Syrien-Frieden in der Krise: Wie geht es nun weiter?

Dieses Bild, zur Verfügung gestellt von der syrischen Freiwilligenorganisation „Weiße Helme“, zeigt Syrer bei der Inspektion von zerstören Gebäuden nach einem Luftangriff durch syrische Regierungstruppen auf den von den Rebellen kontrollierten Bezirk Mashhad in Aleppo.

Dieses Bild, zur Verfügung gestellt von der syrischen Freiwilligenorganisation „Weiße Helme“, zeigt Syrer bei der Inspektion von zerstören Gebäuden nach einem Luftangriff durch syrische Regierungstruppen auf den von den Rebellen kontrollierten Bezirk Mashhad in Aleppo.

AP
Nach den jüngsten Ereignissen in Syrien und dem Abbruch der Friedensverhandlungen werden die Töne zwischen Russland und den USA immer schärfer. Experten befürchten, dass die wachsenden Spannungen sich nicht nur negativ auf die Lage in Syrien, sondern grundsätzlich auf die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen auswirken werden.

Die Waffenruhe, die die Außenminister Sergej Lawrow und John Kerry für Syrien ausgehandelt hatten, hielt gerade einmal eine Woche. Am 17. September wurden syrische Regierungstruppen in Deir ez-Zor bombardiert, zwei Tage darauf wurde ein UN-Hilfskonvoi beschossen. Der Westen macht Syriens Präsidenten Baschar al-Assad und seinen Hauptverbündeten Russland dafür verantwortlich.

Der Krieg ist also wieder entbrannt – und das mit einer neuen Intensität. Erneut kämpfen die syrischen Regierungstruppen und die sogenannte gemäßigte Opposition um Aleppo. Während Russland und die USA sich gegenseitig die Schuld für das Scheitern der Friedensgespräche zuschieben, droht der zweitgrößten syrischen Stadt eine humanitäre Katastrophe.

Scharfe Rhetorik   

„Wir sind einen Schritt davon entfernt, die Gespräche abzubrechen“, sagte John Kerry am vergangenen Donnerstag über die Verhandlungen zum Friedensprozess. Angesichts der erneut entbrannten Kämpfe um Aleppo und des gegenseitigen Misstrauens sei eine Suche nach Friedenslösungen überflüssig, erklärte der US-Außenminister.

Und doch waren das nicht die schärfsten Worte, die bislang aus Washington tönten. Zuvor hatte John Kirby, Sprecher des US-Außenministeriums, Russland wegen seiner militärischen Unterstützung Assads für die Fortsetzung des Bürgerkriegs in Syrien verantwortlich gemacht. Moskau habe mit negativen Konsequenzen zu rechnen, mahnte Kirby: „Terroristen werden russische Städte angreifen und Russland wird seine Truppen weiterhin in Särgen nach Hause schicken müssen“, sagte der Außenamtssprecher.

In Reaktion darauf nahmen russische Ministerien kein Blatt vor den Mund. Der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow wertete die Erklärung Kirbys als „unverhohlene zynische Drohungen“, und der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sieht in der Aussage des US-Beamten eine Bestätigung dessen, dass die von den USA unterstützte Opposition nichts anderes sei als „eine terroristische Vereinigung“. Kirby bekräftigte im Gegenzug, seine Erklärung habe keinerlei Drohungen enthalten.

Den vorläufigen Höhepunkt bildete die Erklärung der USA, die Syrien-Gespräche mit Russland zu beenden. Der Kreml reagierte noch in der Nacht zum Dienstag mit einer offiziellen Stellungnahme, in der er sein Bedauern ausdrückt. Gleichzeitig wirft Moskau Washington vor, mit der al-Nusra-Nachfolgeorganisation Fatah al-Scham zusammenzuarbeiten. Moskau vermutet dahinter die Absicht, die syrische Regierung zu stürzen. „Bei uns festigt sich der Eindruck, dass Washington in seinem Streben nach einem Machtwechsel in Syrien einen Pakt mit dem Teufel eingeht“, heißt es in der Stellungnahme.

Friedensprozess auf dem Abstellgleis

Dass der Schlagabtausch zwischen Russland und dem Westen an Schärfe zunimmt, stellt auch der Arabist Gregorij Kossatsch fest, Professor an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität. Dies führe den Friedensprozess in eine Sackgasse: „Auf beiden Seiten gewinnen Kriegsparteien die Oberhand, die sich weder vertragen noch die Wiederaufnahme des politischen Prozesses auch nur in Betracht ziehen wollen“, sagte Kossatsch RBTH. So sei die Perspektive des Friedensprozesses düster, urteilt der Nahost-Experte.

Zudem erklärte das Hohe Verhandlungskomitee der syrischen Opposition eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen für unmöglich. „Das bedeutet, dass die Aufständischen auf Krieg eingestellt sind“, erklärt der Arabist. Die Schlüsselrolle in der gegenwärtigen Situation komme jedoch der Achse Moskau-Damaskus zu: „Moskau schwimmt größtenteils mit dem Strom, was das syrische Regime angeht“, sagt Kossatsch. Das sei äußerst nachteilig.

Zumal die Hardliner in Damaskus den Krieg unbedingt gewinnen wollen, wie Maxim Jussin, Außenpolitik-Experte der russischen Tageszeitung „Kommersant“, ergänzt. „Ein unerreichbares Ziel“, stellt der Journalist fest: „Weder Assad noch die Opposition haben die Ressourcen für eine militärische Lösung. Eine Alternative zum Friedensprozess gibt es nicht, doch die Seiten sind dazu derzeit nicht bereit. Eine verfahrene Situation.“

Sanktionsspirale mit neuem Schwung?

Josh Earnest, Sprecher des Weißen Hauses, brachte unlängst weitere Wirtschaftssanktionen gegen Russland ins Gespräch. Die USA und ihre Partner könnten zusätzliche Sanktionen gegen Russland verhängen, sagte er. Dem schloss sich wenig später Boris Johnson an, Chef des britischen Außenministeriums.

Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow hielt dagegen, allein die Erwägung von Sanktionen sorge für „tiefes Unverständnis“ aufseiten derer, die mit der „wirklichen“ Lage im Syrien-Konflikt vertraut seien. Die Besessenheit nach Sanktionen könne nichts Gutes bringen, bekräftigte er.

„Ich denke, der Westen wird keine neuen Sanktionen verhängen. Mit den bereits gültigen ist es schlimm genug“, meint jedoch Sergej Karaganow, Experte für internationale Beziehungen an der Higher School of Economics. Er betont einen weiteren Aspekt: „Die Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen im Syrien-Konflikt hat die Kooperation in anderen Bereichen eröffnet – auch hinsichtlich der Abschaffung von Sanktionen.“ Doch er räumt ein: „Nach dem Scheitern des Friedensprozesses und der Zunahme des gegenseitigen Misstrauens kann man das wohl vergessen.“

 

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