Russland 2025: Sieben Szenarien fürs nächste Jahrzehnt

Spielball oder Strategie – was wird aus der russischen Wirtschaft?

Spielball oder Strategie – was wird aus der russischen Wirtschaft?

Reuters
Wird Russland zu einem Pulk zerstrittener Enklaven am Rande der Weltwirtschaft? Oder schafft das Land den technologischen Durchbruch und geht bis 2025 auf die wirtschaftliche Überholspur? Der russische Volkswirt Sergej Glasjew entwirft sieben Szenarien einer möglichen Weiterentwicklung Russlands.

Russland kann sich nicht treiben lassen, wenn zwei geowirtschaftliche Zentren, China und die USA, erbittert um die Vorherrschaft in der Welt ringen. „Unsere Wirtschaftspolitik ist passiv. Ohne eine eigene Strategie zu haben, überlassen wir das Feld unserer Wirtschaft ausländischen Unternehmen. Sie sind auf dem Finanzmarkt in der Übermacht und manipulieren diesen. Sie dominieren im Maschinen- und Werkzeugbau sowie bei langfristigen Konsumgütern“, erklärt der Volkswirt Sergej Glasjew in einem Beitrag für Gazeta.ru.

Angesichts dieser passiven Wirtschaftspolitik bestehe für Russland das Risiko, zu einem „Bauernopfer“ und einem „Objekt der Aggression konkurrierender Weltmächte“ zu werden, wie dies bereits mehrmals in der Geschichte der Fall gewesen sei. Wie sich Russlands Position in der nächsten Dekade verändern könnte, hängt von vielen Faktoren ab. Glasjew hat sieben mögliche Szenarien entworfen.

Eine Partnerschaft zu dritt: USA, Russland, China

Dies ist das erstrebenswerteste, aber unwahrscheinlichste Szenario von allen: Die USA stellen ihre aggressive Haltung ein und schließen sich der strategischen Allianz zwischen Russland und China an. Damit einher gehen die Abschaffung der US-Sanktionen und „eine gemeinsame Verantwortung für den Erhalt des Friedens im Prozess des globalen Strukturwandels“.

Behält Russland seine passive Rolle jedoch bei, könnten die Weichen für die schlimmste Entwicklung gestellt werden, nämlich für das folgende Szenario.

Isolation und Intervention

Die Coca-Cola-Werbung in Wladiwostok. / APDie Coca-Cola-Werbung in Wladiwostok. / AP

Dies könnte eintreten, wenn die US-Führung, statt den derzeitigen Konfrontationskurs zu China fortzusetzen, zur vorherigen Politik der Einbeziehung Chinas in die wirtschaftliche Symbiose mit den USA zurückkehrt, zum sogenannten „Chimerica“ („China“ + „America“). Sollten pro-amerikanische Kräfte in China die Oberhand gewinnen, könnte Russland ins völlige Abseits geraten, mit dem einhergehenden Verlust seiner Währungsreserven und Exportmärkte. Dies würde den Lebensstandard spürbar drücken und die eurasische Integration gefährden – sofern die heutige Wirtschaftspolitik unverändert bleibt.

Isolation und Mobilisierung

Das in Russland vorhandene Potenzial in den Bereichen Wissenschaft, Technik, Militär oder natürliche Ressourcen wird nicht nur das Überleben des Landes sichern, sondern auch seine Weiterentwicklung – wenn die Wirtschaft entsprechend mobilisiert wird. „Dazu braucht es jedoch neues Personal in der Regierung und in der Wirtschaft“, meint Glasjew.

Amerikanische Übernahme

Auch dieses Szenario hält Glasjew für möglich: Unter dem Druck der wirtschaftlichen Probleme erstarken in Russland pro-amerikanische Kräfte. Um die Aufhebung der Sanktionen zu bewirken, gibt Moskau den Forderungen aus dem Westen nach. Das provoziert eine plötzliche größere Einflussnahme der USA bis hin zu einer „Farbrevolution“ und der Einrichtung eines Marionettenregimes, wie es bereits 1991 und 1993 geschehen sei.

