Mama, wann ist eigentlich wirklich Weihnachten?

Das Eismodell der Moskauer Basilius-Kathedrale in Nowosibirsk       Foto: RIA Novosti

Das Eismodell der Moskauer Basilius-Kathedrale in Nowosibirsk Foto: RIA Novosti

Wann feiert man Weihnachten, wenn man zwischen den Traditionen lebt? Entweder man ignoriert beide, oder man beginnt den ultimativen Weihnachtsmarathon.

“Ist das ein Weihnachtsbaum oder ein Neujahrsbaum?” fragt meine fünfjährige Tochter Velvet, während ich mit einer widerspenstigen Baumbeleuchtung ringe.“Es ist Beides”, sagt mein Mann, der gekrümmt am Boden liegt und versucht, den Baum aufrecht im Ständer zu fixieren. “Nastja sagt, dass der Nikolaus gar nicht der Nikolaus ist, er heißt Ded Moros und kommt an Silvester”, zitiert Velvet ihre beste Freundin. “Sag Nastja, dass in unserer Familie der Nikolaus am 24. Dezember kommt und danach sein Cousin Ded Moros noch mal am Silvesterabend”, entgegne ich mit gepresster Stimme. “Nastja sagt, Weihnachten ist am 7. Januar,” sagt Velvet, immer noch verwirrt. “Das stimmt auch,” sagt mein Mann und streicht ein paar Tannennadeln von seinen Händen. “Warum?” fragt Velvet, und beide schauen mich erwartungsvoll an.

 

Der russisch-amerikanische Weg

Weihnachten ist in unserer amerikanisch-russischen Familie fast schon ein Marathon.  Seit Velvet geboren wurde, geben sich mein Mann und ich alle Mühe, aus den unterschiedlichen Traditionen in Ost und West einen gemeinsamen Kuchen der familiären Feierlichkeiten zu bereiten – er schreibt die Schecks aus und ich rühre die Zutaten.  Das Ergebnis ist ein Monat Plackerei, beginnend am 15. Dezember, wenn meine Freundin Gail uns moralisch verpflichtet, Karten für die Aufführung von Händels “Messias” des berühmten Chors “Moskauer Oratorium” zu kaufen, bis hin zum 13. Januar, dem “Alten Neuen Jahr” in Russland, wo ich, fix und fertig, nur noch den Wunsch habe, Prinz Albert, Charles Dickens und Pjotr Iljitsch Tschaikowski in einen kleinen fensterlosen Raum zu sperren und den Schlüssel wegzuschmeißen.  

 

Die russische Seite der Weihnachtsgeschichte

Das Russische Weihnachtsfest geht auf den Julianischen Kalender zurück, welcher dem modernen um 13 Tage hinterher ist.  Diese Diskrepanz wurde 1918 durch das junge bolschewistische Regime korrigiert, doch kehrte Weihnachten in Russland nie wieder auf den 25. Dezember zurück, da die Bolschewiki systematisch dazu übergingen, alle traditionellen relgiösen Feiertage aus dem Kalender zu verbannen und durch sowjetische zu ersetzen. Weihnachten wurde auf Silvester verlegt.  Am Anfang gab es strenge Maßnahmen, um zu verhindern, dass Überbleibsel aus der alten Zeit übernommen wurden: Weihnachtsbäume, die Zar Peter der Große im 17. Jahrhundert eingeführt hatte, wurden 1916 durch die Heilige Synode als “zu deutsch” aus dem Leben der Russen verbannt.  Die Bolschewiki erhielten den “Baumbann” aufrecht. Stalin erklärte Väterchen Frost zum “Verbündeten von Priestern und Kulaken” und verbannte auch ihn aus Russland. “So wie Bürgermeister Meisterburger in ‘Der Nikolaus kommt in die Stadt?’ Kris Kringle verbannt hat? ” fragt Velvet atemlos mit Bezug auf den amerikanischen Weihnachtsklassiker aus dem Jahre 1970. Ich schicke einen vorsichtigen Blick zu meinem Mann, der nunmehr einen Kampf mit der Weihnachtsbaumspitze in Sternenform ausficht. “Genau so”, flüstere ich.

 

Die Rehabilitation des "Ded Moros"

Ded Moros und seinesgleichen ließen sich aber nicht für lange verbieten. 1935 veröffentlichte die Prawda einen Brief von Pawel Postyschew, Stalins Architekten des Kollektivierungsprogrammes, der sich offenbar einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern wollte, mit der Bitte, “Neujahrstannen” in Pionierpalästen aufzustellen und Väterchen Frost und seiner Enkelin und Helferin Snegurotschka zu erlauben, zu den sowjetischen Kindern am Silvesterabend zurückzukehren. Ded Moros und die Weihnachtsbäume wurden 1937 rehabilitiert.  Obwohl Weihnachten und andere orthodoxe Feiertage seit 1992 wieder fest im russischen Kalender verankert sind, blieb doch das Neujahrsfest als wichtigster Feiertag etabliert. 

Obwohl das Weihnachtsfest selbst in Ungnade gefallen war, stützen sich doch die Neujahrszeremonien auf traditionelle heidnische und religiöse weihnachtliche Bräuche. Im alten Russland versammelten sich Familien beim Erscheinen des ersten Sterns am Himmel – symbolisch für den Stern von Bethlehem – nach 40-tägigem Fasten zum Fastenbrechen bei einem 12-gängigen “Heiligen Abendmahl” mit “Kutja” oder Haferbrei, gesüßt mit Honig und getrockneten Früchten. Aus heidnischer Zeit stammend, steht dieses Gericht für Leben, Hoffnung, Anmut und Segenswünsche für das Heim. Kutja ist noch heute Bestandteil des Festmahles am Silvesterabend, zusammen mit üppigen Sakuski (Vorspeisen und Häppchen). In der Sowjetzeit gab es anlässlich des Neujahrsfestes die sonst seltenen Südfrüchte zu kaufen, wie Mandarinen, die für meinen Mann heute noch den Duft der Neujahrsfeste seiner Kindheit symbolisieren. Nach dem Abendmahl gingen die Gläubigen im alten Russland in die Kirche zu einer Nachtwache. Heute versammeln sich die Russen um den Tisch vor dem Fernseher, nicht um den Erlöser zu begrüßen, sondern Präsident Medwedjew, der allen mit einem Glas Champagner in der Hand Gesundheit und Glück im Neuen Jahr wünscht. Danach explodieren überall in Russland Feuerwerkskörper, die Glocken läuten und man küsst sich und tauscht gute Wünsche aus: “Neues Jahr – neues Glück!”

 

Jennifer Jeremejewa lebt als freiberufliche Schriftstellerin in Moskau. Ihr Blog über berufliche, religiöse und kulturelle Feiertage in Russland: http://dividingmytime.typepad.com.

 

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