Haltet die Polizei! Eine Reform

Vom „Freund und Helfer“ meist noch weit entfernt: die Polizei in Russland, Milizija genannt.          Foto: LegionMedia

Vom „Freund und Helfer“ meist noch weit entfernt: die Polizei in Russland, Milizija genannt. Foto: LegionMedia

Weniger Polizisten, dafür aber höherer Lohn und mehr Rechte für die Bürger – das sind die Hauptpunkte der im März in Kraft tretenden Polizeireform.

Denis Jewsjukow hat nicht der Mafia die Stirn geboten und auch kein Menschenleben gerettet. Der Major ist dennoch Russlands bekanntester Milizionär: Vor knapp zwei Jahren betrat er angetrunken aber in Uniform einen Supermarkt, tötete mit einer illegalen Waffe zwei Menschen und verletzte sechs weitere. Heute verbüßt der ehemalige Chef eines Moskauer Polizeireviers eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Einer von vielen Skandalen

Jewsjukow ist zum Sinnbild einer Miliz geworden, die für die russische Gesellschaft mehr ein Sicherheitsrisiko denn ein Ordnungsfaktor ist. Nach seinem Amoklauf werden wöchentlich neue Skandale unter Beteiligung der Polizei bekannt: verschleierte Tötungsdelikte, Verkehrsunfälle mit Fahrerflucht, Schlägereien in betrunkenem Zustand oder Schiebereien.

Und dann sprach erstmals auch ein Milizionär offen über Missstände in den eigenen Reihen. Über das Internet wandte sich Alexej Dymowskij an Premier Wladimir Putin, um die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die Korruption in den eigenen Reihen anzuprangern.

Präsident Medwedew, der seit seinem Amtsantritt 2008 die Korruption unter Staatsangestellten zur Chefsache erklärt hat, kündigte im Frühjahr 2010 eine tiefgreifende Reform des Milizapparates an. Neu daran ist schon ihre Entstehungsgeschichte: Bis September stand der Gesetzesentwurf im Internet – und die Bevölkerung war dazu aufgerufen, Verbesserungsvorschläge einzubringen.

Kritik an der Reform

Die Kernpunkte des Gesetzes, das am ersten März in Kraft tritt: Bis 2012 soll die Zahl der Milizionäre von heute 1,4 Millionen um ein Fünftel sinken – zugunsten einer besseren Bezahlung derer, die bleiben.

Die bisher anteilige Finanzierung durch die Provinzen übernimmt komplett der Staat, um örtlichen Abhängigkeiten vorzubeugen. Und die Einstellungsvoraussetzungen für Neubewerber sollen verschärft werden. Das reformierte Gesetz räumt auch den Bürgern mehr Rechte ein: So kann ein gerade Festgenommener spätestens nach drei Stunden seine Angehörigen informieren.

Unklar bleibt allerdings die Kernfrage: Wie sollen aus korrupten Milizionären ehrliche Polizisten werden? Nur mit dem neuen Gesetz und höheren Gehältern ist es nicht getan.

Deshalb hat der Präsident einen Erlass angekündigt, in dem er Kriterien bereitstellen will, die helfen sollen, die heutigen Polizisten auf ihre Eignung hin zu überprüfen. Während die Staatsduma noch an den Feinheiten des Gesetzes feilt, üben einige bereits jetzt heftige Kritik an der Reform.

Mit zu den lautesten Stimmen zählt Wladimir Owtschinskij, früher Chef der Interpol Russland. Kaderverschiebungen würden als Neuigkeit ausgegeben, sagt er, anstatt das System zu ändern, das Polizisten noch dafür belohne, Verbrecher zu decken und Beweise verschwinden zu lassen, statt die organisierte Kriminalität zu bekämpfen und die Parteienlandschaft von Entscheidungsträgern mit dunkler Vergangenheit zu säubern.

Auch einfache Polizisten bezweifeln den positiven Effekt der Reform. Schon deshalb, weil sie von Innenminister Raschid  Nurgalijew, seit 2003 im Amt, durchgeführt wird. „Mit seiner Entlassung hätte man die Reform überhaupt beginnen müssen. Er steht für das marode System“, sagt ein älterer Revierpolizist aus Woronesch.

Außerdem ändere das neue Gesetz nichts an der Tatsache, dass Polizisten Verbrechen quasi nach statistischen Vorgaben aufklären. „Damit die Zahlen stimmen, wenn die Vorgesetzten vor ihren Vorgesetzten Rechenschaft ablegen müssen“, schimpft der Polizist.

Kontrovers diskutiert wird übrigens auch die Umbenennung der Miliz. Künftig soll sie „Polizei“ heißen. Doch vor allem die Weltkriegs-Veteranen fühlen sich durch das Wort Polizei an Kollaborateure der Deutschen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion erinnert.

 

 

Tino Künzel ist Redakteur der Moskauer Deutschen Zeitung.

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