Neue Wirtschaftsmodelle für alte Mono-Industrien

Neue Produktionsanlagen im Automobilwerk AvtoVAZ in Togliatti. Foto: AFP/Eastnews

Neue Produktionsanlagen im Automobilwerk AvtoVAZ in Togliatti. Foto: AFP/Eastnews

Die Industriestadt im Süden des europäischen Teils Russlands ist bekannt für den Autoriesen AvtoVAZ. Die Region erhofft sich neue Impulse - mit deutscher Hilfe.

„Vor zehn Jahren war es in Samara noch einfacher, Geschäfte zu machen“, erinnert sich Gerardus van Wissen, Chef der AHT Group aus Nordrhein-Westfalen, die Systemlösungen für die Landwirtschaft anbietet. Vor 20 Jahren kam er in die Region Samara, gerade als die sowjetische Landwirtschaft kollabierte. Damals rettete van Wissen die Kartoffelernte. Und blieb.

1995 eröffnete er ein Landmaschinenwerk, heute ist sein Unternehmen hier ein bedeutender Investor. „Trotz ausufernder Bürokratie gibt es für neue Partner genug Möglichkeiten“, sagt van Wissen, der sich in Samara inzwischen wie zu Hause fühlt: „Meine Familie lebt jetzt hier.“

 

Eine Region stellt sich vor

Samara, sechstgrößte Stadt Russlands, schmiegt sich über 50 Kilometer an die beiden Ufer der Wolga. Die wichtigsten Wirtschaftszweige sind Chemie, Flug- und Fahrzeugbau sowie die Erdölförderung. Ein großes Problem der Region ist jedoch die starke Monoindustrialisierung: Im nahe gelegenen Togliatti arbeiten fast 20 Prozent der Einwohner bei dem Autohersteller AvtoVAZ und weitere 20 Prozent in der betreffenden Zuliefererindustrie.

Im Krisenjahr 2009 spitzte sich das Problem zu: 50000 Menschen wurden arbeitslos, und AvtoVAZ konnte nur durch föderale Geldspritzen gerettet werden. Daher wurde 2010 in Togliatti eine Sonderwirtschaftszone mit steuerlichen Vergünstigungen für ausländische Investoren eingerichtet, für fast 200 Millionen Euro.

Interessenten gibt es bereits: Der schwäbische Betrieb Eberspächer wird über ein Joint Venture mit AvtoVAZ Ladas mit deutschen Auspuffen ausstatten. Vor wenigen Wochen unterzeichnete der slowenische Automobilzulieferer TPV einen Vertrag mit AvtoVAZ über die Lieferung von Autositzen. Auch der italienische Reifenhersteller Pirelli hat konkretes Interesse signalisiert.

Gleichzeitig entstand hier der IT-Park Schiguljowskaja Dolina – „Schiguli Valley“, eine IT-Schnittstelle für die ganze Region.  

 

Eine Rennstrecke für Togliatti

Durch die Sonderwirtschaftszone hofft Samara an die landesweite Modernisierungsagenda anknüpfen zu können und sich von dem Monostadt-Syndrom zu befreien.

Laut einer Studie von Germany Trade & Invest wird die Region Samara besonders von Deutschen geschätzt. Sie gehöre zu den zehn attraktivsten Russlands. „Im gesamten Föderationskreis Wolga ist Samara bei deutschen Investoren am beliebtesten“, sagt Wirtschaftsminister Gabibulla Chassajew. 60 Millionen Euro hätten deutsche Unternehmen 2010 in die Region direkt investiert, die Importe beliefen sich auf fast 250 Millionen Euro. Über 30 deutsch-russische Joint Ventures gebe es bereits, darunter seien renommierte Firmen wie Henkel, Bayer und der Messtechnik-Hersteller Krohne.

Die Kooperationen könnten in Zukunft weiter zunehmen, wenn wie vorgesehen demnächst die Infrastruktur saniert wird. Energieeffizienz und Abfallverwertung stehen dabei an erster Stelle. Es wurden bereits Verhandlungen mit einem weiteren deutschen Messgeräte-Spezialisten aufgenommen: Geplant ist eine Produktion vor Ort für die Ausstattung der Kommunen.

Auch fürs Auge wird es etwas geben: In Absprache mit der Partnerstadt Wolfsburg soll in Togliatti eine Rennstrecke entstehen, beratende Architekten: das Aachener Büro SzturHärter.

Von den Autorennen aus dem Stall VW und Lada einmal abgesehen: Van Wissen mutmaßt, warum noch Samara bei Ausländern so beliebt sein könnte. - Natürlich wegen seiner Nähe zur Hauptstadt: „Nach russischen Maßstäben sind die 1050 Kilometer bis nach Moskau ein Katzensprung.“

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