Die USA und Russland buhlen um die Gunst der Menschen.
APMoskau trage die Verantwortung für den Tod von Zivilisten in Aleppo, so ein Vorwurf des Westens, allen voran der USA. Den Vereinigten Staaten sei das Leben der Zivilisten im irakischen Mosul herzlich egal, pariert Moskau. Dass Russland und der Westen sich gegenseitig mit derartigen Vorwürfen überschütten, ist inzwischen fester Bestandteil der Kriege im Nahen Osten. Zudem bezichtigte Moskau die Vereinigten Staaten mehrmals, eine „Informationsblockade“ um das irakische Mosul verhängt zu haben, das die US-geführte Koalition von Extremisten zu befreien versucht.
„Blockade“ ist kaum der richtige Begriff für die westliche Informationsstrategie im Nord-Irak: Über den Verlauf der Mosul-Offensive berichten westliche Medien ziemlich rege. Was Beobachtern jedoch auffällt, ist, dass sich die Berichterstattung über Mosul massiv von jener über die Einsätze russischer und syrischer Streitkräfte in Aleppo unterscheidet. Der investigative Journalist Robert Parry – Mitte der 1980er-Jahre deckte er die Iran-Contra-Affäre auf – hat die Artikel der New York Times zu den beiden Militäroperationen analysiert. Demnach vermittelt diese wichtige Tageszeitung ihren Lesern im Falle Mosuls folgende Botschaft: Kommt es bei der US-unterstützten Offensive zu Todesopfern in der Zivilbevölkerung, einschließlich von Kindern, seien diese als unvermeidliche „Kollateralschäden“, als unweigerlicher Blutzoll für „die Befreiung der Stadt von blutrünstigen Extremisten“ anzusehen. Die Rückeroberung von Ost-Aleppo stelle das US-Blatt hingegen so dar, als ob „russische und syrische Anführer-Barbaren“ darauf versessen seien, „Stadtteile mit friedlichen Bürgern ohne Rücksicht auf Verluste zu bombardieren und Kinder zu töten.“
Die Verflechtung von Medien und Regierung sei der Grund für diesen zweifelhaften Umgang mit Informationen bei einem der globalen Leitmedien, sagen Experten gegenüber RBTH. Von der Unvoreingenommenheit der Presse auszugehen, wäre ein Fehler, sagt der amerikanische Historiker, Experte für Russlands Außenpolitik und ehemalige Mitarbeiter der Administration Bush Seniors, Nikolai Petro. Die leitenden Redakteure würden das Narrativ der Regierung übernehmen, um das Geschehen in der Welt zu interpretieren. Zwei Gründe seien dafür maßgeblich: Erstens gebe es die Angst, man könne den Zugang zu Regierungsquellen verlieren, würde man anders berichten. Zweitens gelte die Übernahme der Regierungssicht in den Vereinigten Staaten als Ausdruck von Demokratie, erklärt der US-amerikanische Experte.Dass amerikanische Leitmedien die Version der US-Regierung zum Weltgeschehen nicht hinterfragten, bestätigt auch Michael Carley von der Universität Montreal, Spezialist für die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen der Neuzeit. Die Inhalte des Narrativs würden dabei von Washingtons Interessen bestimmt. Dazu zähle etwa der Einsatz syrischer Extremisten im Kampf gegen die syrische Regierung, betont der Wissenschaftler. Dies erkläre, wie westliche Medien über das Vorgehen der syrischen Armee und der russischen Luftwaffe berichteten.
Die russische Führung verhalte sich bei der Berichterstattung zu Nahost-Konflikten nicht anders als ihre Kollegen in Washington, sagen indes russische Experten. „Da ist nichts Unnatürliches dran. Kein Land der Welt neigt dazu, sich selbst illegaler Handlungen zu bezichtigen, die gegen das Völkerrecht verstoßen könnten“, sagt der Nahost-Experte Leonid Isajew von der Higher School of Economics. Illegaler Handlungen bezichtige man Andere. Um eine bewusste Lüge handele es sich dabei nicht: „Es ist menschlich, eigene Fehler zu verharmlosen und die Fehler der Konkurrenz aufzubauschen“, so Isajew. Die Realität sehe so aus: „Zivilisten sterben durch unsere Bomben in Aleppo und durch amerikanische Bomben in Mosul.“
Doch werde Russlands Vorgehen in Syrien global deutlich negativer aufgefasst als das US-Vorgehen im Irak. So sähen es jene, die hinter Moskaus Einsatz in Syrien die Absicht vermuten, Assads Gegner – die sogenannte gemäßigte Opposition – loszuwerden, statt den Terrorismus zu bekämpfen, sagt der Orientalist Grigorij Kossatsch, Professor an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität. Allerdings sei das Image der „Gemäßigten“ ebenfalls eine Kreation der Medien.Der Journalist Garrett Porter betont indes, dass alle bewaffneten Anti-Assad-Gruppen in den Provinzen Aleppo und Idlib unter Kontrolle der Al-Nusra-Front stünden. Diese extremistische Organisation könne jemandem angesichts der Umstände, die in Syrien herrschen, als gemäßigt erscheinen, so der Journalist. Doch ist die Al-Nusra von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuft worden.
Hinter all diesen medialen Auseinandersetzungen stehen allerdings Tausende Menschenleben. Deshalb bekommt der Appell Kossatschs eine besondere Dringlichkeit: Statt einen Informationskrieg über die Medien zu führen, sollten die Vereinigten Staaten und Russland zu einem beiderseitigen Verständnis finden.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!