Krawalle in Moskau

Fußballfans und Rechtsextreme randalieren gegen Moskauer Polizisten (Foto: Ilja Warlamow)

Fußballfans und Rechtsextreme randalieren gegen Moskauer Polizisten (Foto: Ilja Warlamow)

Am 6. Dezember wurde ein junger Fan des Moskauer Spartak-Fußballclubs bei einer Schlägerei von Einwanderern aus dem Kaukasus ermordet. Am Samstag artete die Gedenkdemonstration in rechtsextreme Krawalle im Moskauer Stadtzentrum aus - Dutzende wurden verletzt und festgenommen. Hinter den randalierenden Fußballfans tut sich etwas ganz anderes auf: Die Wut der Gedemütigten.

Zuerst schien es glimpflich auszugehen: Am Samstagvormittag gedachten in Moskau Fans von Spartak Moskau dem am 6. Dezember ermordeten Jegor Swiridow, der bei einer Schlägerei mit Kaukasiern ums Leben gekommen war. Die Aktion an der Metrostation „Wodny Stadion“ im Norden der Stadt verlief friedlich – mit Blumenniederlegungen, Kerzenanzünden, Solidaritätsbekundungen von Bikern und einem friedlichen Marsch.

Ernst wurde es, als sich ab 14.30 Uhr auf dem Manege-Platz, unmittelbar neben dem Kreml und dem Roten Platz, etwa 5.000 radikal gestimmte Jugendliche einfanden. Schals des Moskauer Spartak-Fußballclubs und andere Fanattribute waren verschwunden – nach Fansolidarität stand der Menge offensichtlich nicht mehr der Sinn. Offizielle Fangruppen von Spartak hatten ihren Anhängern schon bei der Morgenveranstaltung nahe gelegt, der (von der Moskauer Innenbehörde nicht sanktionierten) Zusammenkunft am Manegeplatz fernzubleiben.

Gegen die „Schwarzen“


Zu den ultrarechten Fans (sie propagieren einen „gesunden Nationalismus“, wie es in letzter Zeit immer öfter formuliert wird) gesellten sich andere Rechtsradikale. Nach Angaben der Miliz hielten sich beide Gruppen kräftemäßig etwa die Waage. Die Unterschiede, wer hier „Fan“ war und wer „Nazi“, seien nicht mehr ausmachbar gewesen. Es ging nämlich nicht mehr um einen ermordeten Spartak-Anhänger, sondern um andere Anliegen, die mit Parolen wie „Fuck den Kaukasus!“, „Schwarze, verpisst euch von hier!“, „Moskau für die Moskauer!“ und „Moskau ist eine russische Stadt“ bekräftigt wurden. Eine Machtdemonstration gegen Zugereiste aus dem Kaukasus und Mittelasien, die in Moskau immer mehr das Stadtbild bestimmen und auf immer mehr Widerstand seitens der Ortsansässigen stoßen.

Foto:  Ilja Warlamow

 

Miliz blieb lange ungewöhnlich korrekt

Der Platz war umstellt von Miliz- und Sonderpolizeieinheiten und der Friede hielt auch demnächst. Vor Beginn der Aktion hatten die Sicherheitskräfte kaukasische Händler aus dem Umkreis evakuiert, damit sie nicht Opfer von Übergriffen werden. Genutzt hat es wenig, wie sich später herausstellte. Nachdem der Mob auf dem Platz die Polizei lange genug mit Schimpftiraden und Feuerwerkskörpern provoziert hatte, griff die durch. Es kam zu Prügeleien, Schlagstockeinsatz und dem ganzen üblichen „Budenzauber“. Allein bei der Aktion am Samstag auf dem Manegeplatz wurden 77 Personen festgenommen, 32 mussten sich ärztlich behandeln lassen; zwei Kaukasier schweben in Lebensgefahr. 
Nachdem die illegale Versammlung schließlich aufgelöst war, machten rechtsextreme Jugendliche in der Stadt Jagd auf „Schwarze“ – Samstag und Sonntag kam es zu mehreren Überfällen auf Gastarbeiter in der Metro und auf den Straßen.

