Ein Railjet fährt in Wien Westbahnhof ein.
Gefahr auf dem Weg zum Bahnhof
Wer SIE sind weiß ich nicht. Aber SIE haben alles getan, um zu
verhindern, dass wir Wien verlassen: Da war zuerst das Hotel Triest, zu
schön um wahr zu sein mit seinem olivenbaumbestandenen Innenhof und
einer hilfsbereiten Bedienung, die selbst mit verbrannter Hand noch
charmant lächelte, eine Oase mitten in der Stadt.
Als wir trotzdem auscheckten schickten SIE uns ein Taxi, dessen
Kofferraum angeblich zu klein für unser Gepäck war. Wir nahmen es
trotzdem; ich umklammerte zwei Rucksäcke wie zwei Airbags, Beppe klemmte
sich auf dem Rücksitz mit stoischer Miene einen Koffer unters Kinn.
SIE gaben nicht auf. Plötzlich kreuzte eine angebliche Passantin in
selbstmörderischer Absicht den Weg unseres Taxis. Dann ließ der
hochbetagte Fahrer eines blutroten Wagens sein Gefährt aus einer
Seitenstraße rollen, ohne in unsere Richtung zu sehen. Und schließlich
zog ein Lieferwagen polnischer Herkunft – oh ja, dieser Blog wird
offenbar gelesen! – einen Meter vor der Motorhaube unseres Taxis scharf
nach rechts und schnitt uns den Weg ab. Wären wir noch in Krakau
gewesen, in dem Van hätte sich vermutlich eine Horde machetentragende
Hooligans auf der Rückfahrt von einem verlorenen Fußballspiel befunden.
So aber gab der Taxifahrer Gas und rettete uns zum Wiener Westbahnhof.
Vom Wiener Wesen
Zu dem Bahnhof, dem ein genialer Kollege, der Wiener Autor,
Schauspieler und Kabarettist Helmuth Qualtinger 1951 zu internationaler
Berühmtheit verhalf. Es gelang ihm, der Presse weiszumachen, dass dort
am 3. Juli ein berühmter Eskimodichter namens Kobuk zu einem Wienbesuch
eintreffen werde. Doch vor zahlreichen Reportern entstieg dem bewussten
Zug in Mantel und Pelzmütze – Qualtinger. Ein Mann, berüchtigt für
seinen Spott über die Mit-Österreicher, der mit seiner Kabarettfigur
»Herr Karl« den freundlichen kleinen Mann von nebenan als Opportunisten,
Wendehals, als hochgefährlichen Menschen entlarvte. Und dafür, denn das
sei eine infame Verleumdung, Morddrohungen kassierte. Oh, ein bisschen
wahr sei das auch heute noch, sagte mir ein anderer Helmuth, der seit
über 30 Jahren in Wien als Arzt arbeitet, gestern abend in einem
idyllischen Lokal an der alten Donau.
Soledads SMS
Dass ich schon bei der Abfahrt zum Wiener Westbahnhof
schweißgebadet bin hat andere Gründe. Soledad schickte heute morgen
wieder eine ihrer ultimativen SMS (»Kommt ihr runter? Taxi!!!«). Das
Dumme ist: Ich lese solche SMS immer erst dann, wenn ich die Zeit habe,
sie zu lesen, nämlich, nachdem wir erfolgreich zum Zug gehetzt sind (der
eine Viertelstunde später gemächlich abfährt). In der Regel antworte
ich dann: »Wir sitzen doch längst im Zug!« Was der armen Soledad wenig
Spaß macht.
Aber was soll ich tun? Ich bin weder eine Frau noch ein Italiener. Für
beide ist es offensichtlich kein Problem, wenn in ihrer Tasche piepend
eine SMS eintrifft, während sie unbedingt beide Hände benötigen, um die
letzten Kleidungsstücke in den Koffer stopfen, ein Bild vom Küken zu
machen, zu versenden, das Küken einzupacken, den Koffer gewaltsam zu
schließen und mit ihm zum Aufzug zu rennen. Ich dagegen würde kostbare
Sekunden verlieren. Sekunden, um derentwillen wir im (dank Soledads
wunderbarer Zeitplanung rein theoretischen) Extremfall den Zug verpassen
könnten. Für Frauen und für Italiener ist das offenbar kein Problem,
ja, sie können die SMS noch beantworten und dann noch eine zweite
versenden, während sie all das erledigen, was ich auch erledige, und
trotzdem vor mir beim Taxi sein. Manchmal denke ich, sie verfügen über
eine dritte Hand. Aber ihne passiert auch niemals das, was mir
passiert: Zimmertüren, die sich nicht öffnen lassen, wenn ich meinen
Koffer holen will. Aufzugtüren, die sich schließen, wenn ich
heranstürze. Hoteltüren, die verstopft sind von Trauben ungerührter
Japaner, die nicht verstehen, warum ich gehen will.
Beppe,
der auch eine SMS von Soledad bekam, der nun im Zug vor mir sitzt und
wild in seinen Laptop tippt, hat mir versprochen, darüber zu schreiben,
dass wir unschuldig seien. Obwohl die Reise mit einem Starkolumnisten,
der auf dieser Reise ständig wegen seines Buchs »Überleben mit
Berlusconi« interviewt wird, während niemand meinen demnächst
erscheinenden Urlaubsroman »Weg da, das ist mein Handtuch!«
thematisiert, einem doch ein gewisses Maß an Selbstaufgabe abverlangt:
Ich mag den Mann. Und was kann er dafür, dass er ein Star ist?
Besser als die erste Klasse
Draußen fliegt das Bergland um Salzburg vorbei. Unser Boss
Goethe hat uns, um uns den Abschied aus Wien leichter zu machen, auf der
Fahrt nach Zürich einen Luxuszug gegönnt: Wir sitzen in der ersten
Klasse eines Railjet der ÖBB. Ein Zug, der noch ganz neu riecht, dessen
Toiletten einen Designpreis gewinnen könnten und vermutlich jede halbe
Stunde heimlich gereinigt werden. Mehr darüber staunen als meine
italienischen Mitreisenden könnten wohl nur noch russische oder
ukrainische Bahnopfer. Aber ich staune auch. Es gibt hier noch eine
Zugklasse über der Ersten. Die Premiumklasse. Dort lümmelt man in echten
Sesseln, hat alle Getränke und Snacks inklusive und der Steward
fungiert zugleich als eine Art Türsteher. Ach liebe Deutsche Bahn: Wäre
das nicht auch was für uns?
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