Ein Mann vor dem Informationsmonitor der Zentralen Wahlkommission nach den Parlamentswahlen 2016 in Russland.
Sergei Fadeichev / TASS„Wir wissen, dass es die Menschen nicht leicht haben und es viele Probleme gibt, und doch ist das Ergebnis so, wie es ist“, sagte Wladimir Putin am Sonntag, als er nach der offiziellen Bekanntgabe des vorläufigen Wahlergebnisses dem Stab von Einiges Russland zum Sieg gratulierte. Mit dem Ergebnis kann die von Ministerpräsident Dimitrij Medwedjew angeführte Partei, die traditionell ihre Loyalität gegenüber Präsident und Regierung demonstriert, tatsächlich äußerst zufrieden sein.
Einiges Russland erzielte 54,7 Prozent der Stimmen und wird somit 343 Sitze im Parlament innehaben. Das sind 105 Sitze mehr als während der sechsten Legislaturperiode – 2011 erhielt Einiges Russland 238 Sitze. In der neuen Duma verfügt die Kreml-Partei nun über die absolute Mehrheit. Sie kann damit Gesetze verabschieden, aber vor allem die Verfassung ändern, selbst wenn die drei Oppositionsparteien im Parlament dagegen stimmen sollten.
Bereits lange vor den Wahlen am 18. September machte die Regierung deutlich, dass sie eine Wiederholung der Ereignisse von 2011 vermeiden will. Bei den damaligen Parlamentswahlen war es wegen des Verdachts auf Wahlfälschung zu Massenprotesten gekommen. So erklärte denn auch die neue Chefin der Zentralen Wahlkommission Ella Pamfilowa, die diesen Posten im März dieses Jahres antrat, dass ihre Aufgabe darin bestehe, für saubere Wahlen zu sorgen, deren Ergebnisse keine Zweifel wecken.
Nun räumte die Zentrale Wahlkommission vereinzelte Verstöße bei den Wahlen vom Sonntag ein. Die Abstimmungsergebnisse einiger Wahlkreise wurden annulliert, nachdem Vorwürfe laut wurden, Wahlurnen seien durch die Organisatoren „aufgefüllt“ worden. Im Gebiet Rostow beispielsweise wurde ein Strafverfahren gegen den Sekretär der Wahlkommissionen eingeleitet. Pamfilowa betonte, allen Beschwerden über etwaige aufgetretene Unregelmäßigkeiten werde nachgegangen.
Alle zehn außerparlamentarischen Parteien sind an der Drei-Prozent-Hürde gescheitert und haben es nicht in die neue Duma geschafft. Sie kommen somit auch nicht in den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung, darunter die liberalen Parteien Jabloko und Parnas.
Michail Winogradow, Präsident der Stiftung Petersburgskaja Politika, sieht den Grund für die Niederlage der Oppositionsparteien in deren Unfähigkeit, über ihre Stammwählerschaft hinauszugehen. „Parteien wie Jabloko haben nur um ihre eigenen Wähler, die liberal gesinnten Bürger, geworben und gar nicht erst versucht, neue Stimmen im Lager der Nichtwähler und der Regierungsanhänger zu gewinnen“, sagte Winogradow RBTH. Seiner Meinung nach manövrierten die Oppositionsparteien sich dadurch ins Aus und hätten so keine neuen Wähler gewinnen können.Alexander Poschalow, Vizedirektor des Unabhängigen Instituts für sozioökonomische und politische Studien, einer Stiftung des Kremls, ergänzt, dass ein weiterer Schwachpunkt der Wahlkampagne von Jabloko darin bestand, einzig und allein auf den Parteivorsitzenden Jawlinskij zu setzen. Dieser hatte Jabloko 1993 gegründet und wirkt nach Meinung Poschalows wie jemand aus der Vergangenheit, der die jungen Wähler nicht mobilisieren könne.
Neben Einiges Russland haben drei weitere Parteien den Einzug in die Duma geschafft. Jene drei Parteien, die dort auch in der vergangenen Legislaturperiode bereits vertreten waren: die Kommunistische Partei (KPRF) mit 42 Sitzen, die Liberal-demokratische Partei (LDPR) mit 39 Sitzen und die sozialdemokratische Partei Gerechtes Russland mit 23 Sitzen. Jeweils einen Sitz in der Duma erzielten außerdem die beiden Direktkandidaten von Rodina (zu Deutsch: "Heimat") und Graschdanskaja platforma (zu Deutsch: "Zivilplattform") sowie der unabhängige Kandidat Wladislaw Resnik, der bis vor Kurzem noch Einiges Russland angehörte.
Alle drei politischen Gegner von Einiges Russland haben schlechtere Ergebnisse als bei den letzten Wahlen 2011 zu verzeichnen, am deutlichsten fiel der Rückgang bei Gerechtes Russland aus. In der sechsten Legislaturperiode verfügten die Sozialdemokraten noch über 64 Sitze, in der kommenden werden es nur noch 23 sein. Dmitrij Orlow, Leiter der Agentur für politische und wirtschaftliche Kommunikation, meint, Gerechtes Russland habe sein Potenzial von 2011 ausgeschöpft – damals sei sie noch die bedeutendste Oppositionspartei in der Duma gewesen, die auf die Protestwähler hätte zählen können.
Einige Politikwissenschaftler glauben, dass das neue, von Einiges Russland dominierte Parlament vollständig vom Kreml kontrolliert werden wird. Gleb Pawlowskij, Leiter der Stiftung für effektive Politik, meint, dass die erzielte Zweidrittelmehrheit „die Hände der Regierung noch weiter entfesseln“ werde.
„Die Tendenz nach einem Abbau der Beschränkungen für die Machtbefugnisse der Regierung setzt sich fort“, sagte Pawlowskij RBTH. Der Experte bewertet den Wahlausgang negativ. Er glaubt, dass in einem Parlament, in dem so gut wie keine alternativen Standpunkte geäußert werden können, die Fachkompetenz erheblich leiden werde. „Der Kreml hat keinerlei Vorstellung davon, was im Land passiert, da in der Duma nicht das Land, sondern nur der Machtapparat selbst vertreten ist“, kritisiert Pawlowskij.Andere Experten glauben dagegen, dass es in der kommenden Legislaturperiode zu einem politischen Wettbewerb in der Duma kommen werde, allerdings weniger zwischen den Fraktionen als vielmehr zwischen regional orientierten Abgeordnetenblöcken. Alexander Poschalow unterstreicht die wichtige Rolle der Duma-Abgeordneten aus den Einerwahlkreisen. Nach Meinung Poschalows werden viele der über ein Direktmandat in die Duma gelangten Abgeordneten von Einiges Russland (203 von 343 Sitzen) sich möglicherweise weniger an der Parteiführung als an ihrem Wahlkreis orientieren.
„In den Einerwahlkreisen sind sehr viele Parteilose für Einiges Russland angetreten. Sie waren zwar Kandidaten für Einiges Russland, sind aber keine Parteimitglieder“, erinnert Poschalow. Der Experte glaubt, dass die neue Duma eine größere Bedeutung für die Interessenvertreter der verschiedenen Regionen und sozialen Gruppen erlangen wird. Und dies werde zweifellos für einen Wettbewerb sorgen, vor allem bei den Entscheidungen über Haushaltsfragen.
Damit stimmt auch Gleb Pawlowskij überein. „Die Duma wird möglicherweise nicht mehr zu kontrollieren sein, wenn die Wirtschaftssituation sich ändern und es zu regionalen Bündnissen kommen sollte“,sagte er.
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