Es ist Zeit für ein Geständnis. In meiner satirischen
Gebrauchsanweisung für das Bahnfahren, »Senk ju for träwelling«, gibt es
eine Passage über Schlafwagen. Da ist die Rede von Menschen, die
Neoprenanzüge gegen die Kälte auf den Pritschen tragen.
Nie hätte ich gedacht, wieviel Wahrheit in Satire stecken kann, auch
wenn es nicht um die Deutsche Bahn geht, sondern um den Capital Express
von Moskau nach Kiew: Abfahrt Moskau 23.23 Uhr am wunderschönen Kiewer
Bahnhof. Ankunft in Kiew 7.43 Uhr Ortszeit. Dazwischen: Der Schlafwagen.
Drinnen ist es zwar kalt, aber es geht uns noch gut. Wir fahren nicht in
der zweiten Klasse, wo sich vier Menschen ein Abteil teilen. Wir liegen
erste Klasse: Zwei Betten pro Abteil, das zweite in meinem Abteil
bleibt sogar leer. Eigentlich also luxuriöse Verhältnisse.
Wenn ich kleiner wäre. Beppe liegt nebenan im Abteil malerisch wie der
arme Poet aber immerhin ausgestreckt auf der Pritsche, rezitiert aus
Dostojewskis »Idiot« und lässt sich dabei von Gianni filmen. Bei mir
läuft das anders: Strecke ich meine Beine aus, stoße ich unten und oben
an. Liege ich auf der Seite, verkrampfen sich meine Waden. Liege ich auf
dem Rücken laufe ich Gefahr, auf den Fußboden zu rutschen. Und weil der
Zug immer schneller über die holperigen Gleise heizt hüpfe ich immer
schneller auf der Matratze auf und ab. Kurz: Ich bin heilfroh, dass
Gianni mich nicht filmt.
Eine positive Überraschung sind die Grenzkontrollen, zwei an der Zahl.
Die finden zwar pflichtgemäß genau dann statt, wenn der Reisende gerade
trotz allem in eine Art Schlaf gefunden hat. Aber die Grenzwächter
kommen ohne Stiefelgepolter, sprechen mit gedämpfter Stimme, lächeln und
schließen sogar wieder die Tür. Wahrscheinlich weiß man bei der
russischen und die ukrainische Regierung, dass das Ausfüllen des Ein-
und Ausreiseformulars in einem dahinhüpfenden Zug Strafe genug ist.
In Kiew treffen wir Igor, einen sehr sympathischen Dolmetscher und
Übersetzer, der nur so brennt für die wechselvolle Geschichte seiner
Stadt mit ihren vielen wunderbaren Kirchen und Fürsten wie dem
ausschweifenden Wladimir, der geschätzte 400 Frauen hatte und sein Pferd
schon am Bett brauchte. Kiew ist in Feiertagslaune, vor den vielen
Denkmalen fotografieren sich kichernde Touristen. Wir treffen auch viele
Männer, die anbieten, uns besser zu fahren als reguläre Taxis. Jede
Menge Leute, die auf verschrammten Stühlen neben Parkplätzen sitzen und
eine Parkgebühr wollen. Und in unserem Hotel werden die Zimmer jeden Tag
neu zum aktuellen Wechselkurs zum Euro abgerechnet, weil sich dieser
Kurs in den letzten Tagen verschlechtert hat. Überall gebe es
Korruption, klagt ein Fahrer, der besser in Dollar rechnet als in der
hiesigen Währung Griwna, nicht mal der Arzt ziehe einen Zahn ohne
Extrageld. Viele suchen ihr Glück im Ausland, arbeiten als Pflegerinnen
in Italien oder als Bauhelfer in Portugal. Auch Igors Tochter ist weg,
zum Studieren. Wir wünschen ihm und diesem Land, dass sie wiederkommen
mag.
PS. Manche Vorurteile über die Bürokratie in östlichen Ländern stimmen
doch: Eben erfuhr ich von Uwe Umlauff, Direktor der Ecem Media, die
diese Reise auch unterstützt, dass die Ein- und Ausreiseformulare für
die Ukraine längst nicht mehr nötig sind. Ob uns die
Schlafwagenschafferin, die uns die bösen Blättchen lächelnd aushändigte,
also nur ein wenig beschäftigen wollte?