Auf russischen Spuren in Berlin

In Berlin gibt es zahlreiche Orte, die eine Verbindung zu Russland aufweisen. Dazu zählen nicht nur das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park und die Botschaft der Russischen Föderation in der Allee Unter den Linden. Russland HEUTE hat sich in der deutschen Hauptstadt und ihrer Umgebung umgesehen und stellt eine kleine Auswahl von Örtlichkeiten vor, die man bei Weitem nicht in jedem Reiseführer findet.

Russisch genießen in der Kvartira Nr. 62

Russisch genießen in der Kvartira Nr. 62

Foto: Tatjana Marschanskich

Zu den unzähligen russischen Restaurants, Bars und Clubs in Berlin zählt auch die Bar Kvartira Nr. 62. Hier kann man echte russische Borschtsch-Suppe aus roten Rüben genießen, ein „Baltika“-Bier oder ein Gläschen Wodka trinken und dazu eingelegte Salzgurken essen. Inhaber Sascha bietet auch Pelmeni, Wareniki und Kuchen nach Hausfrauenart sowie Pirogen, sogar Birkensaft als außergewöhnliches Getränk. Die Restauration befindet sich in der Lübbener Straße 18 im Ortsteil Kreuzberg, unmittelbar an der Ecke Skalitzer Straße/Wrangelstraße, einer der angesagten Szeneviertel Berlins. In den Fenstern hängen Plakate, die ankündigen, wann welche russische Band auftritt, im Inneren ist über eine halbe Wand hinweg eine Matrjoschka gemalt.

Sonntags um 20.15 Uhr, wenn im Kvartira Nr. 62 die Fernsehserie „Tatort“ läuft, sind unter den Gästen mehr Deutsche als Russen. Häufig gibt es auch gesellige Abendveranstaltungen. Jeder, der beispielsweise im Matrjoschka-Kostüm erscheint, erhält ein Getränk auf Kosten des Hauses. „Am liebsten komme ich hierher, wenn es Live-Musik gibt, hin und wieder komme ich auch zu Theateraufführungen und Poetry Slams, oder wenn interessante Filme gezeigt werden“, äußert sich ein Besucher. 

Das Café Moskau

Das Café Moskau

Foto: cafemoskau.com

Das Café Moskau zählt indes immer noch zu den großen Berliner Wahrzeichen wie das Brandenburger Tor oder der Reichstag und ist eine der Top-Event-Locations. Der lichtdurchflutete Atrium-Bau in der Karl-Marx-Allee 34 in Nähe des Alexanderplatzes war ein Prestigeobjekt der DDR, das als Prunkstück des umgebenden Bauensembles einen der Höhepunkte der DDR-Architektur repräsentieren sollte. Bei den Staats- und Parteifunktionären und russischen Staatsgästen erfreute sich das Nationalitätenrestaurant allergrößter Beliebtheit. Normalbürger fanden nur zu besonderen Anlässen Zutritt.

Zur Eröffnung 1964 wurde ein Modell des ersten sowjetischen Sputniks in Originalgröße, ein Geschenk des Botschafters der UdSSR, auf dem Dach angebracht. Den Eingangsbereich schmückt bis heute Bert Hellers 9 x 15 Meter großes Mosaik „Aus dem Leben der Völker der Sowjetunion“. Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung stand das Café Moskau lange Zeit leer. Seit 2000 finden dort wieder Konferenzen, Messen und kulturelle Veranstaltungen statt. Nach häufigen Wechseln von Betreibern und Nutzungsarten wurde es zuletzt vom Geschäftsmann und Kunstmäzen Nicolas Berggruen erworben, dem auch die Karstadt-Kaufhäuser gehören.

