Grenzen der Macht Tunesien – Ägypten

Das folgerichtige Ende, das zunächst das tunesische und danach das ägyptische Regime ereilte, ist nicht etwa der Beginn einer „neuen Demokratisierungswelle“, es bedeutet zunächst einmal die Rückkehr zur einer politischen Normalität nach vielen Jahren der Unterdrückung.

Tunesien und Ägypten zählen zu jenen Ländern, deren Wirtschaft sich langsamer als in anderen des Nahen Ostens entwickelte, bei gleichzeitig rasantem Anstieg der Bevölkerung. Folge war die Verarmung eines Großteils der Menschen - ein Viertel muss mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen.

 

Eine kleine politische Elite hatte die Kontrolle über die Wirtschaft inne und steckte 90 Prozent des Volkseinkommens ein. Selbst der 
private Handel – der originäre 
Wirtschaftssektor der arabischen Welt – war der staatlichen Kontrolle unterstellt.

Natürlich spielte auch die Altersstruktur der Bevölkerung und die neuen Kommunikationsmittel eine wichtige Rolle bei den wachsenden Unruhen. 34 Prozent der Tunesier sind jünger als 21, in Ägypten sind es gar 43 Prozent. Über 30 Prozent der Tunesier und 24 Prozent der Ägypter verfügen über Internet, über 80 Prozent haben ein Handy.

Die Konstellation aus 30 Jahren Diktatur und dem hohen Anteil einer jungen Bevölkerungsschicht ergab letztendlich die hochexplosive Mischung, die irgendwann hochgehen musste. Und man kann den Menschen in beiden Ländern nur wünschen, dass sie weiterhin auf die Straße gehen, falls sich die neuen Machthaber wieder als Despoten herausstellen sollten.

 

Aus den jüngsten Ereignissen in Tunesien und Ägypten kann man eines jedoch nicht folgern: dass die Zeit der Obrigkeitsstaaten nun endgültig vorbei sei. Undemokratische Regime wie China und andere asiatische Staaten hatten bislang nichts zu befürchten: Weil sie ihre Kontrolle auf die Politik beschränkten, in die Wirtschaft aber nur wenig eingriffen und für allgemeines Wachstum und Wohlstand sorgten. Vor diesem Hintergrund erscheint Russland als „Grenzland“: Einerseits gibt es hier keine aktive, arbeitslose Jugend, wirtschaftlich sind wir im Aufschwung, und der Regierung ist es gelungen, den Haushalt nach der Krise zu konsolidieren. Andererseits sind die Menschen durch undurchsichtige staatliche Regulierungsmaßnahmen, bürokratische Willkür und die Bestechlichkeit der Behörden zunehmend verärgert.

Deshalb geben die Unruhen in den arabischen Ländern zu denken. Für Russland kann es nur einen einzigen Ausweg geben: Wenn ein Staat dauerhaft existieren möchte, darf er seine Bürger nicht gängeln und muss auch seine Beamten auf unterster Ebene im Griff haben. Wenn ihm dies gelingt, hat er nichts zu befürchten.

Wladislaw Inosemzew ist Gründer des Zentrums für Studien zur postindustriellen Gesellschaft.

Dieser Artikel erschien bei Iswestija.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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