Halal in Russland: Trend für Muslime, Sorge für die Wirtschaft

Mit rund 20 Millionen Muslimen ist der russische Markt attraktiv. Auf dem Bild: die russische Kosmetik-Marke Halal Cosmetics.

Mit rund 20 Millionen Muslimen ist der russische Markt attraktiv. Auf dem Bild: die russische Kosmetik-Marke Halal Cosmetics.

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Früher wurden als halal gekennzeichnete Kosmetik und Arzneimittel in Russland nur auf orientalischen Märkten verkauft. Doch mittlerweile drängt die Branche aus ihrer Nische heraus. Ihr Potenzial schätzen Experten als enorm ein, aber ist der russische Markt auch bereit für das Halal-Fieber?

Es ist nicht weiter der Rede wert, wenn ein neuer Nagellack auf den Markt kommt. Das passiert schließlich ständig. Laut den einschlägigen Beauty-Trends sollen wir Frauen unsere Nägel derzeit bevorzugt grafisch stylen und mit Nagelfolien designen, aber eine wirkliche Innovation sind die aktuellen Nuancen nicht. Der Lack, den die polnische Marke Inglot schon seit drei Jahren vertreibt, hingegen schon. Das Besondere daran: Der Lack ist halal.

Halal ist nicht auf Essen beschränkt

Halal bedeutet „erlaubt“. Dieser ethische Grundsatz in der islamischen Religion gilt nicht nur für Nahrung, sondern auch für Hautpflegeprodukte und Arzneimittel. So unterliegen die zertifizierten Kosmetika strengen hygienischen Vorschriften und dürfen nur bestimmte Alkohole enthalten.

Erst dann sind sie halal: fair, organisch und vegan. Ähnlich wie beim V-Label für vegane Produkte werden sie durch ein Halal-Siegel gekennzeichnet. Diese Transparenz ist die Qualitätsgarantie der Ware – nicht nur für muslimische Beauty-Queens, sondern auch für Konsumenten, die bislang nichts von Halal-Kosmetik gehört haben.

Konzerne erkennen Potenzial des Halal-Markts

Das Potenzial des Halal-Kosmetikmarktes haben auch BASF, Unilever, Symrise und L’Oréal für sich entdeckt. Die Konzerne ließen sich bereits einige Inhaltsstoffe und Produkte zertifizieren. Die Branche wächst auf globaler Ebene.

Laut dem Bericht „State of Global Islamic Economy 2016/17“, der von Thomson Reuters und Dinar Standard herausgegeben wird, beträgt der Umsatz dieses Marktes weltweit 56 Milliarden US-Dollar. 2015 verzeichnete er ein Wachstum von rund vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Weltweit steigt die Anzahl der Muslime

Antreiber dieser rasanten Entwicklung ist die steigende Anzahl der Muslime weltweit und das Verlangen nach ethischem Konsum. Neben dem Nahen Osten und den arabischen Ländern finden Halal-Kosmetikprodukte vor allem Abnehmer in Asien, zum Beispiel in Malaysia, Indonesien und Indien.

Auch Russland bleibt nicht auf der Strecke. Experten in dem oben genannten Bericht taxieren den Umsatz des russischen Marktes mit seinen rund 20 Millionen Muslimen auf 3,5 Milliarden US-Dollar. Damit nimmt Russland im Segment Kosmetik den zweiten Platz zwischen wachsenden Halal-Märkten wie Indien, Indonesien, Malaysia und der Türkei ein.

Russische Nischenmarken werden auch halal

Große Unternehmen wie Colgate Palmolive, Inglot, Symrise, L’Oréal und Henkel produzieren schon lange Halal-Kosmetika in sogenannten OIC-Ländern („Organisation of Islamic Cooperation“) sowie in Asien, insbesondere in Indonesien und Indien. In Russland noch nicht. Aktuell wird der russische Markt von Herstellern aus den USA, Australien, Indien sowie aus Kanada und Kroatien bedient. Diese Waren werden häufig via Amazon, AliExpess oder im Einzelhandel verkauft.

Die russischen Nischenmarken im Bereich Halal-Kosmetik rücken dennoch ins Rampenlicht. Zum Beispiel die Marke Halal Cosmetics: Sie ist erst vor anderthalb Jahren gestartet. Gründerin Lola Gadschiewa verrät keine Zahlen. Doch sie behauptet, dass ihr Geschäft seit dem zweiten Geschäftsjahr profitabel sei. Halal Cosmetics hat zwei Produktionsstandorte in Noworossijsk und Derbent sowie sechs Vertretungen in Grosny, Machatschkala, Ufa, Naltschik, Nabereschnyje Tschelny und Simferopol. Außerdem exportiert das Unternehmen seine Produkte nach Jordanien, Kasachstan und Kirgistan.

2015 hat auch das russische Unternehmen Splat, das sich auf professionelle Mundpflegemittel spezialisiert, das Halal-Siegel erhalten. In Russland hat Splat einen Anteil von 17,2 Prozent auf dem Zahnpasta-Markt, sagt Gründer Jewgenij Demin. „Wir stellen reine alkoholfreie Produkte ohne Tiere her und lagern respektive fertigen die Rohstoffe separat. Wir mussten unseren Produktionsablauf kaum verändern, damit unsere Produkte als halal gelten“, erklärt er und bemerkt eine steigende Nachfrage nach halal-zertifizierten Produkten – nicht nur in Russland, sondern auch in Europa.

Zertifizierung ist und bleibt ein Problem

„Internationale Konzerne, die ihre Waren mit einem Halal-Zertifikat anbieten, fehlen aber noch“, sagt Isa Barkhaew, Geschäftsleiter der Vereinigung für Entwicklung der Halal-Industrie. Er ist überzeugt, dass viel mehr Erzeuger auf den Zug aufspringen werden, da Halal-Kosmetik eine wichtige Nische in Russland sei.

Wie viele Menschen genau von Allah erlaubte Rezepturen in Russland kaufen wollen, können die Unternehmen aber nur bedingt sagen. „Halal ist noch keine feste Größe auf dem russischen Markt“, sagt Christina Witter, Pressesprecherin von Symrise. Das Problem liege darin, dass es noch keine international akkreditierte oder anerkannte Halal-Zertifizierung in Russland gebe.

„Die Herausforderung der Zertifizierung ist, einen Zertifizierer zu finden, der in muslimischen Regionen wie Tschetschenien, Dagestan, Tatarstan oder Inguschetien anerkannt wird. Ein einheitlicher Standard, dem sich auch diese Regionen anschließen können, wäre aus unserer Sicht eine sehr sinnvolle Lösung für die international tätigen Halal-Zertifizierer und die exportierenden deutschen Unternehmen“, so Witter.

Für Isa Barkhaew hingegen ist das nur eine Ausrede. „Die deutschen Unternehmen können die Zertifizierung in ihrer Heimat machen und das Zertifikat in Russland einfach anerkennen lassen. Außerdem vertraut die russische Bevölkerung den deutschen Marken sogar mehr als den eigenen.“

Deshalb sehen einige Experten bei deutschen Unternehmen nicht nur in der Kosmetikindustrie, sondern auch in der russischen Halal-Pharmazie großes Potenzial. In Sankt Petersburg wurde vor drei Monaten zum Beispiel die erste Apotheke für Muslime eröffnet. Deutsche Marken wie Bayer, Merck oder Berlin-Chemie stehen bereits im Regal. Natürlich mit Halal-Siegel.

Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst auf Ostexperte.de.

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