Heute befinden sich im Erdgeschoss die großen Säle Almaty und Asgabat mit direkten Zugang zum Atrium, an den auch die Jerewan, Duschanbe und Bischkek grenzen. Einen zweiten Veranstaltungsort unter freiem Himmel bietet der Rosengarten. Großräumige, offene Foyers führen schließlich zum Saal Moskau, der größten Event-Location in der ersten Etage mit Blick auf die Karl-Marx-Allee und das Kino International. Diese Räumlichkeit wird gern als Konzert- und Tanzsaal genutzt. Hier oben gibt es neben einem Tee- und Kaffeesalon weitere 15 Räume, die für diverse Veranstaltungen genutzt werden können. Die beiden größten Säle Moskau und Almaty bieten jeweils über 700 Plätze. Zu den Hauptattraktionen gehört nicht zuletzt der legendäre Sputnik-Club im Untergeschoss, der sich der Techno- und Partyszene verpflichtet fühlt.

Lenin in Berlin

Lenin in Berlin

Foto: Tatjana Marschanskich

Das russische Berlin ist undenkbar ohne Wladimir Iljitsch Lenin, der sich mehrfach in der deutschen Hauptstadt aufhielt, an der Berliner Universität studierte und auch während seiner Emigration zeitweilig hier lebte.

Von den Berliner Lenin-Denkmälern ist nicht viel übriggeblieben. Die 19 Meter hohe Granitfigur, die im April 1970 anlässlich des 100. Geburtstages des „Führers des Weltproletariats“ auf dem Lenin-Platz – heute Platz der Vereinten Nationen – aufgestellt worden war, wurde kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands in 129 Stücke zersägt und im Stadtteil Köpenick verbuddelt. Den Beginn der Demontagearbeiten begleiteten Proteste, denen sich nur wenige Berliner anschlossen. Inzwischen ist jedoch beschlossen worden, dass noch in diesem Jahr ein Kran Lenin aus seinem Sandgrab exhumiert, damit zumindest sein Kopf Bestandteil der zukünftigen Dauer-Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Spandauer Zitadelle wird. Aber Lenins Denkmal tauchte schon einmal auf: 2003 als Filmstatist im deutschen Streifen "Good bye, Lenin!"

An den Studienaufenthalt Lenins im Jahr 1895 erinnert das "Kommode" genannte Gebäude der ehemaligen Staatsbibliothek am Bebelplatz Unter den Linden. In Gedenken daran wurde 1968 in der Bibliothek das Rundbogenfenster mit dem Titel „Lenin in Deutschland“ von Frank Glaser installiert. Seit 1910 hat hier die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität ihren Sitz.

Die einzige Gedenktafel für Lenin, welche die Autorin in der deutschen Hauptstadt noch entdecken konnte, befindet sich an einem Haus in der Frankfurter Allee 102 in Friedrichshain. Darauf steht unterhalb eines eingravierten Porträts zu lesen: „In diesem Gebäude nahm W. I. Lenin im August 1895 an einer Arbeiterversammlung teil“. Neben der grellen Reklame in den Schaufenstern des Mobiltelefon-Ladens im Erdgeschoss des Hauses ist die bescheidene Gedenktafel kaum zu bemerken.

Dichter in der Pension Schmidt

Dichter in der Pension Schmidt

Foto: Tatjana Marschanskich

„Marina Iwanowna Zwetajewa ist in Berlin eingetroffen“, meldete am 21. Mai 1922 die russischsprachige Emigrantenzeitung „Nakanune“ (deutsch: Am Vorabend). Die große russische Dichterin (sie lebte von 1892 bis 1941) des Silbernen Zeitalters – der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – hatte Russland verlassen müssen und kam mit ihrer neunjährigen Tochter beinahe mittelos in der deutschen Hauptstadt an. Marina Zwetajewa mietete sich in der von Elisabeth Schmidt geführten Pension in der Trautenaustraße 9 in Charlottenburg ein, woran eine Gedenktafel mit der Aufschrift „In diesem Haus lebte 1922 Marina Zwetajewa“ erinnert. Studenten der Freien Universität und der Humboldt-Universität Berlin hatten sie 1996 auf eigene Kosten anbringen lassen.

