Foto: Asja Orlowa / vladivostokasya.livejournal.com
Wladiwostok, die Stadt am Goldenen Horn, ist die Endstation der Transsibirischen Eisenbahn. Bis zum Ende der Sowjetunion war Wladiwostok eine „geschlossene“ Stadt, das heißt, sie war aus militärischen Gründen für Besucher nicht frei zugänglich. Heutzutage zeigt man sich in Wladiwostok umso weltoffener. Seit einigen Jahren versucht die russische Regierung, Wladiwostok in ein Zentrum der internationalen Zusammenarbeit in der asiatisch-pazifischen Region zu verwandeln, und investiert in beeindruckende Bauwerke. Wie jede große Stadt hat aber auch Wladiwostok Schattenseiten. Diese zu entdecken, hat einen ganz besonderen Reiz.
Im Untergrund
Wladiwostok war und ist eine Militärstadt und überall finden sich Spuren der militärischen Vergangenheit. Hier befinden sich die Befehlszentrale der russischen Pazifikflotte und eine Reihe von Garnisonen. Unter der gesamten Stadt wurde während der Zaren- und Sowjetzeit eine Vielzahl militärischer Tunnel angelegt, von denen die meisten heutzutage nicht mehr genutzt werden. Hobby-Archäologen, die sich „Digger“ nennen, bieten atemberaubende Führungen durch die Unterwelt Wladiwostoks an.
Auf der Insel Russki kann man ein Anfang des 20. Jahrhunderts errichtetes Pulvermagazin sowie Ruinen der vielen Kasernen und Wracks sowjetischer Kriegsschiffe besichtigen.
Otschkura nennt man in Wladiwostok die engen Gassen und schmalen Durchgänge des Viertels Millionka – dieser alte Stadtbezirk war früher für seine Spielhöllen, Bordelle und Opiumhöhlen berühmt und berüchtigt.
Gostinkas und Chruschtschowkas
Ruinen der sowjetischen Kaserne in Wladiwostok. Foto: vladivostokasya.livejournal.com
Außerhalb des Zentrums, in Dalchimprom, Smeïnka oder Tichaja prägen die sogenannten Gostinkas das Stadtbild – Trabantenstädte aus finsteren, kastenförmigen, grauen Häuserblocks mit winzigen Wohnungen. Hier leben überwiegend sozial Schwache und Drogenabhängige, aber auch ausländische Studenten.
Überall wächst hier Hanf, aus dem die Junkies Chimka herstellen, eine Mischung aus Tabak und Haschischöl. Die russischen Gostinkas erinnern an Harlem oder das East End. Eine Besichtigung ist sehr aufschlussreich,
gleichzeitig allerdings auch nicht ungefährlich.
Neben den Gostinkas kann man in Wladiwostok, wie in jeder anderen russischen Stadt auch, die Chruschtschowkas finden. Das sind fünfgeschossige Wohnhäuser, deren Wohnungen eine Deckenhöhe von 2,28 Meter bis 2,48 Meter haben. Sie wurden vor allem in den Sechzigerjahren gebaut und verdanken ihren Namen dem damaligen KPdSU-Generalsekretär Chruschtschow. In der Sachalinskaja-Straße erinnert ein solches Haus an die Bandenkämpfe, die es Anfang der Neunzigerjahre in der Stadt gab. Eine Ecke des Gebäudes wurde vor zwanzig Jahren bei einem Anschlag auf einen der Bandenführer in die Luft gesprengt. Bei der Renovierung wurden andersfarbige Betonplatten verwendet, die dem Ereignis ein Denkmal gesetzt haben.
Der Saal der sowjetischen Beamten und berühmten Persöhnlichkeiten russischer Revolution im Wladimir-Arsenjew-Museum. Foto: vladivostokasya.livejournal.com
Unweit der Sachalinskaja-Straße befindet sich der Morskoje-Friedhof, auf dem nicht nur das Grab des berühmten Abenteurers Wladimir Arsenjew und das von Anna Schtschetinina, der ersten Kapitänin auf großer Fahrt, liegen, sondern auch die Gräber der Matrosen des legendären Kreuzers Warjag, der im Jahre 1904 alleine den Kampf gegen ein ganzes japanisches Geschwader aufnahm. Aber auch die Grabstätten der Opfer der Bandenkämpfe, die die Stadt in den Neunzigerjahren in Angst und Schrecken versetzten, lassen sich besichtigen. Die pompösen Grabmale sind schon von Weitem zu erkennen.
Automarkt „Seljonyj ugol“
In keinem Reiseführer zu finden, aber ohne Frage sehenswert, ist der Automarkt Seljonyj ugol (Grüne Ecke). Hier wird seit zwanzig Jahren vorwiegend mit japanischen Gebrauchtwagen gehandelt. Der Markt zieht Besucher aus ganz Russland an. Der Gebrauchtwagenhandel ist nicht nur eine wichtige Einnahmequelle Wladiwostoks, sondern prägt auch das Lebensgefühl der Stadt, ungeachtet aller Hindernisse, die die Zentralverwaltung Moskaus den Einheimischen in den Weg stellt.
Der Automarkt liegt auf einem Sopka, einem der zahlreichen Hügel der Stadt. Hier soll man auch sehr günstig Schmuggelware aus Japan erwerben können: Whisky, Kognak, Zigaretten. Im Umfeld des Automarkts ist außerdem eine Vielzahl von Garagen zu finden. Sie sind der Zufluchtsort der Männer von Wladiwostok, die hier einen Großteil ihrer Freizeit verbringen. Sie treffen sich mit Freunden, veranstalten Grillabende und basteln an ihren Autos herum. Bei kleinen Abwrackfirmen können sie dafür gebrauchte Ersatzteile erwerben.
Essen in Tschifankas
Foto: vladivostokasya.livejournal.com
Wladiwostok ist eine teure Stadt, das Preisniveau in den Cafés ist mit dem in Moskau vergleichbar. Eine Alternative zu den teuren Restaurants bieten die günstigen chinesischen Tschifankas (vom chinesischen „tschifan“ – „essen“), in denen man leckere, an den europäischen Geschmack angepasste, chinesische Gerichte zu konkurrenzlos niedrigen Preisen angeboten bekommt. Solche Imbissstuben gibt es in jedem Stadtbezirk, die meisten sind jedoch im Stadtbezirk Sportiwnyj konzentriert, direkt neben dem chinesischen Basar.
Als Snack für unterwegs erfreut sich die Pjan-se – koreanische gedünstete Pasteten mit Kraut- oder Fleischfüllung – größter Beliebtheit. Es heißt, die Pjan-se seien von den russifizierten Koreanern auf Sachalin erfunden worden.
Sopkas
Eine der Besonderheiten der Stadt ist ihr hügeliges Relief. Einige der Sopkas sind dicht mit Hochhäusern bebaut, aber dazwischen gibt es immer noch ein paar nahezu unberührte Flecken, zum Beispiel die Sopka Cholodilnik (auf Deutsch: „Kühlschrank“). Hier stehen noch alte sowjetische Wehranlagen, und von hier eröffnet sich eine der interessantesten und schönsten Aussichten auf die Stadt.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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