Kreml vorab informiert

Zeitungen in der USA. Foto: Reuters

Zeitungen in der USA. Foto: Reuters

Nach dem Terroranschlag am 11. September 2001 hatte Wladimir Putin als erstes internationale Staatsoberhaupt George W. Bush angerufen. Jetzt zeigte sich Präsident Barack Obama dafür erkenntlich und informierte den Kreml über die Liquidation von Osama Bin Laden. Erst dann erfolgte die öffentliche Bekanntgabe.

"Wir wissen es zu schätzen, dass die russischen Behörden noch vor der öffentlichen Erklärung des amerikanischen Präsidenten Barack Obama hinreichend informiert wurden", so hieß es aus dem Außenministerium am Montag in einer kurzen Meldung. 

Von offizieller Seite wurde immer wieder behauptet, Al-Qaida habe bei den Unruhen im Nordkaukasus die Hand im Spiel. Der Mann, der als wahrscheinlicher Nachfolger Bin Ladens gehandelt wird, saß in den neunziger Jahren sogar mehrere Monate in einem Gefängnis in Dagestan. Doch wie Sicherheitsexperten am Montag kommentierten, sei die Verbindung zwischen Al-Qaida und dem Nordkaukasus weitgehend symbolischer Art.

Obama verkündete am 1 Mai kurz vor Mitternacht in Washington, dass Bin Laden von einem amerikanischen Kommando bei einem Sondereinsatz außerhalb der pakistanischen Stadt Islamabad getötet wurde. Die Suche nach Bin Laden, der die Verantwortung für die Anschläge von 11. September übernommen hatte, dauerte fast ein Jahrzehnt.

"Der Kreml begrüßt den wichtigen Erfolg der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus", hieß es aus dem Kreml. "Russland (…) kennt Al-Qaida aus eigener leidvoller Erfahrung."

In seiner Erklärung vom Montag verglich das russische Außenministerium Bin Laden mit dem getöteten tschetschenischen Rebellenführer Schamil Bassajew und die amerikanischen Antiterrormaßnahmen mit den Maßnahmen der russischen Sicherheitsdienste im Nordkaukasus, wo die Jagd, wie es heißt, nach Al-Qaida-Leuten weitergehe.

Konstantin Kosatschew, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für Außenpolitik, sagte am Montag, Bin Laden sei in Angriffe auf russischem Boden involviert gewesen. Er warnte auch davor, dass Bin Ladens Tod eine Reihe von Vergeltungsanschlägen durch internationale Terroristen auslösen könnte.

Die Moskauer Polizei verschärfte dementsprechend am Montag die Sicherheitsvorkehrungen rund um die amerikanische Botschaft.

Aufständische aus dem Nordkaukasus haben mehrmals öffentliche Orte in Moskau angegriffen, aber bis jetzt haben sie nie amerikanische oder andere ausländische Gebäude ins Visier genommen. Bislang starb nur ein amerikanischer Staatsbürger durch tschetschenische Aufständische ‒ während der Geiselnahme 2002 im Moskauer Dubrowka-Theater. Interessanterweise war es gerade nach diesem Geiseldrama, dass Bin Laden zum ersten und einzigen Mal in einer seiner vielen öffentlichen Ansprachen die Rebellen im Nordkaukasus erwähnte, wobei er sie als Opfer der russischen Aggression bezeichnete. Die ersten bekannten Verbindungen zwischen Bin Laden und dem Konflikt im Nordkaukasus gehen auf 1995 zurück, als er jedem Freiwilligen, der bereit war, in Tschetschenien zu kämpfen, 1500 US-Dollar für eine Kalaschnikow sowie die Kosten für die Reise versprach. Das jedenfalls sagte ein sudanesischer Überläufer von Al-Qaida 2001 vor dem amerikanischen Gericht aus.

Seltsamerweise wurde Bin Laden oft mit einer Kalaschnikow in den Händen oder in Reichweite gefilmt und fotografiert. Er behauptete, die Kalaschnikow habe einem russischen Soldaten gehört, den er im Kampf gegen die sowjetische Armee in Afghanistan getötet habe. Ende 1996 reiste Al-Qaidas Nummer Zwei und der wahrscheinlichste Nachfolger Bin Ladens, der Ägypter Aiman al-Zawahiri, auf der Suche nach einem neuen Standort für die Terrororganisation in den Nordkaukasus, nachdem man sie aus Ägypten und Saudi Arabien vertrieben hatte. Wegen illegalen Grenzübertritts wurde er in Dagestan verhaftet und saß mehrere Monate in einem örtlichen Gefängnis. Danach machte Al-Qaida Afghanistan zu ihrer Operationsbasis.

Nach den Anschlägen vom 11. September tauchten mehrere Berichte auf, nach denen zwei der Flugzeugentführer in Tschetschenien gekämpft haben sollen und ein dritter bereits vor den Anschlägen Freunden erzählt habe, er werde in ein Al-Qaida-Trainingslager in Tschetschenien oder Afghanistan gehen. Mehrere Al-Qaida-Agenten, die im Laufe des letzten Jahrzehnts verhaftet wurden, darunter auch Verdächtige, hatten entweder in Tschetschenien gekämpft oder an Trainingslagern teilgenommen.

Jeder ausländische Aufständische, der von der Polizei oder von Sicherheitskräften im Nordkaukasus getötet wird  wird von russischen Behörden automatisch als Al-Qaida-Mitglied bezeichnet.

Schamil Bassajew.Schamil Bassajew. Foto: RIA NOVOSTI

Brian Glyn Williams, amerikanischer Experte für die Verbindungen zwischen Al-Qaida und Tschetschenien, bezeichnet die im Nordkaukasus stationierten ausländischen Kämpfer als "Mitglieder der vagierenden Bruderschaft von Dschihad-Paladinen". Zwar begreift diese kleine Gruppe ausländischer Kämpfer Tschetschenien lediglich als ein Schlachtfeld unter vielen im globalen Dschihad, dennoch hat sie sich schnell zu einer starken Kraft entwickelt, die mit den tschetschenischen Separatisten um Einfluss konkurriert. Einige der Kämpfer sollen wie Bin Laden in Afghanistan gegen die sowjetischen Truppen gekämpft haben. Die Allianz der Kämpfer unter der Führung von Bassajew mit dem in Saudi Arabien geborenen und 2002 gestorbenen Emir Ibn al-Chattab bot den russischen Behörden einen Vorwand, die Anführer des Aufstands im Nordkaukasus als Teil von Al-Qaida weltweitem Kampf darzustellen. Als der zweite Tschetschenienkrieg 2003 in vollem Gang war, sagte der damalige Präsident Putin zu Journalisten in Paris, Al-Qaida sei weiter im Nordkaukasus präsent. "Es gibt zwar keine Al-Qaida-Camps mehr in Tschetschenien, aber deren Geld und Ausbilder sind noch da", sagte er.

Bin Ladens Tod wird kaum Auswirkungen auf die Aktivitäten der Terroristen im Nordkaukasus haben, da sie nicht das Hauptziel von Al-Qaida teilen: den Kampf gegen die Vereinigten Staaten, die in den Augen der Islamisten die größten Feinde des Islam sind", so Soldatow.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tageszeitung The Moscow Times.

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