Die Perfektionistin sagt Servus

Weltbeste in der Rhythmischen Sportgymnastik Jewgenija Kanajewa: "Die Gefühle, die man während der Wettkämpfe durchlebt, bleiben einem für immer". Foto: RIA Novosti

Weltbeste in der Rhythmischen Sportgymnastik Jewgenija Kanajewa: "Die Gefühle, die man während der Wettkämpfe durchlebt, bleiben einem für immer". Foto: RIA Novosti

Die Weltbeste in der Rhythmischen Sportgymnastik, Jewgenija Kanajewa, hat nach ihrem zweiten Olympiagold nun das Ende ihrer Sportkarriere verkündet. Doch der Abschied ist vielleicht nicht für immer.

„Es gibt keine unbesiegbaren Sportler, es gibt nur unvergessliche. Ich wollte immer eine solche werden", schwärmt die Sportgymnastin Jewgenija Kanajewa. Nein, nicht 2003, als sie bei einem internationalen Turnier unter den Juniorinnen ihren ersten Sieg davontrug, sondern 2012, nachdem sie das zweite olympische Gold geholt hatte.

Im Laufe ihrer erfolgreichen Karriere hat sich Kanajewa zu Recht eine Menge schmeichelhafter Attribute und Komplimente verdient: die Unbesiegbare, die Unvergessliche, die Unvergleichliche, die Beste, die Königin, der Star. Doch nach den Olympischen Spielen in London verharrten die Fans in banger Erwartung: Kann sie an ihren bisherigen Erfolg anknüpfen?

„Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, meinen Sieg zu genießen, da fragen sie mich schon nach den nächsten Spielen in Rio de Janeiro", klagt Jewgenija. „Im Sport bist du an einem Tag ein Gott und am nächsten ein Niemand, es ist nichts von Dauer. Ich bin ganz nach oben aufgestiegen und es war sehr schwer, sich die ganzen vier Jahre auf diesem Niveau zu halten. Natürlich habe ich vor Peking auch viel trainiert, aber nach Peking haben alle noch mehr von mir erwartet. Und viele haben auch auf einen neuen Star in der Rhythmischen Sportgymnastik gewartet. Die Zeit bleibt ja nicht stehen. Man muss interessantere Figuren erfinden, kompliziertere Elemente lernen – sich eben steigern. Das war nicht leicht für mich. Aber ich hatte ein Ziel: ganz nach oben aufsteigen, wohin ich es schon einmal geschafft hatte."

 

Ein letzter Kuss zum Abschied

Aber im Leben gibt es außer den Olympischen Spielen auch noch andere Höhen zu erklimmen. Es sieht so aus, als ob Jewgenija jetzt nach ihnen

Andere Champions über den Champion

 

Julija Barsukowa, Olympiasiegerin in Sydney 2000 in rhythmischer Sportgymnastik: „Für Jewegenija Kanajewa ist die Sportgymnastik ein Teil ihres Lebens. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es war, bei zwei Olympischen Spielen teilzunehmen, immer die Erste zu sein und an der Spitze zu bleiben. Das ist eine große Verantwortung, die viel Mühe und Geduld erfordert. Sie ist sehr talentiert. Deshalb wird ihr auch alles außerhalb des Sports gelingen. Der Sport härtet einen ab, formt den Charakter und die Einstellung zu den Dingen."

Natalja Ischtschenko, dreifache Olympiasiegerin, 16-fache Weltmeisterin und neunfache Europameisterin im Synchronschwimmen: „Für mich ist Kanajewa die beste Sportlerin in der gesamten Geschichte der rhythmischen Sportgymnastik. Sie ist etwas ganz Besonderes. Außerdem ist sie eine absolute Perfektionistin. Sie gibt immer 100 Prozent beim Training und bei den Wettkämpfen sowieso. Und das sieht und spürt man. Deshalb macht es mir große Freude ihr zuzusehen."