Die Moskauer Milizführung hatte vorher vergeblich versucht, die Situation zu entschärfen. Sogar der Moskauer Milizchef war auf dem Platz erschienen. Aber seine weinerliche Bitte: „Lasst uns doch unsere Arbeit machen!“ (gemeint war die Aufklärung der Ermordung des Fans am 6. Dezember) ging in Schmährufen unter.

Ein zweiter führender Milizionär musste sich die Frage gefallen lassen, warum nach dem Mord fünf der sechs Verdächtigen wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. „Ja, das weiß ich auch nicht“, konnte er nur hilflos entgegnen.

Die Lage ist so explosiv wie nie

Nach dem Verhalten der Milizobersten zu urteilen, weiß niemand recht, wie die entstandene brenzlige Lage entschärft werden kann. Dass immer mehr Russen unzufrieden sind mit der immer wachsenden Zahl von Gastarbeitern (Moskau-Abad wird die russische Hauptstadt schon sarkastisch genannt), ist eine Tatsache.

Und diese Meinung vertreten nicht nur Rechtsradikale. Der Kreml tut nichts, sitzt die Sache aus. Die Bevölkerung ist frustriert über die Überfremdung, aber auch über die Entmündigung, die sie durch die „Oberen“ erfährt, und die Enttäuschung über die soziale Ungerechtigkeit im Lande. Präsident Dmitrij Medwedjew und Premier Wladimir Putin versuchen mit der „gelenkten Demokratie“ die Lage in Russland in Griff zu halten, dabei brodelt es unter der Oberfläche wie noch nie. Eine soziale Explosion rückt immer mehr in den Bereich des Möglichen.

Führer der kaukasischen Diasporen in Moskau rufen ihre Mitglieder derweil dazu auf, von „Racheakten“ jeder Art abzusehen, um die bis aufs Äußerste gereizte Lage nicht noch mehr anzuheizen. So seien Informationen über eine angeblich geplante Kundgebung von Kaukasiern am 15. Dezember am Kiewer Bahnhof als Antwort auf den Manegeplatz nicht mehr als eine Provokation. Was Not tut, sei aber dies: Die Interessengruppen müssen sich an einen Tisch setzen und nach Auswegen aus der gefährlichen Situation suchen, sagte der Leiter der Moskauer Filiale des Kongresses der Kaukasusvölker in Moskau, Achmed Asimow, am Montag gegenüber ITAR-TASS.

“Kaukasus von Russland abkoppeln!“

Die in- und ausländische Presse lässt derweil Experten zu Worte kommen. So hat Galina Koschewnikowa vom Analyse-Zentrum Sowa (Eule) das Zusammengehen von rechten Fußballanhängern und Neonazis schon vor Monaten kommen sehen. „Für Menschen, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion als Verlierer empfinden, ist dieses Milieu zum Ausleben der Aggressionenideal“, sagt sie. Der Politologe Dmitri Furman geht noch weiter: „Objektiv und unabhängig von der Meinung der Demonstranten steht die Möglichkeit der Abkoppelung des Nord-Kaukasus im Raum“, meint er. Und: „Die Zentralgewalt versucht ohne Erfolg, die Einwanderung aus dem Kaukasus und die aufkommende Aggressivität der Bevölkerung aufzuhalten, die in den Leuten aus dem Kaukasus den Grund für Probleme und Kriminalität sehen.“

Ex-Wirtschaftsminister Andrej Netschajew malt eine düstere Zukunft: „Wenn es zum sozialen Knall kommt, wird der nicht demokratisch wie zu Beginn der 90er Jahre, sondern nationalistisch, linksradikal und rotbraun!“

Dieser Artikel erschien zuerst bei Russland-Aktuell


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