Luschkow hinterlässt ein schweres Erbe

Der Ex-Bürgermeister Moskaus Jurij Luschkow

Der Ex-Bürgermeister Moskaus Jurij Luschkow

2010 wurde Moskaus Bürgermeister Jurij 
Luschkow abgesetzt. 
Nach langer Misswirtschaft hat er die Stadt fast an den Rand des Ruins getrieben. Wie, fragt man sich, kann das gut gehen? Wie konnte eine Verwaltung, deren Budget (in diesem Jahr etwa 
27 Milliarden Euro) in den 
vergangenen Jahren den Staatshaushalt der Ukraine übertraf, 18 Jahre lang ohne einen einzigen anerkannten Wirtschaftsexperten auskommen? Es konnte nicht gut gehen, und darin liegt die Erklärung für das Ende der Ära Luschkow. Es ist die Geschichte eines langsam entgleitenden Verwaltungsapparats, wachsender Finanzierungsprobleme und der wirtschaftlichen Unfähigkeit der Stadtverwaltung.

Dabei genoss Jurij Luschkow während seiner Amtszeit den Ruf eines „fähigen Ökonomen“, ja eines „Herren über Moskau“, weil er sich stets für alle Wirtschaftsbelange interessierte. Trotz allem ist es der Stadtverwaltung in den 90er-Jahren nicht gelungen, eine funktionierende Wirtschaft und Industrie aufzubauen.Im Jahr 2008 lag der Wert aller von der Stadt kontrollierten Aktiva bei etwas mehr als zwei Milliarden Euro, während die realen Ausgaben bereits Dutzende Milliarden betrugen. In diesem Licht betrachtet scheint der Ruf eines „fähigen Ökonomen“ maßlos überzogen. Kennzeichnend für Luschkows Misswirtschaft ist auch die Geschichte des Moskauer Automobilwerks AZLK und des Nutzfahrzeugherstellers ZIL. Trotz beträchtlicher Zuschüsse aus dem städtischen Budget und subventionierter Fahrzeug-Einkäufe balancierten beide Unternehmen ständig am Rande des Abgrunds, bis sie schließlich Konkurs anmelden mussten. De facto hat die Stadt beide Aktiva verloren, zusammen mit den vorangegangenen milliardenschweren Investitionen. Ähnlich erging es hunderten weiteren Betrieben in städtischem Besitz. Es ging weniger um Korruption als schlicht um ineffizientes Management. Gleichzeitig vollzog sich eine „graue“ Privatisierung der lukrativsten Moskauer Betriebe und Immobilien durch Luschkows Mannschaft. So gründete Wladimir Jewtuschenko, damaliger Leiter des Stadtkomitees für Wissenschaft und Technik, 1993 die Sistema AG. Anfang 2000 übernahm Sistema die städtische Telekom, auf deren Basis später der größte Mobilfunkanbieter Russlands entstand. Heute gehören dazu ein Bauunternehmen und mehrere Elektronikwerke. Jewtuschenko, der sich schon vor Jahren von Luschkow distanziert hat, ist heute einer der reichsten und mächtigsten Unternehmer Russlands.

 Landlose Kinder


Die städtische Politik der letzten 20 Jahre orientierte sich am Wohnungsbau, wobei die Privatisierung von Kommunalflächen radikal einschränkt wurde. Und während staatliche Baubetriebe ihre tragende Rolle Mitte der 1990er-Jahre verloren, konnten private Bauunternehmen schalten und walten, wie sie wollten, so sie denn über die nötigen „Ressourcen“ verfügten, sprich Seilschaften verschiedener Interessensgemeinschaften und Cash.

Dieser Missstand hat das Stadtbild während der letzten beiden Jahrzehnte bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Eigentlich sollten in Moskau – laut Plan – neue Wohnareale am Stadtrand gebaut und alte Stadtbezirke saniert werden. Doch durch die ungebremste Korruption der Stadtbeamten und einen unregulierten Grundstücksmarkt fiel die historische Altstadt der Lückenbebauung zum Opfer. An den Moskauer Immobilienpreisen, den winkenden Gewinnmargen und den bereits im Kostenplan berücksichtigten Bestechungsgeldern, die schätzungsweise zwischen 35 und 70 Prozent der Baukosten betragen, orientiert sich inzwischen die ganze Wohnungsbaubranche Russlands.


So kennen ihre Stadt selbst viele Moskauer nicht mehr. Die russische Hauptstadt im Jahr 1908

Glanz und Elend des Sozialstaates

Parallel dazu hat die „postsozialistische“ Ausrichtung des Ex-Bürgermeisters seit 1991 für weitere Probleme gesorgt. 1996 und in den darauffolgenden Jahren schlugen die städtischen Sozialabgaben mit mindestens zehn Prozent, die Ausgaben für Gesundheits-, Schul- und Arbeitswesen mit weiteren 25 Prozent des Haushalts auf die Tasche. Durch diese sozialen Ausgaben steuerte Jurij Luschkow die Stadt in eine finanzielle Sackgasse, die dann auch der eigentliche Grund seiner Entlassung war. Hauptursache für den sozialpolitischen Kollaps Moskaus war jedoch der mangelnde Wille der Stadtregierung, den kommunalen Wohnungsbau als ausgabenstärksten Teil des Budgets zu reformieren. Seit 1991 verstrickte sich das Bürgermeisteramt in einen Widerspruch, der auch theoretisch nicht zu lösen war: Wie senkt man die Ausgaben bei permanent steigenden Kosten für die Dienstleistungen? Das Luschkow-Team scheiterte so am gleichen grundlegenden Problem, wie zuvor sozial-demokratische Regierungen Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die gingen ebenfalls aus politischer Motivation soziale Verpflichtungen ein, die nicht finanzierbar waren, und sich für die Wirschaft als Wachstumsbremse ohne Beispiel erwiesen.

Die letzten Meter einer langen Straße

Wäre Jurij Luschkow am Ruder geblieben, bliebe ein Haushaltskollaps nur eine Frage der Zeit. Kurz nach seiner Entlassung legte der russische Finanzminister Alexej Kudrin vor dem Föderationsrat dar, was aufgrund steigender Sozialausgaben beim kommunalen Wohnungsbau und bei Infrastrukturprojekten alles zurückgeschraubt werden musste. Hatte die Stadt im Jahr 2000 noch 26 Prozent ihres Budgets für den Straßenbau ausgegeben, waren es 2008 lediglich acht Prozent, im ersten Halbjahr 2010 noch 4,4 Prozent. Kein Wunder, dass Moskau tagtäglich im Verkehrschaos versinkt. Die Zahlen beweisen auch, dass die reichste Stadt Russlands schon heute wählen muss zwischen einer Finanzierung des Straßenbaus – oder des Gesundheitswesens. Jurij Luschkow musste sein Amt wegen seiner verfehlten Politik räumen: Der Aufschu b dringlicher Reformen, der Aufbau von ausufernden Sozialleistungen, die daraus folgende unkontrollierbare Zuwanderung und eine zen-tralistische Verwaltung hätten die Stadt zwangsläufig in den Ruin getrieben. Jurij Luschkows Nachfolger bleiben nur zwei bis drei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen.

Das Moskau nach der Luschkow-Ära:  teils modern, teils altertümlich, teils verunstaltet und immer noch so archaisch, wie auch schon unter seinen Vorgängern.

Der Beitrag erschien erstmals im Moskauer Stadt-magazin Bolschoj Gorod (Großstadt). Der Autor, Dimitrij Butrin, ist Leiter des Wirtschaftsressorts bei der Tageszeitung Kommersant.


Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!