In der Pension Schmidt stieg auch der russische Schriftsteller Andrej Bjely ab (bürgerlicher Name Boris Nikolajewitsch Bugajow, lebte von 1880 bis 1934, bekanntester Roman "Die silberne Taube"), und Literatur-Nobelpreisträger Vladimir Nabokov (lebte von 1899 bis 1977) schrieb hier seine ersten Gedichte, Erzählungen und Romane, darunter „Maschenka“ sowie „Luschins Verteidigung“. Insgesamt hatte Nabokov, der zu verschiedenen Zeiten auch im Hotel „Adlon“, im Grunewald und in Schöneberg wohnte, 16 Berliner Adressen.

Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst

Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst

Foto: Dmitrij Pankow

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren bis Ende der 80er Jahre sowjetische Soldaten stationiert - in der DDR fast eine halbe Million. Nach dem Abzug der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte 1994 aus Deutschland blieben überall hunderte leere Garnisonen zurück. Einer der aufgegebenen militärischen Standorte mit ganz besonderer Bedeutung liegt im Berliner Stadtteil Karlshorst.

Hier wurde im Offizierskasino der ehemaligen Heerespionierschule der deutschen Wehrmacht Berlin-Karlshorst in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands durch Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel für das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht unterzeichnet. Für das sowjetische Oberkommando zeichnete Marschall der Sowjetunion Georgi Konstantinowitsch Schukow gegen. Heute birgt das Casino das Deutsch-Russische Museum. Es hat nach langer Pause im Frühjahr 2013 wieder seine Pforten für Besucher geöffnet, nachdem deutsche und russische Experten sechs Jahre an der neuen multimedialen Exposition gearbeitet hatten.

In Karlshorst hatten gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur zahlreiche Soldaten Quartier bezogen, es wurden auch Gebäude als Kommandanturen genutzt und Unterkünfte für Offiziersfamilien errichtet, es gab russische Läden, in denen mit Rubel oder Mark eingekauft werden konnte. So nimmt es nicht Wunder, dass in diesem Stadtteil bald mehr Russisch als Deutsch zu hören war. Wahrscheinlich liegt darin der Grund, dass Karlshorst nach russischer Manier auch „Karlowka“ genannt wurde.

Heute ist ein Teil der ehemaligen Kasernen saniert und zu einem Wohnpark mit Eigentumswohnungen umgestaltet worden. Einige Gebäude stehen allerdings nach wie vor leer, die Fenster sind eingeschlagen und die Mauern mit Graffiti beschmiert.

Das Kino Krokodil

Das Kino Krokodil

Foto: Tatjana Marschanskich

Vor zehn Jahren beschloss der Kunsthistoriker Gabriel Hageni, in Berlin ein Kino zu eröffnen. Dort sollten nur russische Filme oder Werke internationaler Regisseure über Russland laufen. Hageni mietete und sanierte das ehemalige Kino Nord in der Greifenhagener Straße 32 und startete in dem alten Haus im Stadtteil Prenzlauer Berg sein Projekt. Das Kino erhielt seinen Namen, weil ein befreundeter Künstler Gabriel Hageni als Dekoration für das Kino eines seiner Werke – ein lila-blaues Krokodil – anbot. Hageni betrachtete das Kunstobjekt und befand, dass es kaum einen passenderen Namen geben konnte, denn das Wort Krokodil würde jeder auch ohne Übersetzung verstehen. Heute ist das Kino Krokodil fester Bestandteil des kulturellen Lebens für in Berlin lebende Russen, Russland-Interessierte und Slawistik-Studenten, die sich besonders darüber freuen, dass sämtliche Filme in Originalfassung mit deutschen Untertiteln laufen. Hier werden sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme gezeigt. Der Kunstgenuss wird noch gesteigert, wenn man sich an der Bar ein Bier der zu Sowjetzeiten außerordentlich beliebten Marke „Schiguljowskoje“ genehmigt und dazu russische Süßigkeiten knabbert.

