Witalij Tschurkin: „Als ob sie Mutter Teresa wäre!“

Russlands UN-Gesandter wehrte sich standhaft gegen westliche Arroganz.

Russlands UN-Gesandter wehrte sich standhaft gegen westliche Arroganz.

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Die zehnjährige Dienstzeit von Witalij Tschurkin, des Ständigen Vertreters Russlands bei den Vereinten Nationen, der überraschend am Montag verstarb, wird durch viele wichtige – und zum Teil sehr drastische – Zitate in Erinnerung bleiben.

Witalij Tschurkin, Russlands langjähriger Vertreter bei den Vereinten Nationen, verstarb am Montagabend in New York an einem Herzinfarkt. Kondoliert wurde nicht nur in Russland, wo Präsident Wladimir Putin der Familie des Ständigen Vertreters sein Beileid aussprach und die Pressesprecherin des Außenministeriums Marija Sacharowa Tschurkin einen „großen Diplomaten und Seelenverwandten“ nannte. Trauer bekundeten auch Diplomaten auf der ganzen Welt.

So schrieb zum Beispiel die ehemalige UN-Vertreterin der USA, Samantha Power, über Tschurkin auf Twitter: „Diplomatic maestro & deeply caring man who did all he could to bridge US-Russian differences“. („Ein diplomatischer Meister und fürsorglicher Mensch, der alles tat, was er tun konnte, um die US-russischen Differenzen zu überbrücken.“)

Der Ständige Vertreter Großbritanniens Matthew Rycroft nannte den Verstorbenen auf Twitter „a diplomatic giant & wonderful character“ („einen diplomatischen Giganten und wundervollen Charakter“).

So harmonisch ging es im UN-Sicherheitsrat jedoch nicht immer zu – um die Position Moskaus zu vertreten, äußerte der Diplomat sich zuweilen recht drastisch und deutlich.

„Als ob sie Mutter Teresa wäre“

Der Kritik Samantha Powers, die im Dezember 2016 dem syrischen Regime und dessen Verbündeten Russland den Tod von Zivilisten in Aleppo vorwarf, entgegnete Tschurkin: „Die Vertreterin der Vereinigten Staaten hält hier ihre Rede, als ob sie Mutter Teresa wäre. Erinnern Sie sich doch einmal daran, welches Land Sie vertreten! Denken Sie nur an die ,Erfolgsbilanz‘ Ihres Landes! Und dann können Sie vom Standpunkt einer moralischen oder sonst irgendeiner Überlegenheit räsonieren. Und wer für was die Schuld trägt, das, so denke ich, werden die Geschichte und der Herrgott klären.“

Die Uno ist keine Kirche und kein Theater

Nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien hatte Tschurkin häufig auf die Kritik seiner Kollegen zu reagieren. So beschrieb im Oktober 2016 der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien die Lage in Aleppo, für die der Westen Russland verantwortlich machte, mit einem Zitat des schottischen Dichters Robert Burns. Die Antwort Tschurkins ließ nicht lange auf sich warten: „Wenn wir beichten wollten, würden wir in die Kirche gehen, wenn wir Gedichte anhören wollten, würden wir ins Theater gehen. Von einem UN-Koordinator aber erwartet man eine objektive Analyse des Geschehens. Das war bei Ihnen nicht der Fall.“

Nahöstliche Sünden

Tschurkin ermahnte seine westlichen Kollegen wiederholt, dass ihre Anschuldigungen gegenüber Russland nicht objektiv seien – dem Land werde der Tod von Zivilisten in Syrien vorgeworfen, während die Länder des Westens selbst die Schuld daran tragen würden. Im Oktober 2016 bemerkte er, dass die Truppen der internationalen Koalition Luftschläge gegen die Zivilbevölkerung ausgeführt hätten. „Für seine Sünden, verehrte Kollegen, wird also so manch einer um Vergebung bitten müssen – sowohl für die Lage in Syrien als auch für die Lage im Irak und für viele andere Lagen, von denen wir wissen“, kommentierteTschurkin damals.

Krim gegen Falklandinseln

Wie auch andere russische Politiker vertrat Tschurkin die Auffassung, dass die 2014 angegliederte Krim ein untrennbarer Bestandteil Russlands sei. In Antwort auf die Aufforderung der Ständigen Vertreter Großbritanniens und der USA im Februar 2017, die Halbinsel an die Ukraine zurückzugeben, sagte der russische Diplomat: „In der Verfassung der USA gibt es folgende bemerkenswerte Worte: ,Wir, das Volk‘. Das Volk der Krim hat im Referendum (am 16. März 2014) recht eindeutig seinen Willen zum Ausdruck gebracht. 93 Prozent der Bevölkerung stimmten für eine Wiedervereinigung mit Russland“. Dem Vertreter Großbritanniens schlug Tschurkin lakonisch vor, „die Malwinen (Falklandinseln), Gibraltar“ und andere Gebiete zurückzugeben und erst dann Russland Lehren zu erteilen.

Thomas Jefferson in der Ukraine

Neben Syrien war die Lage in der Ukraine ein ständiger Streitpunkt im UN-Sicherheitsrat. Als Präsident Wiktor Janukowytsch infolge eines Umsturzes abgesetzt worden war, kommentierte Tschurkin in einer Diskussion im April 2014 den Optimismus seiner westlichen Kollegen ironisch: „Unsere westlichen Kollegen glauben, dass nach einem bewaffneten Umsturz (…) unbedingt Demokraten an die Macht kommen müssten. Als ob, sozusagen, Thomas Jefferson die Sache anführen müsse.“

Komfortzone

2014 beschuldigte CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour den Ständigen Vertreter Russlands, dieser habe ein Interview mit ihr verweigert, weil er seine „Komfortzone“ nicht habe verlassen und auf unangenehme Fragen habe antworten wollen. Tschurkin antwortete ihr in einem offenen Brief: „Ich bin 1983, zwei Wochen nach Abschuss des koreanischen Flugzeugs (versehentlich durch einen sowjetischen Abfangjäger) in der Washington National Cathedral aufgetreten, im Mai 1986 habe ich nach dem Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl im Kongress der USA ausgesagt. Ich kann also jedem, der will, erklären, was es bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen.“

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