Ehemalige Goldgrube für Expats versiegt zusehends

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Wegen der Krise in Russland finden ausländische Fachkräfte derzeit kaum Jobs in Russland. Dabei war es einst der lukrativste Arbeitsmarkt für Expats. Diese Zeiten sind vorerst vorbei.

Es soll eine Eilmeldung im Juli 2014 gewesen sein, die Matthias Wintzer endgültig die Augen öffnete. Der Absturz der malaysischen Boeing MH 17 über dem Osten der Ukraine, ist er überzeugt, habe letzten Endes Russland zu verantworten. Dabei hat Wintzer, ein Experte für Luxuswaren, schon einiges erlebt in der russischen Hauptstadt.

„Als ich 2003 hier ankam, um den Vertrieb für eine große europäische Luxusmar
ke aufzubauen, flogen wenig später Kugeln durch die gläserne Bürowand meines Chefs“, erinnert er sich. Einschüchterungsversuche solcher Art kämen heute zwar nicht mehr vor; in geschäftlicher Hinsicht habe sich Russland mittlerweile europäisiert. Doch po
litisch gesehen laufe es in die falsche Richtung. Die Sanktionen gegen Moskau findet Wintzer berechtigt. Vergangenen April packte er schließlich seine Koffer und verließ Russland Richtung Spanien.

Matthias Wintzer ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten und Jahren kehrten Tausende Expats Russland den Rücken. „Politische Gründe spielen sicherlich auch eine Rolle“, meint Galina Melnikowa, Generaldirektorin für Russland und die GUS-Staaten beim Personaldienstleister Manpower. „Einige ausländische Fachkräfte möchten nicht mehr bleiben. Andere hingegen werden von ihren Arbeitgebern nicht mehr in ernst zu nehmende Positionen gelassen“, erklärt die Expertin. Hinzu komme, dass einige vor dem Hintergrund der Sanktionen keine Geschäfte mehr auf der Halbinsel Krim führen könnten, die vor anderthalb Jahren an Russland angegliedert wurde.

Wirtschaftlich unattraktiv

Doch politische Gründe sind nicht unbedingt das wichtigste Kriterium. Meist sind es wirtschaftliche Umstände. Übereinstimmend berichten die russischen Headhunting-Gesellschaften über eine Zunahme von Bewerbungen seitens ausländischer Fachkräfte, die ihre Stellen in Russland verloren haben. „Seit November vergangenen Jahres hat die Anzahl der Bewerbungen um zehn bis 15 Prozent zugenommen. Der Höhepunkt war im Frühjahr zu verzeichnen. Danach haben viele ausländische Fachkräfte Russland verlassen“, berichtete Juri Dorfman, Partner der Per
sonalgesellschaft Cornerstone, der Wirtschaftszeitung „RBK“.

Auch bei Wintzer spielten wirtschaftliche Gründe eine wichtige Rolle. Er wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. „Ich gründete ein Unternehmen im Bereich T-Commerce. Es sollte ermöglichen, mithilfe von Smart-TV und Mobile App Waren, die im Fernsehen auftauchen, direkt in den virtuellen Warenkorb zu verfrachten“, erzählt der Gründer. Er war überzeugt, das sei der große Hit, und auch russische Investoren sprangen an, allen voran die Investment-Sparte der staatlichen Sberbank. Doch die vertraglich zugesprochenen Investitionen flossen nicht. 
Der Sberbank fehle das Geld, mutmaßt Wintzer. Sein Start-up musste er erst einmal auf Eis legen.

Dabei ist es gar nicht so lange her, da galt Moskau als echtes Eldorado für ausländische Fachkräfte. Im Jahr 2009 bewertete die britische Bank HSBC in einer Studie Moskau als lukrativsten Standort für Top-Manager. Fast die Hälfte der damals befragten Fachkräfte gab als jährliches Gehalt über 
200 000 US-Dollar an. In der aktuellen Studie von 2014 landet Russland bei der wirtschaftlichen Attraktivität nur noch auf Platz 19. Da hilft es nicht, dass es in puncto Sozialleben und Knüpfen von Kontakten noch immer Platz eins erreicht. Besonders schlecht schneidet Russland bei Lebensmitteln und der Lebensqualität für Familien mit Kindern ab.

Historischer Tiefpunkt

Tatsächlich waren 2008 und 2009 nicht nur die Jahre, in denen Russland die meisten Expats anlockte, sondern zugleich der Beginn eines Umbruchs. Laut einer Untersuchung der Moskauer Higher School of Economics arbeiteten zu Spitzenzeiten etwa 300 000 Spezialisten aus den USA und der Europäischen Union in Russland. Das Vorkrisenniveau ist jedoch seither nie wieder erreicht worden. Stattdessen sanken die Zahlen rapide. „Bis 2011 hatten bereits etwa zwei Drittel aller Expats Russland 
verlassen“, sagen die Forscher. 
Dieser Trend habe sich auch nach der wirtschaftlichen Erholung 
zu Beginn des Jahrzehnts nicht umgekehrt. Insgesamt, so schätzen Experten, sind derzeit etwa 
100 000 Fachkräfte aus Ländern, die nicht Teil der Sowjetunion gewesen sind, in Russland beschäftigt. Ein historisch niedriger Wert. Etwa 40 000 davon haben eine leitende Position inne.

Vielfach würden Verträge ausländischer Mitarbeiter schlicht nicht verlängert. Als günstigeren Ersatz heuern die Arbeitgeber russische Spezialisten an. Experten gehen davon aus, dass ein Expat Unternehmen im Schnitt mehr als das Doppelte kostet, verglichen mit einem russischen Arbeitnehmer. Doch auch wenn viele Ausländer derzeit keine Aufgabe in Russland finden, könnten sie in einigen Jahren zurückkehren. So sieht es auch Matthias Wintzer. „Irgendwann wird es in dem Land sicherlich auch wieder anders laufen. Das Leben dort hat ja seit jeher Ähnlichkeiten mit einer Achterbahnfahrt, bei der es auf und ab geht“, meint der Retail-Experte.

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