sturm auf Aleppo ist höchstwahrscheinlich

Seit 2012 wird in Aleppo gekämpft, die Stadt ist einer der wichtigsten Schauplätze im syrischen Bürgerkrieg zwischen den Regierungstruppen und den Aufständischen. Die Gefahr, dass die Stadt nach dem Ende der humanitären Operation von Assads Truppen gestürmt werden könnte, bestreitet das russische Außenministerium vehement. Experten sehen das anders: Ein erneuter Angriff der syrischen Armee sei nur eine Frage der Zeit.

„Die Korridore dienen dazu, die Zahl an Zivilisten und Rebellen in der Stadt zu senken“, meint Leonid Isajew, Arabist und Dozent an der Fakultät für Politikwissenschaften der Higher School of Economics. Wie Isajew erklärt, sei die syrische Armee bei Kämpfen in der Stadt im Nachteil – je mehr Rebellen und Zivilisten Aleppo verließen, desto besser sei das für Assad.

Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“, führt die abstreitende Haltung der russischen Diplomaten auf die politische Konjunktur zurück. „Man darf sich nicht belügen lassen. Offenbar ist die humanitäre Operation nur ein Teil des gesamten Angriffs, den Assad mit Unterstützung der russischen Soldaten durchführen will“, kommentierte der Außenpolitikexperte gegenüber RBTH.

Dennoch dürfe die Bedeutung des humanitären Einsatzes nicht unterschätzt werden, betont Nahostexperte Wladimir Achmedow vom Institut für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften. Der Sinn der Operation sei, den Zivilisten zu helfen und sie vor Militärschlägen zu bewahren.

„Meiner Meinung nach ist der humanitäre Einsatz ein richtiger Schritt. Statt die Bewohner mit Schüssen und Bomben zu bekämpfen, wird ihr Hunger bekämpft. Durch unsere humanitäre Hilfe kann die Unterstützung für unsere Handlungen in Syrien steigen“, sagt Achmedow. Für den Erfolg in Syrien brauche Russland die Sympathien der Syrer, die in den von Rebellen kontrollierten Gebieten wohnen.

Kritik kommt erwartungsgemäß aus den USA

Allerdings initiierten Russland und Assad den Hilfseinsatz ohne vorheriger Absprache mit den Vereinten Nationen oder den USA. Gleichwohl Staffan de Mistura, Sondergesandter der Vereinten Nationen für Syrien, die humanitäre Initiative positiv bewertete, reagierten die USA schroff. US-Außenminister John Kerry drohte, „die Zusammenarbeit von Moskau und Washington in Syrien vollständig einzustellen“, sollte die humanitäre Operation in Aleppo nur ein Trick sein, also ein Vorwand für die Offensive Assads.

„Russland und die USA haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft Syriens. Deswegen handelt Russland oft allein und setzt seinen Plan durch“, erklärt Fjodor Lukjanow. Laut Lukjanow will Moskau, dass Assad den Kampf um eine der Schlüsselstädte in Syrien gewinnt. Die USA hingegen versuchten, die Eroberung der Stadt Aleppo durch die syrische Armee zu verhindern, und begegneten daher russischen Initiativen in Aleppo stets mit Skepsis.

Ein möglicher Sturm auf Aleppo kann auch die nächste Runde der Syrien-Friedensgespräche in Genf beeinflussen, die im August stattfinden sollen. „Falls aktive Kampfhandlungen zwischen Assad und der Opposition einsetzen, können die Friedensgespräche in Genf wieder ins Stocken geraten“, meint Lukjanow. Doch irgendwann würden die Verhandlungen wieder fortgesetzt werden, glaubt der Politologe. Und wer den Kampf um Aleppo gewinne, der werde bei den Verhandlungen den Ton angeben, ist Lukjanow überzeugt.

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