Dabei ist es so ziemlich das genaue Gegenteil.
Einmal schon, weil nun die Gäste ihre Speisen und Getränke selber zum
Frühstücktisch bringen dürfen. Die Tätigkeit des Hotelpersonals
beschränkt sich nur noch darauf, Teller, Tassen und Müslischüsseln
abzuräumen. Entweder dann, wenn die Gäste längst gegangen sind (ein
Hinweis darauf, dass sich mit der Einführung des Buffets die Kopfzahl
des Personals halbierte). Oder, viel perfider, das Abräumen geschieht
viel zu früh, und abgeräumt wird auch das Besteck, das die
frühstückenden Gäste für den nächsten Gang noch gut brauchen könnten.
Überraschenderweise lohnt es sich für clevere Hotelmanager, Personal für
genau diesen Zweck vorzuhalten, denn die Einspareffekte sind enorm: Der
durchschnittliche touristische Hotelgast versucht noch eine Weile,
seinen Joghurt mit bloßen Händen weiterzuessen, bricht dann beschämt ab
und geht. Ein kleinerer Teil der Frühstücker sucht nach neuem Besteck,
scheitert aber, denn Messer und Gabeln finden sich nie am Buffet und die
Löffel sind wo man sie am wenigsten erwartet und zusätzlich hinter
einer Serviette versteckt. Nur der kleinste Teil der Bestecklosen nimmt
die Schmach auf sich, jemanden vom Personal anzusprechen. Dessen Aufgabe
ist es nun, sich nicht erwischen zu lassen und falls doch, so zu tun,
als verstünde er nichts.
Doch sicher, das Buffet hat auch Vorteile: Die Auswahl! Der Überblick!
Die Unabhängigkeit – wenn ich will, kann ich mir den Bauch mit Müsli mit
Lachs vollschlagen. Oder mit 12 hartgekochten Eiern. Theoretisch.
Denn auch das Buffet ist nach klaren Regeln aufgebaut: 1. Was
zusammengehört steht auseinander: Der Grapefruitsaft im Krug auf dem
Buffet, das Glas drei Meter weiter. Oder, noch raffinierter, man findet
das Glas auf dem Tisch, später, wenn man aus Zeitgründen den Plan,
Grapefruitsaft trinken zu wollen, längst aufgegeben hat. Genau das ist
übrigens der Zweck der Sache.
2. Das Geschirr ist zu klein. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, erstens
geschnittenes Obst, zweitens Joghurt und drittens Haferflocken mit
Rosinen, ein ganz normales Müsli also, in den niedlichen Schüsselchen
unterzubringen, die überall auf europäischen Buffets anzutreffen sind.
Also lässt man aus purer Not etwas weg oder beruhigt seinen Magen mit
Völle nur kurz vortäuschendem, dunkel gefärbtem Weißbrot – genau das,
was der Hotelmanager will!
Damit das klar ist: Über diese meine Nöte spreche ich nicht mit Beppe,
denn er würde sie nicht verstehen: Beppe frühstückt nicht am Buffet. Er
frühstückt in einer Kaffeebar in der Prager Bahnhofshalle, in den
knappen drei Minuten, in denen ich versuche, zwei baumlangen Beamten der
tschechischen Bahnpolizei zu entlocken, auf welchem Gleis unser Zug
nach Wien fährt.
Wien
Soledad,
unsere Übersetzerin, Antreiberin (»Wir sitzen ALLE im Taxi zum Bahnhof.
Wo bist du???«) und Reisetherapeutin hat eine Rechnung aufgestellt, der
zufolge Zürich der Mittelpunkt unserer Reise ist. Ich habe beschlossen,
das nicht zu glauben. Welche Stadt könnte allein ihren vielen
Stereotypen nach besser für die Mitte unserer Reise stehen als Wien, das
von allem etwas hat – einen Teil der Küche und der Bevölkerung aus dem
Osten, die Melancholie und die Art, das Leben zu genießen, aus dem
Westen, die Ruhe aus dem Süden, ein notwendiges Maß an Pünktlichkeit und
Genauigkeit aus dem Norden. Dazu kommt noch eine Vorliebe für alles,
was avantgardistisch und abgefahren ist, inklusive Kitsch und
volkstümlicher Musik.
Um mit all dem fertigzuwerden haben die Wiener eine ganz spezielle
Mischung aus Humor, Verzweiflung, Sarkasmus und Ironie entwickelt, den
Wiener Schmäh. Solche Menschen im Vorbeilaufen zu analysieren ist
hochkompliziert. Beppe
und ich haben deshalb den Spieß umgedreht: Bei strahlendem Sonnenschein
fragten wir die gutgelaunten Wiener rund um den Dom, welche Stereotypen
über Deutsche und welche über Italiener denn zuträfen.
Das Ergebnis war zunächst unentschieden: Geschäftsinhaber haben lieber
mit Deutschen zu tun, denn die kaufen wirklich etwas, während Italiener
Unruhe verbreiten und alles kaputt machen. Frauen hingegen mögen lieber
die emotionalen Italiener als die – eine sagte mir das eiskalt ins
Gesicht – »verkrampften Deutschen«.
Den letzten Punkt für Italien machte Beppe dann mit – was wohl? – purer
Bestechung: Während ich telefonierte warf er einem Slowaken, der vor dem
Dom eine Statue mimte, etwas in den Hut und wollte dann wissen, wer
großzügiger sei...
Und was denken Sie? Stimmen eher die Klischees über die Deutschen, über die Italiener – oder über die Wiener?