In der Osternacht werden Kerzen für die Auferstehung Christi angezündet. Foto: Itar-Tass
Ein Lächeln überzieht das Gesicht von Galina Iwanowa, wenn sie an die Ostervorbereitungen in ihrer Kindheit denkt. Die 70-Jährige aus einem Dorf in der kleinen Republik Tschuwaschien erinnert sich an die Weidenzweige, die als Symbol des Osterfestes in den alten, gesprungenen Tontopf gestellt wurden. Wie sie einen Kranz und eine Girlande aus biegsamen Weidenruten über der Schwelle aufhängte, auf dass das Glück Einzug halte. Wie am „Sauberen Donnerstag“, so heißt hier der Gründonnerstag, im ganzen Haus geputzt und auch der Stall aufgeräumt wurde. Wie sich alle die Haare schneiden ließen, eine Tradition, die bis dato fortlebt. Das orthodoxe Osterfest, das heute wie im alten Russland 40 Tage dauert, war in den Jahren der Sowjetunion verboten.
Eierstoßen als heidnische Tradition
Die meisten Russen begehen das Fest, denn eines hat Ostern dem russischen Weihnachten, das vom Neujahrsfest überlagert wird, voraus: Es eint die gesamte Bevölkerung: durch Bräuche und Traditionen, die in jeder Familie, in der Stadt und auf dem Land gleich sind – von Moskau bis Jakutien, von Karelien bis Wladiwostok.
„Damals konnte man keine fertigen Osterbrote kaufen“, erzählt Galina, „deshalb haben wir den Kulitsch selbst gebacken und die süße Pascha angerührt.“ Der zu einer Pyramide geformte Nachtisch ist benannt nach „Pascha“ (sprich Pas-cha), wie Ostern auf Russisch heißt.
Leiden und Kraftschöpfen
Von Schokoeiern und Osterhasen hat Galina nie gehört. „Bei uns wurden ausgeblasene Eier mit gefärbter Wachsmasse bemalt oder in einer alten slawischen Technik zu wunderschönen Schmuckeiern verziert.“ Diese Pissanki sind heute noch verbreitet. Gehalten hat sich auch das „Eierstoßen“. Dabei schlägt man gekochte Eier gegeneinander, Sieger ist derjenige, dessen Ei am längsten unversehrt bleibt.
Die wichtigsten Ostertraditionen sind erhalten geblieben, manch neuer Brauch kam sogar in der Sowjetzeit hinzu: Zu Ostern pilgern wahre Massen auf die Friedhöfe, um der Toten zu gedenken. Ein Drittel der Russen besucht an diesem Tag die Gräber ihrer verstorbenen Verwandten. Und zwei Drittel der Bevölkerung bereiten die traditionellen Gerichte zu, 42 Prozent laden an den Feiertagen Freunde und Verwandte zum Osterschmaus ein. Ostern ist ein Fest der Widersprüche: einerseits die strengen kirchlichen Vorgaben, die Idee des Leidens und Kraftschöpfens, die lange nächtliche Ostermesse „bis zum Hahnenschrei“, andererseits die heidnische Tradition der lauten, fröhlichen Volksbelustigungen, der „Eierspiele“, des opulenten Festmahls.
Für die 25-jährige Irina Tschertanowa aus Togliatti bedeutet Ostern vor allem strenges Fasten und die Freude nach der Einhaltung des Kirchenkanons. „Ich begehe Ostern schon seit fünf Jahren bewusst als Fest des Geistes“, sagt sie. Die meisten ihrer Verwandten halten es anders: Sie beschränken sich auf Glückwunschkarten oder genießen Osterbrot aus dem Supermarkt. Irina geht gern zur Messe in der Nacht auf den Ostersonntag, weil sie dann die einigende Kraft des Glaubens besonders intensiv empfindet. „Du stehst da, umgeben von Menschen, die sich aus tiefstem Herzen über Christi Auferstehung freuen. In dir wächst die Gewissheit, dass es Gott gibt und dass heute etwas Großes geschehen ist.“
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!