Wien Bahnhof Simmering
Nach der ersten Hälfte unserer Reise und kurz vor der nächsten Bergetappe muss einiges richtiggestellt werden. Zunächst das Thema Pünktlichkeit.
Man wirft Mark und mir vor, wir seien bei der Abreise immer spät dran,
obwohl es gar nicht stimmt. Zugegeben, wir kommen immer etwas abgehetzt
im Bahnhof an. Aber ist es etwa unsere Schuld, dass der Wiener
Taxifahrer eine Kiste voller Spraydosen in seinem Kofferraum herumfährt
(ist er vielleicht ein Sprayer?) und deswegen unsere Koffer nicht laden
kann? Oder sind wir dafür verantwortlich, dass asiatische
Touristengruppen andauernd unseren Weg versperren?
Doch Schluss mit der Lästerei. Während draußen wie üblich die Sonne
knallt, sitzen wir schon im Zug Nr. 162, von Wien nach Zürich,
planmäßige Abfahrt 9.14 Uhr, der womöglich pünktlichste Zug Europas –
wahrscheinlich wird der Zugführer im Falle einer verspäteten Ankunft vor
das Kriegsgericht geladen. Ein Bildschirm zeigt die Reiseroute mit den
einzelnen Stationen (Linz, Salzburg, Innsbruck, St. Anton am Arlberg).
Im Zug gibt es drei Klassen (zwei erste Klassen und eine zweite Klasse -
fragen sie mich nicht warum). Die Reisegäste sind im Durchschnitt so
alt wie Jimmy Carter. Eine Bedienstete läuft mit einem Zwiebelomelett an
uns vorbei – eine chemische Waffe.
Eine weitere Angelegenheit, die dringend in Ordnung gebracht werden muss, ist die mit Marks gelbem Küken. Heute
Morgen beim Frühstück – eine morgendliche Gewohnheit, die ich weiterhin
nicht beachte und mein Reisegefährte dagegen extrem ernst nimmt - saß
es auf seiner Schulter. Im
Gegenzug stelle ich einen Gartenzwerg, den mir eine Leserin aus Wien
vorbeigebracht hat und den wir gemeinsam im Winter 2005 gekauft haben
(eine lange Geschichte, die ich hier nicht weiter ausführe) auf den
Tisch. Der Zwerg bleibt aber in Österreich, wo er ein gemütliches Leben
führt. Das Küken hingegen folgt uns, unaufhaltsam, und ich befürchte schon, es wird im Lauf des Tages überall auftauchen.
Nachdem wir genau in der Mitte unserer Reise sind – sowohl zeitlich als
auch von der Entfernung her: sieben von vierzehn Tagen, 3.197 km von
6.324 km – möchte ich heute die Oscars der Woche verleihen:
Bestes Hotel: “Das Triest” in Wien (so gut wie perfekt)
Schlechtestes Hotel: “Elite” in Prag (wir sind geflohen)
Bestes Restaurant: “Kvartira 44” in Moskau (unvergesslicher Hering)
Schlechtestes Restaurant: “Europejski” im Hotel Metropol in Moskau (einfallsloses Essen, Bedienung im UdSSR-Stil)
Bestes Buffet: am Italienischen Kulturinstitut in Krakau
Sauberste Toilette: heute im Zug von Wien nach Zürich. Fast unmenschlich.
Anspruchvollste Strecke: Kiew-Krakau (Soledad beharrt drauf!)
Idyllischste Strecke: Salzburg-Innsbruck-St. Anton, die Pferde auf der Weide arbeiten für das Fremdenverkehrsamt
Schönster Platz: der Rote Platz in Moskau, nachts
Kompliziertester Bahnhof: Krakau, wo die Unterführungen Frauennamen tragen (und auch noch gesperrt sind)
Literarischster Bahnhof: der Kiew-Bahnhof in Moskau
Stadt, in der die Abreise am schwersten gefallen ist: Prag
Witz der Woche: “Sie erkennen mich an meiner Jeans“ (Igor, ukrainischer
Übersetzer am Hauptbahnhof in Kiew, wo ALLE Jeans tragen).
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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