Ausschau hält. Sie beendet gerade ihr Studium, lernt Englisch und gewöhnt sich an ihre neue Aufgabe im russischen Gymnastikverband. Dort ist sie jetzt Mitglied des Exekutivkomitees und Vizepräsidentin. In dieser neuen Funktion verkündete sie auf der Jahreshauptversammlung des Verbands im Dezember 2012: „Höchstwahrscheinlich werde ich meine Karriere beenden. Außer Trainieren möchte ich gerne noch andere Erfahrungen machen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass ich meine Karriere nicht nur im Verband, sondern auch im Trainerbereich fortsetze."

Vera Stelbaums, persönliche Trainerin Kanajewas, kommentierte diese offizielle Mitteilung mit hoffnungsvollen Worten für die Millionen Fans der russischen Gymnastin: „Da ist noch gar nichts sicher. Nehmen wir beispielsweise Alina Kabajewa, die nach zwei Jahren wieder angefangen hat aufzutreten. Falls sich Jewgenija entschließen würde wieder zurückzukehren, könnte sie immer noch erfolgreich sein, ihre momentane körperliche Konstitution würde es erlauben. Aber wie sich alles weiterentwickelt, kann man noch nicht sagen."

Die Trainerin hatte  tatsächlich Recht. Am 21. Januar ließ Jewgenija Kanajewa über die Agentur „R-Sport" erklären, dass sie vorläufig nicht beabsichtigt, ihre sportliche Karriere zu beenden. „Ich hatte nicht vor, mein Karriereende bekannt zu geben. Ich muss mich jetzt um meine Gesundheit kümmern. Sobald ich wiederhergestellt bin, werde ich eine Entscheidung treffen", meinte Kanajewa. Sollte Kanajewa sich tatsächlich nicht vom Leistungssport verabschieden, ist es jedoch nach ihren eigenen Worten mehr als unwahrscheinlich, dass sie bei der nächsten Weltmeisterschaft in Kiew von August bis September 2013 teilnimmt.

Bei den Wettkämpfen ist Jewgenija Kanajewa immer hochkonzentriert, ernst und unzugänglich für Journalisten und Fans. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie ihre Pirouetten vor den Augen der Zuschauer dreht, ist Schwerstarbeit. Alle Energie, Emotionen und das eiserne Lächeln lässt die Sportlerin auf dem Gymnastikteppich zurück.

Ansonsten zeigt sich Kanajewa nicht nur als virtuose Turnerin, sondern im persönlichen Gespräch auch als offener und ehrlicher Mensch.

„Die Gefühle, die man während der Wettkämpfe durchlebt, bleiben einem für immer und manchmal überkommen sie mich wie eine Welle", erzählt Jewgenija. „Diese Déjà-vu-Momente sind seltsam, aber sehr angenehm. Medaillen, Preise – das ist alles zweitrangig. Ich liebe es einfach in der Halle zu sein, zu trainieren und aufzutreten. Gymnastik macht mir einfach total viel Spaß."

Das fließende Band, der energische Ball, die dynamischen Keulen und der biegsame Reifen – Jewgenija Kanajewa bedankt sich bei den Geräten, mit denen sie auf dem Gymnastikteppich glänzen kann, immer mit einem Kuss. Es bleibt zu hoffen, dass wir diese Geste noch einmal sehen können, wenigstens bei Schauwettkämpfen.

 

Die größten Augenblicke in der Karriere von Jewgenija Kanajewa

 

Bei der Weltmeisterschaft in Mie (Japan) 2009 gewann Kanajewa sechs Goldmedaillen von acht möglichen und brach damit den Weltrekord ihrer russischen Landsfrau Oxana Kostina von 1992 (fünf Goldmedaillen).

Bei der Weltmeisterschaft im französischen Montpellier 2011 wiederholte Kanajewa ihren unglaublichen Erfolg. Laut den offiziellen Ergebnissen wurde sie die einzige 17-fache Weltmeisterin in rhythmischer Sportgymnastik.

Am 16. Oktober 2011 beim Grand-Prix-Finale der rhythmischen Sportgymnastik im tschechischen Brno (Brünn) erhielt Jewegenija Kanajewa die höchste Anerkennung der Preisrichter. Sie bekam für ihre Darbietung mit dem Band die Bestnote 30.

Bei den Olympischen Spielen in London 2012 gewann sie den Einzelmehrkampf und wurde damit als Erste zur zweifachen Olympiasiegerin in ihrer Disziplin.

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