EU-Kommissar Šefčovič kündigt härtere Gangart gegenüber Gazprom an. Foto: Reuters
In einem Interview mit der russischen Wirtschaftszeitung „Kommersant" kündigte EU-Kommissar für die Energieunion Maroš Šefčovič an, dass die Europäer künftig nicht mehr bereit seien, jeden Preis für russisches Gas zu bezahlen. Zudem werde man Gazprom zukünftig genauer unter die Lupe nehmen. Bei Wettbewerbsverstößen oder Verstößen gegen die Gesetzgebung der Europäischen Union werde man „das Unternehmen auffordern, die Vertragsbedingungen zu ändern", soll Šefčovič gesagt haben. Er kritisierte zudem, dass für europäische Länder unterschiedliche Preise und Vertragsbedingungen gelten würden. Die Europäische Kommission hatte in der vergangenen Woche ein Verfahren gegen den russischen Energieversorger wegen der Verletzung von EU-Kartellvorschriften eingeleitet. Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte das „inakzeptabel". Nun betonte der EU-Kommissar nochmal die Absicht der Europäer, sich gegen Gazprom zur Wehr setzen zu wollen.
Iwan Kapitonow, Dozent an der Russischen Akademie für Wirtschaft und Verwaltung, überrascht diese Auseinandersetzung zwischen Gazprom und der EU nicht. Wenn es um knappe Ressourcen ginge, seien Unstimmigkeiten zwischen Lieferanten und Abnehmern „ein natürlicher Prozess", sagt er. Im „Kommersant" erklärte Šefčovič, dass die EU auf der Suche nach neuen Lieferanten sei. Bis zum Jahr 2020 solle beispielsweise Gas aus der kaspischen Region nach Europa fließen. Die EU verhandele dazu derzeit mit Aserbaidschan. Aber auch aus dem Irak und dem Iran könnte zukünftig Gas nach Europa strömen. Auch Turkmenistan habe laut Šefčovič Interesse signalisiert, mit den Europäern eine geschäftliche Beziehung im Energiebereich aufzubauen. „Zudem berücksichtigen wir mögliche Ressourcen aus dem östlichen Mittelmeerraum, die neuen Quellen in Algier und beobachten den Markt für Flüssiggas", berichtete er. Für die Diversifizierung der Gasimporte sei auf hoher Ebene eine Sondergruppe eingerichtet worden, die sich mit dem Ausbau der Gastransportnetze in Mittel- und Südosteuropa befasse, betonte Šefčovič. Er erklärte, dass es das oberste Ziel sei, jedem einzelnen Land in dieser Region durch den Ausbau von Gaspipelines und Interkonnektoren innerhalb vernünftiger Fristen Zugang zu drei unterschiedlichen Gasquellen zu ermöglichen.
Ilja Balakirew, Analyst bei UFS IC, erklärt, dass es bei diesen Plänen jedoch vor allem um den Aufbau einer Infrastruktur, nicht aber um die Lieferanten ginge. Das hieße also, dass russisches Gas beispielsweise nach Polen durch die Ukraine, durch Deutschland oder Tschechien geliefert werden könne. Dmitrij Baranow von der Investmentgesellschaft Finam wertet Šefčovičs Aussagen als Absichtserklärungen. Es sei noch viel zu tun, bis Tatsachen geschaffen werden könnten. Die Infrastrukturobjekte für die Lieferungen aus alternativen Lieferländern müssten erst noch gebaut
werden. „Außerdem muss sich Europa auch mit neuen Partnern erst noch über die Bedingungen einer eventuellen Zusammenarbeit einigen. Das kann noch lange dauern", meint Baranow.
„Im Augenblick führen Gazprom und die Europäische Kommission eine Art Informationskrieg. Die taktischen Züge, die dabei ausgeführt werden, verdecken die ursprünglichen Absichten und Motive", findet Balakirew. Er sei der Ansicht, dass Gazprom und die EU versuchen sollten, sich zu einigen. „Auf beiden Seiten gibt es Drohungen. Wenn diese in die Tat umgesetzt werden, sind die Folgen möglicherweise nicht mehr ohne weiteres rückgängig zu machen", mahnt er und sieht bei der geplanten Energiediversifizierung große Herausforderungen auf die EU zukommen. Es sei keine leichte Aufgabe, russische Gaslieferungen vollständig zu ersetzen, selbst wenn die EU dafür bereit sei, sich über ihre eigenen Normen hinwegzusetzen, meint er.
Baranow sagt, dass eine Diversifizierung der Energielieferungen nach Europa nicht zum ersten Male in der EU diskutiert werde. Er ist der Meinung, dass es dabei aber keineswegs darum ginge, vollständig auf russische Gas zu verzichten. Es gehe nur darum, die Abhängigkeit von Russland in dieser Hinsicht zu reduzieren. Die EU führe bereits entsprechende Gespräche, erinnert er: „Aktuell verhandelt die EU mit einigen Ländern, die als potentielle Öl- und Gaslieferanten in Frage kommen." Darunter seien sowohl Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas wie auch die Golfstaaten und Länder der ehemaligen Sowjetunion, aber auch die USA und Kanada. Noch ginge es dabei aber nicht um konkrete Lieferverträge, so Baranow.
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