Mittels dieser Regierung wird Russland sein Atomarsenal genommen und die Desintegration des postsowjetischen Raumes vorangetrieben. Russlands Wirtschaft wird von US-amerikanischen und europäischen Konzernen privatisiert, Zentralasien wird zur Domäne Chinas.

Doch, so räumt Glasjew ein, gebe der Machtwechsel im Weißen Haus Anlass zur Hoffnung, dass die Feindseligkeit gegenüber Russland aufhört.

Chinesisches Protektorat

Ein Schild mit Infos zur neuen ATM-Bankkarte des chinesischen Zahlungssystems UnionPay, das demnächst MasterCard und Visa auf der Krim ersetzen soll. / Vasiliy Batanov/RIA NovostiEin Schild mit Infos zur neuen ATM-Bankkarte des chinesischen Zahlungssystems UnionPay, das demnächst MasterCard und Visa auf der Krim ersetzen soll. / Vasiliy Batanov/RIA Novosti

Sollte Russland keine Schritte zur strategischen Wirtschaftsentwicklung mittels eigener finanzieller Hilfen unternehmen, werde die künftige Partnerschaft mit China de facto darin bestehen, Russlands Wirtschaft den Interessen der chinesischen Volkswirtschaft zu unterwerfen, mahnt Glasjew.

Dann sähe die Zukunft so aus: „China investiert massiv in die russische Energie-, Agrar- und Verkehrswirtschaft, die sich zunehmend nach den Bedürfnissen des chinesischen Marktes ausrichten. Die russische Rüstungsindustrie entwickelt sich im Verteidigungsinteresse der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Die übrige Hightech-Industrie wird von russisch-chinesischen Joint-Ventures erschlossen. Russland behält jedoch seine politische Souveränität und die gleichrangige militärpolitische Partnerschaft mit China“, schreibt der Ökonom.

Um sich den aggressiven USA erfolgreich entgegenzusetzen, brauche die chinesische Wirtschaft russische Rohstoffe und Energieressourcen. In diesem Szenario wird Russland zur Peripherie Chinas.

Ein Pulk zerstrittener Enklaven

Eine weitere Vorstellung Glasjews ist Russlands Zerfall. Demnach würden Russland und die gesamte Eurasische Wirtschaftsunion „die Zerreißprobe zwischen den entgegengesetzten Kräften USA und China, dem alten und dem neuen Weltwirtschaftszentrum“, nicht bestehen. Die russische Wirtschaft werde dann zentralisiert und zu einem Haufen nur schwach verbundener Enklaven, die für die Bedürfnisse einzelner Sektoren der Weltwirtschaft arbeiten.

Das würde die Voraussetzungen zur Destabilisierung der inneren Lage und zum Übergang zum Szenario der amerikanischen Übernahme schaffen.

Bis zu zehn Prozent Wirtschaftswachstum

Russland wird sich anstrengen müssen, um den Übergang zur Strategie einer progressiven Entwicklung zu schaffen. Gelingen werde dies nur durch den Aufbau einer technologisch neuen Industrie, meint Glasjew.

Im siebten und letzten Szenario halten Russland und die Eurasische Wirtschaftsunion mit China Schritt. Die derzeit weltweit eher geringe Rolle der EAWU könne aber nur durch Präferenzpartnerschaften mit schnell wachsenden Ländern Eurasiens kompensiert werden. Das erste Freihandelsabkommen dieser Art ist bereits mit Vietnam geschlossen worden. In diesem Szenario könnte die russische Wirtschaft laut Glasjew ein BIP-Wachstum von zehn Prozent und einen Zuwachs an Investitionen von 20 Prozent erreichen.

Biografie

Sergej Glasjew ist einer der führenden russischen Ökonomen und seit 2012 Berater für die eurasische Wirtschaftsintegration von Wladimir Putin. In dieser Position ist er für die Zollunion und den gemeinsamen Wirtschaftsraum von Russland, Belarus und Kasachstan zuständig. 2013 unterlag er Elwira Nabiullina bei der Kandidatur für den Vorsitz der russischen Zentralbank. Aufgrund seiner harten Haltung in der russischen Ukraine-Politik steht er seit Beginn der Krise auf den Sanktionslisten der USA, der EU, der Schweiz und Kanada. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Gazeta.ru.

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