Gestern abend hatte ich in Kiew ein Interview mit Inna
Zavhorodnya, Society-Reporterin bei der Ukrainian Week. Das Interview
lief vermutlich ganz gut, bis Inna sich vorbeugte und ironisch lächend
fragte: »Warum schreiben Sie in diesem Blog immer nur über Frauen?
Schreiben Sie doch auch mal was über Männer!« Beppe, als Italiener
(Vorsicht: Klischee) allein schon deshalb der Richtige, auf jede
Vorhaltung von Machotum zu reagieren, war (Vorsicht: Klischee) im Moment
leider gerade nicht da. So war es an mir, etwas Entschuldigendes zu
stottern.
Ein paar Stunden später hätte ich augenblicklich ein euphorisches
Loblied auf Igor angestimmt. Unseren Dolmetscher und Fremdenführer. Der
an diesem Abend angesichts unserer To-do-Liste – Blog schreiben (Mark),
Blog übersetzen (Soledad), noch ein paar Szenen in Kiew drehen (Gianni),
Abreise mit dem Nachtzug nach Krakau (alle) und noch etwas essen (auch
alle) – zwar kurz das hektische Augenflattern bekommt. Aber uns dann im
Laufschritt ins Restaurant und anschließend so rechtzeitig zum Bahnhof
bringt, dass wir es uns leisten können, in der Halle noch zwei
Geldautomaten außer Gefecht zu setzen, bevor Igor uns direkt in unseren
Schlafwagenabteilen platziert. Danke Igor für deine herzliche Fürsorge!
Soviel also über hilfsbereite ukrainische Männer. Später werde ich noch
wieder eine ukrainische Frau erwähnen; ich darf das, denn anders als
Beppe bin ich als Deutscher per Klischee in dieser Hinsicht völlig
unverdächtig.
Aber zuerst zu unserem Nachtzug. Es ist deutlich zu merken ist, dass wir
auf unserer Reise immer weiter gen Westen bewegen. Denn obwohl der Zug
nur aus alten Schlafwagen zweiter Klasse besteht, drei Klappbetten pro
Abteil, samt kippeliger Leiter und komplett holzfurniert: Die
Klappbetten sind so breit, dass ich auf dem mittleren, obwohl die Lok an
jedem unbeschranktem Bahnübergang schaurig-schön pfeift, schlafe wie im
Paradies. Verglichen zumindest mit dem Schlafgenuss im Nachtzug
Moskau-Kiew. Denn eins muss man Susanne Höhn vom Goethe-Institut, die
uns auf diese Parforce-Tour quer durch Europa schickt, lassen: Sie kennt
sensible Autorenseelen. Wäre zuerst der bessere, dann der schlimmere
Nachtzug gekommen, ich hätte beim nächsten, schon morgen, mit dem
Allerschlimmsten gerechnet und versucht, einen Doppelgänger von mir
mitzuschicken.
So aber freue ich mich schon fast auf den nächsten Quantensprung der
Schlafwagenkultur, während vor dem Fenster die ukrainische Landschaft
vorbeifliegt. Wilde Wiesen, auf denen Kühe zusammen mit Hühnern weiden.
Kleine Häuser, in deren Vorgärten Pferde pflügen. Schmale Felder, auf
denen viele Männer und Frauen arbeiten.
Bei den Kontrollen an der Schengen-Grenze zu Polen wird dann alles
aufgefahren, was man sich unter einer ordentlichen Grenzkontrolle so
vorstellt; inklusive einem lederbejackten Geheimdienstmann, der aussieht
wie Putin und einem Zollhund, der aussieht wie ein Cockerspaniel.
Und unmittelbar danach werden die Häuser größer, die Felder breiter, und
die Menschen, die darauf arbeiten, weniger: so verlockend präsentiert
sich Euroland seinen armen Nachbarn.
Irena, die wir im Zug treffen, stammt aus der Ukraine, ist 22, blond und
könnte auch als Model durchgehen. Sie hat in Kiew Jura und Ökonomie
studiert und will in Polen weiterstudieren, wo sie im Moment einen
Sprachkurs macht. Sie spricht gut Englisch, russisch sowieso, und mit
dem doppelten Abschluss wird sie auch in Polen sehr gefragt sein.
Vielleicht fünf Jahre Ausland, sagt Irina, andere Länder sehen, reisen,
dann will sie wieder zurück in die Ukraine. Es werde Zeit, dass dort die
jüngere Generation das Sagen habe.
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