Galerie pop/off/art Moskau – Berlin

Galerie pop/off/art Moskau – Berlin

Foto: Katarina Wiedemann

Im September 2012 wurde in der Mommsenstraße 35 in Berlin-Charlottenburg eine Filiale der Moskauer Galerie für zeitgenössische russische Kunst pop/off/art eröffnet. Die private Galerie des Sammlers und Galeristen Sergej Popow präsentiert Malerei, Bildhauerei und Fotokunst aus Russland und den Ländern der GUS. Popow stellt Künstler vor, deren Werke bereits von internationalen Museen und gesellschaftlichen Stiftungen angekauft werden.

Die Galerie pop/off/art wurde 2004 in Moskau gegründet und gehört zu dem in einer ehemaligen Weinfabrik untergebrachten Kunstzentrum „Winsawod“. Initiator und Direktor Sergej Popow macht sich stark für eine Gegenwartskunst, zu der auch die breite Masse der Bevölkerung Zugang findet: „Mir scheint, dass auf dem Markt für moderne Kunst erschwinglichere Werke und zugänglichere – auch leicht reproduzierbare – Techniken verkauft werden sollten. Und zwar in weitaus höheren Stückzahlen als jene Raritäten, die sich nur wenige Reiche leisten können“, erklärte der Galerist in einem Interview. Die deutsche Filiale in Berlin wird von Eleonora Frolow geleitet.

Das PANDA Theater

Das PANDA Theater

Foto: Tatjana Marschanskich

Die Veranstaltungsstätte PANDA Theater wurde im Mai 2009 in der Kulturbrauerei Knaackstraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg aus der Taufe gehoben. Zu den Gründern zählt der in Moskau geborene Lyriker, Journalist und Autor Alexander Delfinow.

Auf einem Schild über dem Haupteingang steht: „P.A.N.D.A nicht nur russisches Theater e. V.“ und die Internetseite erklärt die Konzeption folgendermaßen: „Wir orientieren uns an der multikulturellen Gesellschaft in Berlin und richten uns nicht nur an die geschlossene Gruppe der russischsprachigen Migranten.“ Und warum gerade der Name PANDA Theater? „Das Wort transportiert nicht nur das Bild eines sympathischen vegetarisch lebenden Bären, sondern ist auch ein Akronym für die Worte: Poetry. Art. Network. Dreams. Action“, erfährt man von den Initiatoren.   

Im PANDA Theater können die Besucher Live-Musik russischer Autoren und Interpreten hören, bei den Theater-Clownerie-Kursen für Profis und Anfänger mit den Künstlern des exzentrisches Theaters Kavardak mitmachen, Gedichte hören oder lesen, Filme sehen oder einfach nur in der Bar hocken.

Die Glienicker Brücke

Die Glienicker Brücke

Foto: Tatjana Marschanskich

Die 1907 errichtete Glienicker Brücke über die Havel verbindet Berlin und Potsdam. Im Kalten Krieg wurde der Havelübergang weltberühmt: Bei drei spektakulären Aktionen wurden sowjetische und amerikanische Agenten ausgetauscht, was der Glienicker Brücke zu ihrem Beinamen „Brücke der Spione“ verhalf. Der englische Autor John Le Carré hat der Brücke und dem Agentenaustausch mit seinem Spionage-Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ ein bleibendes Denkmal gesetzt. Zuvor war die Brücke bereits filmisches Motiv des poetischen deutschen Schwarz-weiß-Streifens „Unter den Brücken“.

Die erste und spektakulärste Austauschaktion fand am 10. Februar 1962 statt. Der an der Aufdeckung amerikanischer Atomgeheimnisse beteiligte und vom FBI verhaftete sowjetische Kundschafter Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel wurde gegen Francis G. Powers, den Piloten des am 1. Mai 1960 über Swerdlowsk abgeschossenen amerikanischen Spionageflugzeugs vom Typ "U2" ausgetauscht.

Bei der letzten Austauschaktion am 11. Februar 1986 gelangten vier in der DDR inhaftierte Spione, darunter der sowjetische Bürgerrechtler Anatolij Schtscharanski, in den Westen. Fünf Agenten des Ostens entkamen westlichen Gefängnissen.

Die Glienicker Brücke ist in eine wunderschöne Park- und Seenlandschaft eingebettet und wurde 1990 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. An der Potsdamer Uferseite ist seit dem 9. November 2009 die Villa Schöningen eröffnet. Sie beherbergt ein Café sowie ein kleines Museum über die Zeit des Agentenaustauschs und zur deutsch-deutschen Geschichte.

An einer Säule de Brückengeländers ist mit einem spitzen Gegenstand das Datum „Mai 1962“ auf Russisch eingeritzt. Es bleibt ein Rätsel, ob hier vor mehr als einem halben Jahrhundert schnell noch ein echter sowjetischer Spion eine Markierung absetzte oder ob sich ein unbedeutender Unbekannter aus einer Laune heraus irgendwie verewigen wollte.

Sanatorium Beelitz-Heilstätten

Sanatorium Beelitz-Heilstätten

Foto: Pawel Nemtschinow

Die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (später "Westgruppe der Truppen" der Sowjetarmee) hatte nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges zunächst in Potsdam-Babelsberg und ab 1946 bis zur Truppenverlegung und zum militärischen Abschied aus Deutschland im Jahr 1994 ihr Hauptquartier in Wünsdorf, dicht an der südlichen Stadtgrenze von Berlin. Ganz in der Nähe zum Hauptquartier Wünsdorf wurden die Beelitzer Heilstätten zum größten Militärhospital außerhalb der UdSSR umfunktioniert. In Beelitz ließen sich sowjetische Offiziere und ihre Ehefrauen sowie hochrangige DDR-Funktionäre behandeln. Nach dem Abzug der Westgruppe der Sowjetarmee erlebten die Beelitzer Heilstätten einen dramatischen Niedergang und die meisten Einrichtungen mussten geschlossen werden.

Ursprünglich waren die Heilstätten zwischen 1898 und 1930 von der Landesversicherungsanstalt als Vorzeigeobjekt errichtet worden. Die "Arbeiter-Lungenheilstätten" bildeten den größten Krankenhauskomplex im Berliner Umland. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Sanatorium mit seinen zahlreichen Gebäuden, einer Bierstube, einem Kindergarten, einer Bäckerei und sogar einem Pferdestall eine kleine Stadt für sich.

In den verlassenen, inzwischen durch Vandalismus stark beschädigten Gebäuden kann man selbst heute noch alte sowjetische Zeitungen, Konservengläser, Frauenschuhe, ja sogar einen Kühlschrank entdecken. Die architektonisch interessanten, heute jedoch dem Verfall preisgegebenen Gebäude des Sanatoriums mit ihren eingeschlagenen Fenstern, halb zerstörten Treppen und von Graffiti besprühten Wänden bilden ein beliebtes Motiv für Fotografen aus aller Welt.

Der Russisch-orthodoxe Friedhof

Der Russisch-orthodoxe Friedhof

Foto: Tatjana Marschanskich

Eines der ältesten russischen architektonischen Denkmäler in Berlin ist der Russische Friedhof in Tegel im Stadtbezirk Reinickendorf. Er ähnelt dem berühmten russischen Emigrantenfriedhof im französischen  Sainte-Geneviève-des-Bois im Département Essonne in der Region Île-de-France. Neben den Gräbern fällt in Berlin die russisch-orthodoxe Sankt-Konstantin-und-Helena-Kirche mit ihren blauen Dächern und Kuppeln auf. Zu den sonntäglichen Gottesdiensten finden sich immer um die 70 Gläubige ein. Einige Mitglieder der Kirchengemeinde kümmern sich ehrenamtlich um die Pflege der Gräber. Auf dem Russisch-orthodoxen Friedhof in Alt-Tegel sind beispielsweise Vladimir Nabokov, der Vater des gleichnamigen Schriftstellers, und der Architekt Michail Eisenstein, der Vater des Regisseurs Sergej Eisenstein, begraben. Aber auch während des Bürgerkriegs emigrierte russische Aristokraten und Weißgardisten fanden hier ihre letzte Ruhe.

Der 1893 errichtete Friedhof steht im wahrsten Sinne des Wortes auf russischem Boden, denn Zar Alexander III. schickte vier Eisenbahnzüge mit 4 000 Tonnen Erde aus den 20 Gouvernements des Landes nach Berlin, um damit das rund zwei Hektar große Friedhofsareal zu bedecken. Die Toten sollten in russischer Erde ruhen können. Selbst die Setzlinge für den überwiegend aus Buchen, Birken und Ahorn bestehenden Baumbestand kamen direkt aus Russland.

„Manchmal kommen auch Deutsche hierher und interessieren sich neben dem architektonischen Ensemble auch für die fremde Religion. So wollen sie wissen, wodurch sich der russisch-orthodoxe Glaube vom Katholizismus unterscheidet“, berichtet der 22-jährige Alexej, der zur Kirchengemeinde gehört und sich auch um die Gräber kümmert. „Besucher sind bei uns stets gern gesehen.“

Die Russendisko

Die Russendisko

Wladimir Kaminer: Russendisko.

Manhattan Verlag, München 2000.

Foto: amazon.de

Der Begriff "Russendisko" wurde Anfang des neuen Jahrhunderts durch die alle 14 Tage im Café Burger in der Torstraße in Berlin-Mitte stattfindenden, von Wladimir Kaminer und Yuriy Gurzhy organisierten Künstlerlesungen mit Musik überregional bekannt. Das musikalische Programm der Russendisko prägte ein Mix aus alter russischer Volksmusik und neuem Pop sowie Underground aus Russland.

Das 1890 gegründete Lokal übernahm 1936 die Familie Burger, die dem Etablissement bis heute ihren Namen lieh. Schon in den 70-er Jahren entwickelte sich das Kaffee Burger zum Treffpunkt der Ostberliner Kulturszene. 1999 wurde es neueröffnet und gilt seitdem als illustres Künstlerlokal und angesagter Klub.

Dem Café Burger mit seiner "Russendisko" setzte Wladimir Wiktorowitsch Kaminer, einer der populärsten russischen Schriftsteller in Berlin, mit seiner gleichnamigen Erzählung ein Denkmal. Er wurde 1967 in Moskau geboren und erhielt im Juni 1990 von der noch bestehenden DDR humanitäres Asyl. Seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine Erzählbände "Militärmusik" und "Russendisko" machten ihn auch außerhalb Deutschlands schnell bekannt. Kaminer schreibt seine Beobachtungen des deutschen Alltags in Deutsch und nicht in seiner Muttersprache Russisch. Im Dezember 2006 eröffnete Kaminer den Club "Rodina" (deutsch: Heimat) in Berlin, den er jedoch nach viereinhalb Monaten wieder aufgeben musste. Kaminer ist jedoch weiterhin sehr produktiv.

Alexandrowka in Potsdam

Alexandrowka in Potsdam

Foto: Tatjana Marschanskich

Um ein Stückchen Russland in Westeuropa zu sehen, muss man sich in Potsdam in eine Straßenbahn der Linien 92 oder 96 setzen und bis zur Puschkin-Allee fahren. Dort befindet sich die russische Kolonie Alexandrowka.

Sie besteht aus 13 Holzhäusern, die in den Jahren 1826 bis 1827 auf Wunsch des preußischen Königs, Friedrich Wilhelm III., im russischen Stil erbaut wurden. Sie sind von großzügigen Gärten umgeben. Nördlich von Alexandrowka schließt sich der Kapellenberg an, auf dem eigens für die Kolonisten die Alexander-Newski-Kirche, errichtet wurde.

Die Anlage diente als Heim für die russischen Musiker und Sänger des Ersten preußischen Garderegiments. Sie rekrutierten sich ursprünglich aus den 62 russischen Soldaten, die im Oktober 1812 gefangengenommenen wurden. Damals musste sich Preußen dem Druck Napoleons beugen und mit ihm gegen Russland zu Felde ziehen. Im Verlauf des Vaterländischen Krieges der Russen und beim Rückzug Napoleons fielen allerdings die europäischen Vasallen vom französischen Imperator ab. Preußen verbündete sich im Dezember 1812 in den Befreiungskriegen mit Russland. Friedrich Wilhelm III. und der Zar Alexander I. verstanden sich so gut, dass die russischen Sänger ihre Freiheit erhielten, aber als Geschenk des Zaren am königlichen Hof in Potsdam bleiben durften. Für sie legte der Preußenkönig dann nach dem Vorbild des Parkdorfes Glasowo bei St. Petersburg die Kolonie Alexandrowka an. Im Jahr 1999 nahm die UNESCO das Alexandrowka-Ensemble in die Liste des Weltkulturerbes auf.

Die Polin Joanna Waluszko verkauft Eintrittskarten für das private Museum, in dem sich die Besucher mit der Entstehungsgeschichte des K lonistendorfes vertraut machen können. Die junge Frau räumt ein: „Alexandrowka ist für mich wie Disneyland, eben eine besondere, künstlich geschaffene Welt. Die Russen haben die Holzhäuser hier ja nicht selbst gebaut.“ In den großen Gärten der von Peter Joseph Lenné entworfenen Kolonie wuchsen seinerzeit rund 500 verschiedene Obst- und Beerensorten. Im Eingangsbereich des Museums steht ein Regal mit Ansichtskarten, auf denen nahezu alle Früchte abgebildet sind.

Spaziert man durch Alexandrowka, kann man Matrjoschkas – die bunt bemalten ineinander stapelbaren Holzpuppenschachteln – in den Fenstern sehen, kommt an einem russischen Restaurant vorbei und liest an einem Zaun auf Russisch „Honig von hier. 4,50 Euro“. Aber es wohnen keine Russen mehr in der Siedlung, fast alle Häuser gehören Deutschen. Nur noch zwei Familien sind direkte Nachfahren der russischen Militärsänger.

Info: Weiterführende Literatur und Links

Info: Weiterführende Literatur und Links

Karl Schlögel: Das Russische Berlin. Ostbahnhof Europas. Hanser Verlag, München, 2007, ISBN 978-3-446-20880-3E - schwergewichtiges historisches Sachbuch, hebt besonders die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hervor, beispielsweise in "Sankt Petersburg am Wittenbergplatz", "A Star Was Born: Anastasia" oder "Nabokov und die Taxifahrer"; bedenkt in "Russian Connection" aber auch das neue russische Berlin

http://www.berlin-russisch.de - Informationsportal für Russen in Berlin: Russische Restaurants und Cafés, russische Clubs und Diskotheken, russische Galerien und Theater, russische Geschäfte, russische Literatur und Presse, russische Hotels und Pensionen

http://www.berlin.de/kultur-und-tickets/tipps/multikulti/russisches-berlin/ - Russische Spezialitäten, russische Literatur, russisches Kulturangebot, russische Schulen und Kindergärten mit bilingualer Erziehung und Ausbildung, Russisches Theater, Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur

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